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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

seit sechs Stunden wieder gut bin, wenn Du noch meiner Versicherung glaubst, daß ich entschlossen bin, mich scheiden zu lassen. Es gleicht sich aus, liebes Herz, nicht wahr? Und am Ende des Jahres, wenn Du meine Briefe noch einmal durchfliegst, bevor Du zur besseren Einsargung in Deinen Reliquienkasten ein seidenes Bändchen um sie legst (ich kenne Deine Ordnungsliebe!), hat sich’s schon längst ausgeglichen, und Du hast die alte Freundin, wie sie ist: nicht immer die Verständigkeit selbst, manchmal entsetzlich launenhaft, fast immer in ihrem Urtheil zu voreilig, meist von plötzlichen Eingebungen beherrscht, selten mit etwas voll zufrieden, aber allemal bereit, Unrecht einzugestehen und wieder gut zu machen, wenn’s noch der Mühe lohnt. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß ich Dir morgen diese mich schwer belastenden Geständnisse schriftlich geben würde, aber nun stehen sie einmal Schwarz auf Weiß und sollen gelten, bis Du aus dem nächsten Briefe vielleicht erfährst, daß ich die fleischgewordene Vernünftigkeit, Bedachtsamkeit, Leidenschaftslosigkeit und Genügsamkeit bin. Heute nur noch so viel und ein für allemal: ich liebe meinen Mann von ganzem Herzen, ich vergöttere ihn sogar ein bißchen (was er aber nicht zu wissen braucht) und ich wäre die glücklichste Frau unter der Sonne, wenn ... Nein! Dieses Wenn ist zu dumm selbst für eine Augenblicks-Photographie meiner Stimmung. Ich quittiere bedingungslos dem Schicksal über den Empfang des besten Mannes und zeichne nur gern - Du wirst sagen abergläubisch - so ein Kreuz oder Fragezeichen in die Luft, weil mir vor der Götter Neide bangt.

Was ich noch sagen wollte -

Ach so! Ich hatte mich schon besonnen, daß es auch unterbleiben könnte. Der Bogen ist überdies voll, und Edwin behauptet, man müsse sich einzurichten wissen, auch beim Briefschreiben. Der neue Bogen sei gemeinhin nicht nur Papierverschwendung, sondern verführe auch zur Plauderhaftigkeit, da das Bedürfniß eines normalen Menschen, sich auszusprechen, durch vier Seiten reichlich befriedigt werde. Ich nehme den Rand zu Hilfe, um mich noch schnell nennen zu können

ewig Deine Elsa.




2.

– – – Mein Mann ist ein Scheusal!

Neulich sah ich im Schausfenster einen allerliebsten Hut. Bei dem nächsten Spaziergang lenkte ich natürlich unsere Schritte da vorüber. Er lobt meinen Geschmack, hat auch nichts Wesentliches einzuwenden, daß ich hineingehe, das zierliche Gebulde von Spitzen und Blumen anprobiere und nach dem Preise frage. Er findet, ich sehe in dem Hütchen reizend aus. Es ist auch nicht einmal theuer, wenigstens im Verhältniß zur Leistung. Aber meinst Du, er hat es mir gekauft? Nicht im geringsten. Und aus welchem Grunde nicht? Weil er kein Geld hat. Denke doch nur: weil er kein Geld hat! Ist das überhaupt ein Grund?

In solchen Kleinigkeiten ist er mitunter entsetzlich pedantisch. Sagte ich mitunter? Eigentlich immer. Das ist entschieden seine Schwäche. Er bringt es über das Herz, mir eine Bitte abzuschlagen, deren Erfüllung ihn gar kein Geld kostet – nur weil sie thöricht ist. Aber wenn man etwas Vernünftiges bittet, versteht sich’s doch ganz von selbst, daß man’s bekommt. Gestern spielte er mit meiner kleinen Stickschere. Man kann nervös werden, wenn einer vor einem sitzt, das Ding mit beiden Händen faßt und immer auf und zu macht, als könnte er sich etwas aus der Luft schneiden. Nachdem ich ihm die Schere zehnmal vergeblich fortgenommen habe, behalte ich sie zuletzt in der Hand. Du, sage ich, weißt Du, daß es mich prickelt, Dir den Schnurrbart zu kürzen? Der Schnurrbart ist nämlich ein unantastbares Heiligthum. Ich greife danach, er zuckt zurück. Ach, bitte, bitte! – Sei nicht wunderlich, schilt er. – Aber ich möchte doch so gern ... Jetzt hätte ich wirklich wer weiß was darum gegeben, mein Vorhaben ausführen zu können. – Ach, Unsinn! – Aber was ist an den sechs ausgewachsenen gelben Haaren gelegen? Ich glaube wirklich, Du bist auf so etwas eitel. – Aber wie kommst Du auf einen so mörderischen Gedanken, Ki ... Er wollte Kind sagen, schluckte aber zu seinem Glück die letzten Buchstaben herunter. – Du thust mir nun einmal einen großen Gefallen, wenn Du erlaubst, Männchen ... Männchen hört er so ungerm, als ich Kind. – Ach, geh’! – Aber wenn ich Dich bitte! Kannst Du mir wirklich so ein Nichts abschlagen? – Mit kaltem Blute. - Da sehe ich, wieviel ich Dir gelte. Nun aber ist es mir eine Ehrensache, mich nicht abweisen zu lassen. – Eine Marotte. – Und wenn! Zeige mir nun einmal, daß Du mir gut bist. Gerade weil es Dich Ueberwindung kostet ... Er lacht mich aus. – Ich will mir die sechs Haare als ein theures Andenken in meiner Kapsel aufbewahren. Na? Laß mich sie abschneiden! Bitte, bitte! – Er nimmt mich beim Kopf und küßt mich ab. – Na? – – Ach dummes Zeug! – Und dabei bleibt’s. Dabei bleibt’s, Toni!

