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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Ach Toni, wie es in mir aussieht –! Ich kann Dir’s gar nicht beschreiben. Ich komme auf Gedanken ...

Giebt’s denn wirklich kein Mittel, diesen Widerstand zu brechen? Ist eine Frau so ohnmächtig? Und man sagt doch ...

Ich will diesen Brief auf der zweiten Seite schließen. Wer weiß, was ich Dir sonst noch für häßliche Geständnisse zu machen hätte?




17.

Ich bin nicht eitel, Toni, Du kannst mir’s bezeugen. Aber ich habe heute früh, als ich mich ankleidete, lange vor dem Spiegel gestanden. Der Frisiermantel war mir von den Schultern geglitten, ich kämmte das aufgelöste wellige Haar über Arme und Nacken. Und zum ersten Male kam mir die Frage: bist Du schön, und welche Macht übt Dein körperlicher Reiz? Wenn Du Dich Deinem Mann so zeigtest mit einer Bitte auf den Lippen ... Nein, nicht einmal so. Wenn Du Dein Gesicht lieblich lächeln, Deine Augen zärtlich locken, Deine Hände sanft streicheln, Deine Arme sich verlangend ausbreiten ließest – könnte er Dir etwas abschlagen?

Ich erröthete bis zur Stirn hinauf – auch das sah ich im Spiegel. Und ich fragte mich, wenn ich so vor meinem Mann erröthete ...

Ach, es ist abscheulich! Ist es nicht abscheulich, so auch nur wach zu träumen?

Ich kenne mich gar nicht mehr.

Du hast mich manchmal „eine alte Jungfer“ genannt, Toni – damals, als wir beide so um die sechzehn Jahre herum alt waren. Ich trug gern Kleider, die ganz oben um den Hals dicht schlossen; es war mir stets ein unbehagliches Gefühl, mich für den Ballsaal ankleiden zu müssen; ich hob immer auf der Straße bei schlechtem Wetter oder beim Absteigen von der Pferdebahn so „komisch vorsichtig“ den Rock, wenn ich mich beobachtet glauben durfte. So ist es noch immer. Denke Dir, ich lösche im Schlafzimmer stets halbbekleidet das Licht und dulde auch keine noch so diskrete Nachtlampe. Zimperlichkeit ist sonst nicht mein Fehler, auch im Umgang mit Männern nicht. Und nun gar mit meinem Mann! Nein wirklich, er hat sich nie darüber zu beklagen gehabt. Aber ihn in mich verliebt zu sehen hat mich allemal so ganz eigen beunruhigt. Und ihn in mich verliebt zu machen – nein, Toni, das hätte ich nicht über mich gebracht, und wenn mir dafür alle Schätze Golkondas gewinkt hätten. Dafür erst recht nicht! Aber auch nicht einmal, um ihm die unschuldigste Kleinigkeit abzuringen. Die Scheu mich hinterher vor mir selbst schämen zu müssen – Du begreifst das. Was er mir nicht aus Liebe that, behielt für mich keinen Werth. Nie habe ich seiner Zärtlichkeit irgend ein Zugeständniß verdanken mögen; und ich unterschied da sehr scharf. Sehr scharf! Vielleicht ganz unbewußt. Wirklich ganz unbewußt. Erst jetzt denke ich darüber nach, wo ich allen Ernstes überlege ...

Was verkehrt so meine ganze Natur? Das immer leidenschaftlichere Verlangen, in diesem aufgezwungenen Wettkampf mich zu behaupten, macht mich krank – sterbenskrank. Ich fiebere, ich phantasiere. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ein üppiges Weib tanzen um das Haupt Johannes’ des Täufers. Es ist eine dämonische Gewalt, was mich aus aller Fassung bringt. Kann ich etwas gegen sie?

Weil ich noch daran glaube, schreibe ich Dir das alles, meine Gedanken zu reinigen. Du bist meine Freundin.

Ich müßte zu tief hinunter! Edwin etwas ablisten, abschmeicheln, von den Lippen küssen – – Wie ich bin, wär’s ein Wagniß auf Leben und Tod. Bliebe er standhaft, so wäre ich mir rettungslos verloren.

Ich zittere, daß er standhaft bleiben könnte.

Aber er wäre der erste Mann ...

Ich habe die Feder zerstampft. Nur noch mit Bleistift: Gute Nacht, Liebste!




18.

Telegraphische Depesche.

Triumph, Triumph! Das Ziel ist erreicht. Wie glücklich ich bin! Brief folgt.




19.

