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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


„Wie lange noch! In wenigen Monaten verläßt sie mich, um ihrem Gatten anzugehören und ich habe ein förmliches Grauen davor, einsam zurückzukehren in das ziel- und zwecklose Dasein. Sie ahnen nicht, Maja, wie ich Ihren Vater beneide. Er steht so fest und stolz auf dem Boden seiner Arbeit und seiner Erfolge, Tausenden schafft er Brot und Segen, die Liebe und Bewunderung aller umgiebt ihn und wird ihm dereinst in das Grab folgen. Wenn ich die Summe meines Lebens ziehe – was bleibt dann?“

Betroffen, fast erschrocken blickte ihn Maja bei diesen bitteren Worten an. Es war das erste Mal, daß Wildenrod ihr gegenüber einen solchen Ton anschlug; sie kannte ihn nur als den geistvollen Weltmann, der selbst da, wo er sich ihr vertraulich nahte, immer der ältere Mann geblieben war, welcher in halb tändelnder Weise mit einem jungen Mädchen verkehrte. Heute sprach er so ganz anders, heute ließ er sie einen Blick in sein Inneres thun und das überwand ihre Scheu. „Ich habe Sie glücklich geglaubt in diesem Leben, das in so lockendem Glanze erscheint, wenn Sie davon erzählen,“ sagte sie leise.

„Glücklich?“ wiederholte er düster. „Nein, Maja, ich bin es nie gewesen, nicht einen Tag, nicht eine Stunde lang.“

„Ja aber – warum haben Sie dann dies Leben so lange geführt?“

Oskar blickte in die klaren Kinderaugen, die sich mit ernster Frage zu ihm emporhoben, und unwillkürlich senkte sich sein Blick zu Boden.

„Warum? Ja warum lebt man denn überhaupt? Um das Glück zu erringen, von dem uns schon an der Wiege gesungen wird und von dem wir in der Jugend meinen, es liege da draußen in der weiten Welt, in der blauen Ferne. Ruhelos, fieberhaft jagen wir ihm nach, meinen immer wieder, es zu erreichen, während es weiter und weiter zurückweicht, bis es zuletzt verblaßt wie ein Schatten, bis wir endlich die ruhelose Jagd aufgeben – und mit ihr die Hoffnung!“ Es lag eine mühsam verhaltene Qual in den Worten, die den vollen Ton der Wahrheit hatten. Oskar Wildenrod kannte sie ja am besten, die wilde Jagd nach dem Glücke, das er gesucht hatte all die Jahre her – auf welchen Wegen freilich, das wußte nur er allein.

Das herbe Bekenntniß klang seltsam in dieser Umgebung, in dieser Frühlingswelt, wo alles nur Schönheit und Frieden athmete. Hell lag der Sonnenschein auf dem Spiegel des kleinen Sees, über den die Libellen mit bunten schillernden Flügeln traumhaft hinschwebten. Goldene Lichter fielen durch das junge Laub der Buche und spielten in dem zarten Maiengrün. Ringsum blühte der Flieder und erfüllte die Luft mit seinen Düften, dazwischen schimmerte der Goldregen, der seine leuchtenden Blüthentrauben tief herabsenkte, und das niedere Gesträuch war wie übersät mit wilden Heckenrosen. Es war ein Blühen ohn’ Ende und im Hintergrund stieg eine ferne blaue Bergwand auf und blickte ernst hinein in das kleine sonnige Eden.

Wildenrods Brust hob sich in tiefen schweren Athemzügen, als wollte er den Frieden und die Reinheit dieser Umgebung einathmen. Dann blickte er auf das junge Wesen an seiner Seite, auf das rosige Kinderantlitz, das so unberührt war von dem leisesten Hauch jenes Lebens, das er bis auf die Neige ausgekostet hatte. Aber die braunen Augen, die jetzt sich auf ihn richteten, schimmerten in Thränen, und eine leise Stimme sagte bebend: „Das klingt alles so hart, so verzweifelt, was Sie da sprechen. Glauben Sie denn wirklich an kein Glück mehr?“

„O doch, jetzt glaub’ ich daran!“ rief Oskar aufflammend „Hier in Odensberg habe ich wieder hoffen lernen. Es ist das alte Märchen von dem Kleinod, das man da draußen in der Welt auf tausend Wegen sucht, indessen es irgendwo im tiefen stillen Wald verborgen ruht, bis der Glückliche naht, der es findet – und vielleicht bin ich solch ein Glücklicher!“

Er hatte die Hand des jungen Mädchens ergriffen und schloß sie fest in die seinige. Mit jäher Gewalt erkannte Maja bei diesen Worten, dieser Bewegung, was bisher dunkel und unverstanden in ihrer Seele gelegen hatte; ein süßes Glücksgefühl stieg in ihr auf und doch zugleich wieder jene seltsame Angst, die sie schon bei der ersten Begegnung empfunden hatte, die Furcht vor jenem dunklen flammenden Blicke, der sie so willenlos zu bannen verstand. Ihre Hand zuckte in der des Freiherrn.

