Seite:Die Gartenlaube (1893) 143.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

nicht, daß jede Leserin es mir nachthun müßte. Ums Himmels willen, das wäre ja ein furchtbares Unglück! Ich will auch nicht den Satz vertreten, daß meine Empfänglichkeit für dergleichen lyrische Eindrücke im allgemeinen stärker ist als die meiner Mitschwestern. Aber wie sich jemand nun gerade in eine bestimmte Persönlichkeit verliebt, die auf andere durchaus nicht dieselbe Wirkung äußert, so kann auch ein Band Gedichte eine ganz bestimmte Physiognomie haben, die sich ohne die Möglichkeit eines Nachweises des Warum einem bestimmten Herzen in der Weise einprägt, daß das geistige Gefallen sich in einen sinnlichen Trieb umsetzt. Ich kenne eine große Zahl von Gedichtbänden, deren Inhalt mich lebhaft angezogen, warm angeregt, entzückt, bezaubert hat; aber die Empfindung des Verliebtseins habe ich nur bei diesem einen gehabt, und ich hoffe, daß keine andere sie mit mir theilt.

Natürlich war nun mein eifrigstes Bemühen, den Dichter kennenzulernen. Von Angesicht nämlich, in seiner Leiblichkeit, denn zu seinem geistigen Bilde fehlte mir kaum noch ein Zug. Ich neige, wie Du weißt, gar nicht zur Schwärmerei, bin aber von Natur leidenschaftlich und verfolge ein Ziel mit blindem Eifer. Es ist das ein Erbtheil von meinem Vater, dem General. Er nahm den Abschied, um eine Frau heirathen zu können, die der Gesellschaft nicht genehm war. Er starb früh und hinterließ uns nicht in glänzenden Verhältnissen. Die Pension und die Zinsen eines kleinen Vermögens meiner Mutter gestatteten ihr jedoch, mir eine Erziehung zu geben und mich als Tochter meines Vaters für den Umgang in Kreisen auszustatten, in denen es mir wohl sein konnte; sie hoffte, daß sich da auch mit der Zeit eine passende Partie für mich finden würde. So gelang es mir unschwer, in einigen Häusern Zutritt zu erhalten, in denen Edwin verkehrte. Er gehörte, nachdem seine Gedichte ihm einen Namen gemacht hatten, zu den Leuten, die man sich beehrt einzuladen.

Ich gestehe (heute kann ich’s ja wohl gestehen!), daß seine persönliche Bekanntschaft nicht ganz meine Voraussetzungen deckte. Einen Dichter und nun besonders den Dichter dieser poetischen Erzeugnisse, in die ich mich verliebt, hatte ich mir anders vorgestellt. Ich will nicht einmal an das Aeußere denken. Die wallende Mähne und das in holdem Wahnsinn rollende Auge ließ ich mir leicht in Abzug bringen und gewöhnte mich schnell an die kahle Stirn und den in sich gekehrten Blick, selbst an die steife Kravatte, die mit einem Byronschen flatternden Halstuch so gar keine Verwandtschaft hatte. Aber es fehlte auch das genialische Wesen, der Schwung der Rede, das Gedankenblitzen. Er sah nicht nur aus wie ein gewöhnlicher Mensch, sondern er benahm sich auch ungefähr so. Ja, es schien mir, als ob er Gewicht darauf legte, gerade so zu erscheinen. Erst als ich ihm näher trat, als er erkannte, in einem wie innigen Verhältniß ich zu seinen Geisteskindern stand, als er mir sein Innerstes zu öffnen begann, hob er sich weit hinaus über seine Umgebung und wuchs nach und nach vollkommen mit meinem Ideal zusammen. Ich hatte mich in einen Band Gedichte verliebt und nun liebte ich den Dichter, noch mehr: ich liebte den Menschen.

Und ich wurde wieder geliebt. Edwin besuchte uns in unserer bescheidenen Häuslichkeit, und bald sahen wir einander nur noch dort. Edwin hatte sich in die Gesellschaft ziehen lassen, legte aber auf ihre selbstsüchtigen Huldigungen keinen Werth und beklagte die Zeit, die er ihr eine Weile allzu reichlich gewidmet hatte. Er besaß ein starkes Unabhängigkeitsgefühl. Von Hause wenig bemittelt – sein Vater war Geistlicher auf dem Lande – hatte er Philologie studiert und den Doktorhut erworben, dann aber kein Lehramt übernommen, um ganz frei seinem dichterischen Beruf leben zu können. Seine Bedürfnisse waren gering, lächerlich gering. Ich bemühte mich, ihm zu beweisen, daß auch ich mit wenigem zufrieden sein könne. So betrachteten wir uns als zusammengehörig, bevor noch das Verlöbniß ausgesprochen war.

Ich hatte mir’s so hübsch zurechtgelegt, wie wir aus der Hand in den Mund wirthschaften wollten. Edwin sollte durch mich seine schöne Freiheit nicht einbüßen. Mit einem Dichter verheirathet zu sein, seine Wolkenflüge mit ihm zu theilen, welch reizende Aussicht! Ich konnte mir das Dachstübchen, in dem wir hausen würden, nicht klein genug, unseren Hausrath nicht bescheiden genug denken. Und das bißchen Essen und Trinken –! Das verdiente er so nebenher. Ich begriff gar nicht, weshalb er zögerte, da doch nur eine Form zu erfüllen war. Warum hob er mich nicht auf den Pegasus und ritt mit mir davon?

