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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Oskar lachte laut und bitter auf. „Mit diesen Händen vielleicht? Weißt Du, was es heißt, um das tägliche Brot zu ringen? Dazu muß man erzogen sein – unsereins verhungert dabei!“

„Ich kann aber nicht bleiben, jetzt wo mir die Augen geöffnet sind, ich kann nicht! Versuche nicht, mich zu zwingen, oder ich sage Erich noch in dieser Stunde, daß ich ihn nicht liebe, ihn nie geliebt habe, daß unsere Verlobung einzig Dein Werk gewesen ist!“

Oskar erbleichte. Cäcilie war seiner Macht entwachsen, mit Befehlen und Drohungen ließ sich hier nichts ausrichten, so griff er denn zu einem letzten Mittel.

„So thue es,“ sagte er plötzlich kalt und entschlossen, „vernichte Dich und mich! Denn für mich handelt es sich hier um Sein oder Nichtsein. Vor einer Stunde habe ich mich mit Maja verlobt.“

„Mit wem?“ Cäcilie sah ihn an, als verstehe sie die Worte nicht.

„Mit Maja. Sie liebt mich, es bedarf nur noch der Einwilligung Dernburgs. Führst Du einen Bruch mit Erich herbei, deutest Du ihm die Wahrheit an, so ist auch mir Odensberg für immer verschlossen und dann – folge ich dem Beispiele unseres Vaters.“

„Oskar!“ Es war ein Aufschrei des Entsetzens.

„Ich thue es, mein Wort darauf! Glaubst Du, daß es mir leicht geworden ist, das Leben eines Abenteurers zu führen, mir, einem Wildenrod? Weißt Du, was ich gelitten habe ehe es dahin kam? Wie oft ich nachher versuchte, mich emporzureißen? Immer umsonst! und nun endlich naht mir die Rettung, die Erlösung durch die Hand eines holden Kindes, nun erfasse ich es endlich, das so lange gesuchte, so heiß ersehnte Glück – und in dem Augenblick, wo ich es in die Arme schließe, soll es mir wieder entrissen, soll ich zurückgeschleudert werden in den alten Fluch? Das ertrage ich nicht! Eher das Ende!“

Es lag eine eiserne Entschlossenheit auf seinen Zügen, in seinem Tone; das war keine leere Drohung. Cäcilie schauderte.

„Nein,“ flüsterte sie. „Nein, nein, nur das nicht!“

„Ist es denn etwas so Furchtbares, was ich von Dir fordere?“ fragte Wildenrod milder. „Du sollst ja nur schweigen und diese unselige Stunde vergessen! Ich habe Dich retten wollen aus dem Leben, in das ich Dich führen mußte, noch ehe Dir die Augen darüber aufgingen, und jetzt rette ich mich mit Dir. Ich werfe die Vergangenheit hinter mich und beginne ein neues Leben. Hier in Odensberg öffnet sich mir ein neues großes Feld, und Dernburg soll in mir finden, was sein Sohn ihm nicht sein kann. Du wirst Erichs Gattin, er liebt, vergöttert Dich, Du kannst ihn glücklich machen und selbst glücklich sein an seiner Seite!“

Er hatte sich zu ihr herabgebeugt, und seine Stimme hatte einen weichen Klang, aber die Augen seiner Schwester blickten mit einem unendlich wehen Ausdruck zu ihm empor.

„Wie soll ich Erichs Nähe, seine Zärtlichkeit jetzt noch ertragen? Schon die wenigen Minuten vorhin sind eine Folter für mich gewesen. Und wenn ich Runeck wieder begegnen und in seinen Augen dieselbe tödliche Verachtung lesen müßte wie heute früh, ohne daß ich mich dagegen erheben könnte – Verachtung von diesem Runeck!“

Aus dem letzten Wort klang ein verzweifelnder Schmerz. Wildenrod stutzte und heftete einen forschenden Blick auf sie.

„Fürchtest Du seine Verachtung so sehr?“ fragte er langsam. „Sei ruhig, er wird nach jenem Auftritt selbst jede Begegnung vermeiden, in den Familienkreis kommt er ohnehin nicht mehr. Alles andere überlaß mir! Du sollst nur ruhig sein und schweigen. Versprichst Du’s mir?“

„Ja!“ murmelte Cäcilie kaum hörbar.

Oskar beugte sich nieder und berührte mit den Lippen ihre Stirn. „Ich danke Dir! Und nun will ich Dich wirklich allein lassen, denn ich sehe, daß Du dies Gespräch nicht länger erträgst.“

Er wandte sich zum Gehen, blieb aber noch einmal stehen, und wieder traf ein durchdringender Blick ihr Gesicht. „Egbert Runeck ist unser Feind, ein Todfeind, der Dich und mich vernichten will und dem ich Kampf bieten muß bis aufs Messer – vergiß das nicht!“

Cäcilie gab keine Antwort, aber ihr ganzer Körper bebte wie im Fieber, als die Thür hinter ihrem Bruder zufiel. Die Wahrheit, die er ihr nicht mehr zu verhüllen suchte, hatte ihr Innerstes getroffen. Die bunte glänzende Welt der Freude und des Genusses, die sie bisher allein gekannt, lag zertrümmert zu ihren Füßen, der Fels war gespalten – was barg sich in seiner Tiefe?




