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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Dich peinlich, nachdem das heitere Spiel mit Enthüllungen, Anklagen und Vertheidigungen in bitteren Ernst sich umgewandelt hatte. Meine Schreibseligkeit verführte mich schon zu freundschaftlichen Offenbarungen, die nach Deiner eigenen Meinung nicht mehr verträglich schienen mit der Pflicht, Störungen des ehelichen Friedens auch vor unseren Nächsten geheim zu halten. Ich hatte mich in diese kleinen Indiskretionen so hinein geplänkelt, daß der Rückzug später schwer wurde. Ich glaube, ich wollte mich begreiflich machen, und zuletzt mußte ich doch erkennen, daß das ein recht eitles Bemühen ist. Man sagt immer zu wenig und zu viel, und der letzte Grund unseres Handelns ist unaussprechlich.

Nun aber zwingt mich’s wieder zu Dir: ich nehme einen Freundschaftsdienst in Anspruch, der nicht gering ist. Deshalb mußt Du erfahren, was mich dazu veranlaßt.

Es ist uns sehr schlecht ergangen – mit jedem Tage schlechter. Edwin fand trotz aller Bemühung keine Stelle, die ihm zusagen konnte. Er wechselte mehrmals rasch und wurde so zu kostspieligen Umzügen genöthigt, die ihn in Schulden brachten. Er mußte als politischer Redakteur thätig sein, wozu er keine Neigung, kein Geschick hatte. Für ein wahres Lumpengeld verlangte man eine ungemessene Arbeit und den Verzicht auf jede Selbständigkeit der Gesinnung. Ueberall wog die geschäftliche Rücksicht vor, wurde in der kleinlichsten und jämmerlichsten Weise lediglich auf den äußeren Vortheil spekuliert. Und dazu Edwin mit seinen idealistischen Anschauungen und dichterischen Neigungen! Ich hätte ihm tausendmal zurufen mögen: wirf ab, was Dir den Rücken drückt, stelle Dich frei! Aber wie durfte ich das? Er mußte leben und – hatte eine Frau zu versorgen. Es wurde mir mehr und mehr eine traurige Pflicht, ihn zum Ausharren zu ermuthigen, zu neuen Bemühungen anzutreiben, zur Fügsamkeit gegen die traurigste Nothwendigkeit zu überreden. Er beugte sich immer wieder, aber mit immer schwererer Ueberwindung. Je mehr er die Herrschaft über sich verlor, um so fester mußte ich die Hand auf die Zügel legen. Endlich versagte er jeden weiteren Schritt auf diesem Wege, nicht aus kräftiger Gegenwehr, sondern aus völliger Uebermüdung. Er erklärte, mit der dürftigsten Häuslichkeit zufrieden sein, aber freie Zeit zu selbstgewählter Thätigkeit gewinnen zu wollen. Er habe ein Werk geplant, das ihn wieder auf die Höhe stellen müsse; aber es könnten viele Monate vergehen, bis es druckfertig sei. Hätte das seinen Verleger gefunden, so wäre uns geholfen.

Ich war innerlich überzeugt, daß so nicht geholfen werden konnte. Edwin hätte imstande sein müssen, dem Bedürfniß der breiten Masse entgegenzukommen, seine reichen und gediegenen Kenntnisse feuilletonistisch zu verwerthen, leichtfertige Romane zu schreiben. Dazu fehlt ihm die Begabung. Und nun in dieser Gemüthsunruhe –! Ich mußte ihn doch gewähren lassen.

Wir verkauften, was uns irgend noch entbehrlich war. Wir mietheten ein Stübchen mit Kochraum im Hinterhause vier Treppen hoch. Ich verschaffte mir einen kleinen Verdienst durch Handarbeit für Läden. Es war ein Hungerbrot. Und es geschah, was ich vorausgesehen hatte: Edwin zermarterte seinen Kopf am Schreibtisch und brachte nichts aufs Papier, was ihn befriedigte. Er behauptete, meine Nähe störe ihn, lasse seine Gedanken nicht zu sich selbst kommen. Zu meinem Schrecken bemerkte ich, daß er immer wieder zum Anfang zurückkehrte, denselben Satz immer wieder anders formulierte. Und eines Abends war es gewiß, daß ein Nervenfieber ihn erfaßt hatte, daß er am nächsten Morgen nicht mehr die Feder zur Hand nehmen werde. Das war ein furchtbarer Schlag.

Ich will nicht versuchen, Dir die nun folgende Leidenszeit zu schildern. Die Krankheit dauerte viele Wochen lang an. Hätte sich der menschenfrenndliche Armenarzt nicht weit über seine amtliche Pflicht hinaus unserer angenommen, ich weiß nicht, was aus uns geworden wäre. Mehrmals war ich schon nahe daran, Dich um eine Unterstützung anzugehen, aber ich schämte mich, Dir dieses Elend offenkundig zu machen. Ich wußte ja auch, daß Du wenig bemittelt bist – und zuletzt hörte alle Spannkraft auf, ich willigte ein, daß mein Mann ins öffentliche Krankenhaus gebracht wurde.

Vor einigen Tagen ist er daraus als gesund entlassen worden und zu mir zurückgekehrt. Er ist aber nicht gesund, er krankt unheilbar – an seiner Frau. Jetzt erst zeigt sich die ganze Verwüstung unseres Eheglücks. Die Noth wäre vielleicht zu ertragen, aber – wir finden uns nicht mehr zueinander. Edwin schämt sich vor mir – ja, ja! das ist der tiefste Grund seines Leidens. Er betrachtet mich wie eine Last, die ihn nicht mehr frei aufathmen läßt, und ich höre ihn unter ihr keuchen. Er hat nicht einmal mehr den moralischen Muth, mich zu belügen. Er liebt mich nicht mehr.