„Herr von Wildenrod –“

„Oskar heiße ich!“ unterbrach er sie mit stürmischer Bitte.

„Oskar – lassen Sie mich!“

„Nein, ich lasse Dich nicht!“ stieß er leidenschaftlich hervor. „Ich habe das Kleinod gefunden, nun will ich es auch fassen und halten mein Leben lang. Maja, es liegen Jahre, Jahrzehnte zwischen uns, ich habe Dir keine Jugend mehr zu bieten, aber ich liebe Dich mit der vollen heißen Gluth des Jünglings. Von dem Augenblick an, wo Du mir auf der Schwelle Deines Vaterhauses entgegentratest, wußte ich, daß Du mein Schicksal, mein Glück bist. Und auch Du liebst mich, ich weiß es – laß es mich nun auch von Deinen Lippen hören. Sprich, Maja, sage, daß Du mein sein willst! Du ahnst nicht, was dies Wort alles in mir erlösen und retten soll.“

Er hatte den Arm um sie gelegt, seine leidenschaftlich stürmischen Worte wehten wie Flammengluth über das zitternde Mädchen hin. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, unverwandt blickte sie zu ihm empor. Jetzt schreckten sie seine Augen nicht mehr, sie sah nur die glühende Zärtlichkeit darin, hörte nur das Geständniß seiner Liebe und jene ahnungsvolle Furcht ging unter in triumphierendem Glück. „Ja, ich habe Dich lieb, Oskar,“ sagte sie leise. „Grenzenlos lieb!“

„Meine Maja!“

Es klang wie ein Jubelruf. Oskar schloß sie in die Arme, er küßte wieder und wieder die lichten Haare, die rosigen Lippen seiner jungen Braut. Ein Rausch des Glücks war über ihn gekommen. Die Vergangenheit mit ihren dunklen Schatten versank, und dem Manne, der sich schon dem Herbste des Lebens nahte, erklang jubelnd die Botschaft, die rings aus all dem Blühen drang: der Lenz ist wieder da!

Nach einer Weile entwand sich Maja sanft seinen Armen, das liebliche Gesichtchen in Gluth getaucht.

„Aber mein Vater, Oskar – wird er einwilligen?“

Wildenrod lächelte. Er wußte, daß der Unterschied des Alters zwischen ihm und seiner jungen Braut bei Dernburg schwer ins Gewicht fallen, daß er dessen Einwilligung weder leicht noch schnell erhalten würde, aber das schreckte ihn nicht. „Dein Vater will Dich nur geliebt und glücklich sehen, ich weiß es aus seinem eigenen Munde,“ sagte er mit überströmender Zärtlichkeit. „Und meine Maja, mein süßes holdes Kind, Du sollst geliebt und glücklich sein!“

(Fortsetzung folgt.)




Durch Kansas.
Von Rudolf Cronau.

Wir fahren von Colorado gen Osten. Wie ferne Wolkengebilde leuchten noch hinter uns am Horizonte die Schneefelder und das blaue Gezack der Felsengebirge. Mit Windeseile rollen wir in das nach Osten abfallende Prairieland hinab, das sich, gleich einem Ocean in seiner Ausdehnung und Eintönigkeit, breit und wellenlos über 600 Meilen weit bis zum Missouri- und Mississippithale dehnt, jeglicher Erhebungen und Hügel entbehrend und nur von trägen, sandigen, unschiffbaren Strömen durchschnitten. Ueberall weht das vielgerühmte, mit Myriaden von Blumen durchwirkte Büffelgras, welches zur Frühlingszeit durch sein frisches saftiges Grün der ganzen Landschaft einen ungemein traulichen, im Herbste aber, gelb und verbrannt, den Charakter ernster großartiger Oede verleiht.

Diese Ebenen strotzten einst von Leben. Auf alten Landkarten der Union, welche neben den politischen Angaben auch die Naturgeschichte jeder Sektion zeigte, ist auf dem Distrikte, welcher jetzt Kansas heißt, ein Büffel abgebildet, wie Utah durch einen Bären, Nebraska durch eine Antilope, Iowa durch einen Biber bezeichnet war. Und Büffel gab es damals auf den Prairien von Kansas und zwar in so unglaublicher Menge, daß uns die kaum drei bis vier Jahrzehnte alten Berichte glaubwürdiger Reisenden heute wie abenteuerliche Phantasiegebilde erscheinen wollen. Wird doch angegeben, daß unabsehbare Büffelherden die Prairien bedeckten, so weit das Auge reichen mochte, und daß diese Herden die ersten Bauzüge der Pacificbahnen mitunter zu stundenlangem Warten zwangen, bis der letzte der riesigen Wiederkäuer vorübergezogen war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_152.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)