Wochen waren vergangen, der Frühling hatte Abschied genommen und der Sommer war gekommen in seiner vollen heißen Pracht. In Odensberg begann man schon Vorbereitungen zu treffen für die Vermählungsfeier, die auf die letzten Tage des August festgesetzt war. Nach der Trauung sollte eine größere Festlichkeit stattfinden, die den ganzen Umgangskreis des Dernburgschen Hauses vereinigte, und unmittelbar darauf wollte das junge Paar seine Hochzeitsreise nach dem Süden antreten.

Auch die Beamten und Arbeiter der Odensberger Werke beabsichtigten, sich an dem Feste zu betheiligen. Es galt eine Huldigung für den Chef bei der Vermählung seines einzigen Sohnes und Erben. Der Direktor stand an der Spitze eines Ausschusses, der einen großartigen Festzug plante, und alle waren mit vollem Eifer bei der Sache.

Aber trotz dieser festlichen Vorbereitungen lag es doch wie eine Wolke über dem Herrenhause und dem Dernburgschen Familienkreise. Dernburg selbst war durch allerlei äußere und innere Vorkommnisse verstimmt, die bevorstehenden Wahlen zum Reichstage begannen selbst sein Odensberg in Mitleidenschaft zu ziehen, und er wußte nur zu gut, daß auch hier Aufreizungen und Einflüsterungen stattfanden. Offen geschah das allerdings nicht, dazu hielt er die Zügel zu fest in der Hand, aber er vermochte nicht der geheimen und eben deshalb gefährlichen Thätigkeit zu steuern, mit welcher die sozialdemokratische Partei auf seinen bisher so unbedingt behaupteten Werken Schritt um Schritt vordrang.

Ueberdies machte ihm Erichs Gesundheit von neuem ernstliche Sorge; er hatte fast ganz darauf verzichten müssen, den Sohn, wie er gehofft und gewünscht, in seinen künftigen Beruf einzuführen. Der junge Mann kränkelte fortwährend, bedurfte nach wie vor der größten Schonung, und von einer regelmäßigen Thätigkeit war nicht die Rede. Endlich kam noch Wildenrods Werbung und Majas offen eingestandene Liebe, die Dernburg mit dem äußersten Befremden, ja beinahe mit Unwillen aufgenommen hatte.

Der Freiherr hatte noch an demselben Tage, an dem er sich dem jungen Mädchen erklärt, bei dem Vater um ihre Hand angehalten, aber einen viel entschiedeneren Widerstand gefunden, als er erwartet hatte. So sehr Dernburg persönlich für ihn eingenommen war, der Gatte, den er für seine Tochter wünschte, war Oskar nicht, und der Gedanke, das sechzehnjährige Kind einem Manne zu vermählen, der dem Alter nach ihr Vater hätte sein können, war ihm ebenso unfaßbar wie die Erwiderung dieser Leidenschaft von seiten Majas. Die Bitten seines Lieblings erreichten es freilich, daß er das anfängliche Nein nicht aufrecht erhielt, aber ebensowenig war er zu bewegen, jetzt schon seine Einwilligung zu geben. Er erklärte mit aller Entschiedenheit, seine Tochter sei noch viel zu jung, um sich schon für das ganze Leben zu binden, sie solle warten, sich prüfen, in zwei Jahren wolle man wieder von der Sache reden.

Warten! Das war ein verhängnißvolles, ein unmögliches Wort für den Mann, der mit der Minute rechnen mußte, und doch blieb ihm für den Augenblick nichts anderes übrig, denn Maja wurde seinem Einfluß entzogen. Er selbst hatte allerdings nach jener Werbung einen leisen, aber doch verständlichen Wink erhalten, daß unter diesen Verhältnissen das tägliche Zusammensein nicht aufrecht zu erhalten sei, indessen Odensberg jetzt verlassen, hieß soviel als sein Spiel verloren geben. Es galt, wachsam zu sein und der Gefahr zu begegnen, die seit jener Drohung Runecks wie eine Wetterwolke über seinem Haupte hing. Und er mußte auch seiner Schwester zur Seite bleiben, um sicher zu sein, daß sie das ihr abgerungene Versprechen halte – sie war unglaublich verändert seit der unglücklichen Stunde. Er hatte also jenen Wink nicht verstehen wollen und war geblieben. Aber da griff Dernburg sofort mit seiner gewohnten Entschlossenheit ein und sandte seine Tochter, unter dem Vorwande eines Besuches, zu einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_182.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)