Der wunderliche Mensch hatte es ganz anders im Sinne. Erst als er bei meiner Mutter feierlich um meine Hand anhielt, erfuhr ich, mit was für philiströsen Bedenken er sich getragen hatte. Wie konnte er’s wagen, dem Fräulein Von, der Tochter des Generals, eine Heirath anzubieten, ohne eine gesicherte Lebensstellung nachzuweisen? Und nun hatte er sie nach heißem Bemühen errungen. Keine glänzende, aber doch eine auskömmliche selbst für ein ziemlich verwöhntes Weibchen. Ich war furchtbar erschreckt, fühlte mich im Augenblick wie aus allen Himmeln herabgestürzt, da mein Dichter so verständig rechnete. Er aber behauptete, es freue ihn recht, so von Herzen genöthigt zu sein, den Ast aufzugeben und ein Nest zu bauen; nähme ich mit Vogelfutter vorlieb, um so besser.

Edwin hatte durch Vermittelung angesehener Gönner die Stelle des Redakteurs beim Kunstblatt erhalten. Er nannte das ein großes Glück, denn sie gewährt etwa das Einkommen eines ersten Gymnasial-Oberlehrers. Wie viel das eigentlich ist, weiß ich noch heute nicht. Das Blatt steht sehr sicher. Der Verleger ist ein Millionär, wenn ich nicht irre, ein mehrfacher. Er wäre auch sonst ohne seine Frau ein ganz leidlicher Mensch. Seine Frau, freilich ... Aber von der erzähle ich Dir ein andermal, dieser Brief ist schon zu lang. Jedenfalls siehst Du, daß wir ganz wohlgestellte Leute sind, wenn’s auch zu einem überflüssigen neuen Hute nicht reicht. Glaube doch aber nur nicht, daß der Hut das einzige ist, was ich gern haben möchte und nicht bekomme. Ach! es vergeht kein Tag, an dem ich der Vernunft nicht Opfer zu bringen habe. Wenn ich heute daran denke, daß Edwin mich beim Worte hätte nehmen können, wird mir himmelangst. Man braucht soviel und hat nie genug.

Aber genial wär’s doch gewesen! Kann man nicht eigentlich vom Dichter verlangen, daß er genial handelt, wenn er genial denkt? Ist diese bürgerliche Gewissenhaftigkeit nicht verdächtig? Ich gestehe Dir, daß ich mir darüber viel Sorgen gemacht habe. Mit anderen Worten: kann ein Dichter ein guter Ehemann sein? Oder auch umgekehrt: kann ein guter Ehemaun ein Dichter sein? Und warum besingen die Dichter so spärlich ihre Frauen? Wohl aufzuwerfende Fragen, denke ich! Edwin schreibt jetzt ein Trauerspiel. Bin ich etwa seine tragische Schuld? – – –



4.

Wir waren gestern im Opernhaus. Für unser Geld, Schätzchen, und deshalb im zweiten Range. Etwas hoch und weitab, aber man hat sich’s doch selbst geleistet. Mein Mann ist zu stolz, um Freikarten zu bitten, die er doch unfehlbar erhalten würde. Du solltest nur wissen, wie viele von den besten Plätzen fast täglich durch Freigänger besetzt sind! Man sieht ja das Haus lieber voll als leer, und es ist doch am Ende ganz unverfänglich, königlicher Munifizenz etwas zu verdanken. Aber Edwin hat auch darin seinen eigensinnigen Kopf. Er bildet sich ein, auf solchem Freiplatz nicht den richtigen Kunstgenuß haben zu können. Den müsse man sich mit einer materiellen Entbehrung zu erkaufen haben. Ja, wenn sein Trauerspiel angenommen werden sollte, dann hätte er etwas geleistet! So ist er. Vorläufig verfügen wir über sechs Mark weniger.

Aber es war sehr schön. Man gab „Lohengin“ und die besten Kräfte waren betheiligt. Man kann diese Oper auswendig wissen, und ihre rührende Gewalt packt einen immer von neuem. Es liegt nicht so sehr in der Musik als in der Dichtung. Das war auch Edwins Meinung. Oder vielmehr: das war auch meine Meinung, denn Edwin gab diesem Gefühl zuerst Worte. Wagner habe de Seherblick des Dichters besessen, sagte er; das sei seine echteste Größe. Deshalb sei und bleibe er allen denen voraus, die nur Musik machten, soviel schöner sie auch sein möge. Er liebt nämlich Wagners Musik in den letzten große Tonschöpfungen gar nicht.

Ich wollte eigentlich von etwas anderem sprechen. Sage einmal aufrichtig, Toni, scheint Dir Elsa von Brabant mit ihrer Frage nach der Herkunft ihres Gatten so ganz unrecht zu haben? Warum soll sie nicht fragen? Ihr Mann weiß es, aber sie nicht. Für sie heißt es nur: Du sollst nicht fragen. Du sollst nicht! Ist das nicht ein ganz unwürdiger Standpunkt für eine Frau, die doch wahrlich schon eine sehr starke Probe von Hochherzigkeit abgelegt hat, wenn sie

sich dem Manne vermählt, den sie nur aus seiner Großthat kennt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_143.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2023)