Ich habe Dir diese Verhandlung mit ganzer Umständlichkeit niedergeschrieben, um Dir einen Beweis von seinem Eigensinn zu geben. Du wirst sagen, es sei nicht einmal des Kaisers Bart, um den ich mich bemüht habe. Und ich gebe auch zu, daß ich ihn hinterher ohne die gelben Borsten, an die ich mein Auge gewöhnt habe, sehr komisch gefunden hätte. Aber ist es nicht ärgerlich, so gar keinen Willen zu haben?

Nein, ich habe wirklich ihm gegenüber gar keinen Willen. Bitten und streicheln und schmollen und kratzen hilft mir gar nichts. (Kratzen ist nur bildlich gemeint.) Er ist nicht aus seinem philosophischen Gleichmuth zu bringen. Und es ist doch eine unbezweifelbare Thatsache, daß er eine junge Frau hat (zwanzig nennst Du doch auch noch jung?) und nur zwölf Jahre älter ist als sie.

Du lachst – ja, ja, ich sehe Dich lachen. Die Sache ist aber gar nicht so spaßhaft, als sie scheint; glaube mir, sie hat auch sehr ihre ernste Seite. Es mag ja ein recht kindliches, meinetwegen kindisches Vergnügen sein, durchaus seinem Manne den Schunrrbart abschneiden zu wollen. Aber nun halte dagegen, daß Edwin, wie ich ihn auch aufziehe, wirklich nicht eitel ist – nicht einmal auf seine wunderschönen Verse, auf seinen gelben dünn ausgeschossenen Schnurrbart nun schon gar nicht. Es würde ihm nicht den mindesten Kummer verursachen, wenn einmal beim Anzünden der Cigarre die eine Seite in Flammen aufginge und nun auch die andere niedergemäht werden müßte. Ein launiges Gedicht auf dieses tragische Schicksal würde sicher nicht ausbleiben. Ich versichere Dich, er macht sich aus seinem Schnurrbart gar nichts; er behandelt ihn nicht einmal irgendwie liebevoll, sondern hat die Gewohnheit, ihn ganz unbarmherzig zu zupfen, zumal wenn er sich etwas ausdenkt. Wenn ich nun aber die Schere in die Hand nehme – ja, Bauer, das ist ganz ’was anderes! Du bist meine Frau und giebst einer Laune nach und willst gerade, was ich nicht will, und versuchst Deinen Machteinfluß. Also nein, nein und nochmals nein! Und wenn mir die sechs Haare die Nase wund kitzelten, Du sollst den Triumph nicht haben, sie mir mit Deiner Schere abgeschnitten zu haben! Aus der Maus ist ein Elefant geworden.

Findest Du nicht, Liebste, daß es sich hier um ein Prinzip handelt? Und habe ich nicht eine schmähliche Niederlage erlitten?

Noch eins! Erkennst Du nicht an, daß es räthselhafte Gelüste giebt? Du siehst etwas und empfindest ein Brennen in den Augen, ein Zucken in den Fingern, einen prickelnden Durst in der Kehle. Es ist ein Nichts, aber Du mußt es haben – Deine Seligkeit hängt daran. Und wenn es Dir entgeht, ist Dir im Augenblick die ganze übrige Welt nichts werth. Ja, ja, im Augenblick! Aber dieser Augenblick ist sehr ... Adieu!




3.

– – – Du hast Dir’s schwer zu Herzen genommen, liebste Seele, daß ich Dir schrieb, mein Mann habe kein Geld. Du sagst Dir sehr verständig schon selbst, daß dieser Ausspruch nicht wörtlich zu nehmen ist; für ein so unnützes Möbel wie einen neuen Hut behauptet er kein Geld zu haben, und ich muß ihm auch recht geben, daß mein alter eigentlich noch ganz neu ist. Du verlangst nun aber, daß ich mich einmal völlig ernst über unsere äußeren Verhältnisse, wie Du’s nennst, auslasse, damit Du klar siehst. Ja, habe ich Dir denn das alles nicht längst geschrieben?

Zwischen den Zeilen steht es gewiß.

Also ganz geschäftsmäßig trocken!

Es kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß ich mich eigentlich in einen Band Gedichte verliebt habe. Du kennst diesen Band Gedichte (er hat inzwischen bereits die vierte Auflage

erlebt) und weißt, wie liebenswürdig er ist. Damit behaupte ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_142.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2018)