Der Brief, den ich Dir versprochen habe, ist eigentlich ganz überflüssig, liebe Toni. Edwin hat nachgegeben, das sagt alles. Das Schreiben an Frau Hermia chaben wir gemeinsam redigiert. Jeder Satz hat ihm zehn Seufzer ausgepreßt. Er ist unglaublich schwerfällig, wenn es gilt, ein paar Redensarten zu drechseln. Das soll alles nicht auf die gewöhnliche Art gesagt werden! Und wer es liest, nimmt doch nur den Sinn heraus. Gnädige Frau, ich habe mich anders besonnen. Was weiter?

Denke doch nur nicht, Liebste ... Herr Gott! was mag ich Dir neulich für Unsinn geschrieben haben? Mir wird ganz heiß. Ich hoffe, daß Du den Brief verbrannt haben wirst. Wenn nicht, so thu’s sogleich. Ueberhaupt verbrenne stets meine Briefe. Sie sind nur für Dich, und sie wollen auch von Dir nur einmal gelesen sein. Ich glaube wirklich, Du bildest Dir ein ... Das hat man nun von der Aufrichtigkeit.

Meine Nerven waren überspannt, leisteten mir schlechte Dienste. In den letzten Tagen fürchtete ich wirklich mitunter, um den Verstand zu kommen. Du kannst Dir so einen Zustand gar nicht vorstellen. Man verwildert vollständig. Es giebt Zahnschmerzen, die einen ganz toll machen; man will nur Ruhe haben und wählt endlich die gefährlichsten Mittel in halber Bewußtlosigkeit. Und wenn es den Kopf kosten sollte! Aber denke nicht ... Ja, was?

Es machte sich eigentlich ganz von selbst. Ich hatte ja schon zu Blicken und Thränen meine Zuflucht genommen. Wie wenig fehlte da, daß mein Herz weich wurde und seine Sprache zu reden anfing, die sich bekanntlich nicht nur aus Worte zusammensetzt. Und Edwin war längst mürbe geworden. Es sah nur noch so aus, als ob er seine Unerschütterlichkeit behauptete; innerlich waren die Stützen wankend geworden. Und wie ich nun mit sanfter Hand ... Es war mir wirklich Bedürfniß, dem lieben Menschen zu beweisen, daß ich ihm gut sei. Und weißt Du – ich selbst war nahe daran, schwach zu werden und in seinen Armen opfermüthig zu bekennen, daß ich eine rechte Thörin gewesen und ihn gewähren lassen wolle, wenn ich nur seiner Liebe versichert bleibe. Vielleicht nur noch wenige Minuten ... Aber es ist besser so. Nicht wahr? Es ist besser so. Es war doch ein großer, unvergeßlicher Augeblick! Und wer weiß, ob ich die Seelenstärke gehabt hätte, nicht zu bereuen.

Wird Edwin sie besitzen? Ich hoffe es. Ach! ich will es ihm ja so leicht machen ...

Ganz freilich gefällt er mir heute nicht. Es ist, als ob es ihm Mühe verursachte, den Kopf hoch aufzurichten, wie er sonst pflegt. Er ist sehr still und leicht gereizt, wenn ich ihn zu erheitern bemüht bin. Sein Blick hat etwas Flimmerndes, und alle seine Bewegungen sind schlaff wie von übergroßer Ermüdung. Natürlich beobachte ich ihn aufmerksam. Das scheint ihm nicht lieb zu sein. Und doch entzieht er sich mir nicht. Sicher fühlt er, daß er mir den Beweis schuldig ist, allen Unmuth abgeschüttelt zu haben. Das kostet ihn aber größere Anstrengung, als er selbst wahr haben möchte. Ich habe dafür durchaus Verständniß. Es ist ja doch das erste Mal, daß er seiner kleinen Frau zuliebe – nun, meinetwegen eine Thorheit begangen hat. Es sollte ja auch nur eine Thorheit sein. Denn wenn er in einer wirklich wichtigen Sache gegen seine Ueberzeugung nachgegeben hätte – ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen könnte. Heute jedenfalls wohl nicht mehr.

Ueberhaupt, liebste Freundin, es ist wunderlich, was der Mensch für ein unzuverlässiges Geschöpf ist. Wenn ich nicht ganz scharf meine Gedanken zusammennehme, bilde ich mir heute ein, daß ich gestern im Innersten gar nicht so wild darauf versessen war, mein Stück durchzusetzen. Und das ist gewiß: wenn Edwin widerstanden hätte, ich würde es überwunden haben. Aber es ist doch besser so. – – –




20.

Kannst Du Dir eine solche Bestialität als möglich vorstellen, Toni? Edwin ist seine Stelle gekündigt worden. Mit drei Monaten Frist. Aber er hat sofort erklärt, daß es seinen Wünschen entsprechen würde, das Amt in den nächsten Tagen schon seinem Nachfolger übergeben zu können. Er entbinde den Chef gern von seiner kontraktlichen Pflicht, die unter den jetzigen Umständen zu erfüllen ihm selbst nur eine Pein sein würde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_196.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2020)