Und ich –? Mein Benehmen gegen ihn ist häßlich. Ich kann’s nicht überwinden, ihn so in sich selbst erniedrigt zu sehen, mich fortdauernd als seinen Vorwurf zu fühlen. Ich sehe ein, daß ich ihm nur noch ein Hinderniß auf seinem dornigen Lebensweg sein kann, und deshalb bin ich entschlossen – – ihn zu verlassen. Ist er allein, so wird er sich wieder aufrichten, und mein Gewissen kann beruhigt sein.

Ich gebe ihn frei; er soll weiter keine Pflicht gegen mich haben, ganz sich selbst leben können. Bei dieser Trennung will ich der schuldige Theil sein. Deshalb verlasse ich ihn heimlich, und er soll sich trösten dürfen: es ist gut so; sie war dieser Prüfung nicht gewachsen.

Und nun meine Bitte. Nimm mich bei Dir auf, Toni, für die erste Zeit wenigstens. Ich will nicht zu meiner Mutter. Sie würde mich gar nicht verstehen, stündlich mit Vorwürfen quälen, mich um den Rest von Selbstachtung bringen, mit dem ich jetzt doch wuchern muß, um mich zu erhalten.

Ich warte Deine Antwort nicht ab. Könnte sie freudig zustimmend lauteu? So ist’s besser, ich lasse Dir keine Wahl, wie ich selbst keine Wahl habe. Auf baldiges Wiedersehen!




23.

Drei Tage später.

Es ist anders gekommen, Liebste – ganz anders.

Edwin hat mich verlassen.

Und auf Nimmerwiederkehr.

Früh am Morgen wollte ich weggehen. In dieser letzten Nacht aber ...

Der Schlaf hatte mich übermannt, und als ich aufwachte, fand ich sein Bett leer. Auf seinem Kopfkissen lag ein Blatt Papier, mit wenigen Zeilen beschrieben. Sie sagten mir alles.

Ich kam zu spät, seinen unseligen Entschluß zu hindern. Im Schloßteich fand man ihn, nahe dem Schwanennest.

Heute Abend werde ich ihn ganz still begraben. Dann reise ich zu meiner Mutter.

„Nun ist all unser Glück dahin“ 000000

Elsa. 


Blätter und Blüthen.


Das Münchener Kunstgewerbe auf der Ausstellung in Chicago. „Es darf sich sehen lassen!“ das sagte mit Befriedigung jeder, der diesen Winter trotz der grimmigen Kälte vor den Fenstern des Kunstgewerbevereins zu München verweilte. Allmählich tauchten dort immer mehr Prachtstücke auf mit großen Zetteln, auf denen zu lesen stand: „Für Chicago“. Keine deutsche Stadt, Berlin mit einbegriffen, besitzt eine permanente Ausstellung von solchem künstlerischen Glanze, weil nirgends sonst Kunst und Handwerk so tief und innig verbunden sind wie in München. Die ersten dekorativen Künstler, zum großen Theil Handwerkersöhne, bringen aus der väterlichen Werkstatt eine natürliche Geschicklichkeit und Findigkeit mit, die dann ihren Werken das kraftvolle, grnndoriginelle Gepräge verleiht, das sich neben den elegantesten französischen Luxusgeräthen zu behaupten weiß. Ein Prachtstück dieser Art z. B. entzückte alle Kenner, ein kaum meterlanges „Piratenschiff“ vom Bildhauer C. Fischer, als Saalzierde von der Decke hängend gedacht, mit einem bösartigen drohenden Schiffsschnabel, trotzigem Balken- und Eisenwerk, Ketten statt Tauen, blutrothen Drachensegeln und schwerbeschlagenen Seiten, ein Stück echter Seeräuberromantik, wie aus den Novellen des Cervantes herausgeschnitten. Daneben hing ein hochgetakeltes „holländisches Vollschiff aus dem 17. Jahrhundert“, bis ins kleinste einer jener pomphaften Prachtfregatten mit vergoldetem Bugspriet und stockwerkhohen Wänden nachgebildet. Diese beiden Stücke dürften wohl den Weg in einen amerikanischen Prunksaal finden. An die Deutschen drüben wendet sich dafür ausschließlich ein sehr schöner Wandschirm von Professor Louis Braun, dessen fünf Felder von fünf kraft- und charaktervollen Kürassiergestalten ausgefüllt sind. Der Pappenheimer aus dem Dreißigjährigen Kriege macht den Anfang, ihm folgt ein österreichischer Kürassier aus der Türkenzeit, ein preußischer aus dem Siebenjährigen ein bayerischer aus dem Befreiungskrieg, und den Beschluß macht ein junger Hüne in der Uniform des preußischen Garde-Kürassierregiments. – Der sonstige Reichthum an Prachtspiegeln und Büsten, Zimmereinrichtungen, Schnitz- und Juwelierarbeiten, auch an wunderschönen Stickereien von künstlerisch geschulten Damen, alles dies und unendlich viel mehr vereinigt sich zu einem Ganzen, an welchem sicherlich unsere deutschen Landsleute drüben ihre stolze Freude haben werden. Sie seien hiermit im voraus darauf aufmerksam gemacht!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_199.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2020)