Seite:Die Gartenlaube (1893) 224.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Anweisung?“ – wieder war es Frau von Méninville gewesen, die halblaut und bescheiden an diese nothwendige Form erinnert hatte – „Gewiß ... lassen Sie das aufsetzen .. ich werde unterschreiben.“

Wenn die Pfalzgräfin die Sprache der Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte redete, hatte sie immer etwas von einem altklugen Kinde, das diese und jene Wendung von den Erwachsenen aufgefangen hat. Nach Kinderart verfuhr sie auch mit ihrer Signatur. Zuweilen unterschrieb sie alles in Bausch und Bogen, viel zu ungeduldig und träge, um sich mit dem Inhalt der ihr vorgelegten Aktenstücke ordentlich bekannt zu machen. Und dann wieder, je nachdem ihre Laune stand, wurde sie mißtrauisch und störrisch, witterte Bevormundung von seiten der alten erfahrenen Beamten und es war irgend eine nothwendige Unterschrift von ihr Wochen hindurch nicht zu erhalten. „Wenn wir nicht alle so ehrlich wären, Herr Landforstmeister,“ hatte noch neulich der alte Rentamtmann Döberlein zu dem Herrn von Nievern bedeutsam gesagt, „ja, ja, wenn wir nicht alle so ehrlich wären!“

Herr von Nievern verbeugte sich in Anerkennung der ertheilten Vollmacht und blätterte dann noch einmal in seinen Papieren. Er suchte nach einer Notiz, die er sich gemacht hatte. Da war es. „Die Hubertsteiner Jagd,“ sagte er, „würde noch weit ergiebiger sein, wenn es Dero Pfalzgräflichen Gnaden gelänge, den an die Herren von Leyen seiner Zeit abgetretenen Theil wieder in Ihren Besitz zu bringen. Er ist –“ er blickte in seine Aufzeichnungen – „fünfzig Morgen groß, also von gar nicht unbedeutendem Umfang, liegt als Enklave mitten in den fürstlichen Waldungen und umfaßt außer sehr werthvollen Beständen von altem Hochwald die höchste Gipfelfläche des sogenannten Heidenkopfes. Das ist, wie der gnädigen Frau ohne Zweifel bekannt sein wird, ein wilder Bergrücken, wohl eine halbe Meile ins Geviert. Der Wald, der die Höhe einst bestanden hat, ist längst gefallen; jetzt giebt es da oben nur Moor- und Bruchland und dichtes Gestrüpp. Das gute dumme Bauernvolk der wenigen Dörfer in der Umgegend blickt mit Scheu von weitem nach dem kahlen Gipfel; es mögen dort von der Heidenzeit her gottlose Bräuche getrieben worden sein, und sie vermeinen, es sei heute noch droben nicht geheuer. Das alles aber stört Birk- und Auerhahn nicht, im Gegentheil, das edle Wild hat dort, wo schon seit Jahren wenig Abschuß ist, sein Paradies. Ich selber habe nachts auf dem Hubertstein die Hähne von drüben balzen hören ... es zuckte mir in den Fingern.“ Er brach ab, wahrscheinlich um nicht einem in der fürstlichen Gegenwart unziemlichen Weidmannseifer zu verfallen, nahm wieder seine Zuflucht zu seinen Papieren und fuhr dann in einem andern Tone fort: „Die dermaligen Besitzer haben in dem herrlichen Waldrevier nichts als eine Krähenhütte stehen und dann allerdings noch ein Gemäuer, nicht viel größer als ein Backofen, in dem ein uralter Moosbart von einem Förster haust, ein ungefüger Waldmensch, hab’ ich mir sagen lassen, ohne Respekt vor irgend jemand, so daß der Hubertsteiner Schloßverwalter es für nöthig hielt, selbst mich zu warnen.“ Herr von Nievern lächelte leicht. Nun, es ist nicht meine Art, auf fremdem Gebiet zu pirschen. Aber die Grenze ist für den zeitweiligen Jagdgast auf Hubenstein nicht immer leicht kenntlich; das Wild wechselt zuweilen kurz herüber und hinüber, und dero Kastellan machte mir bemerklich, daß es dem unmanierlichen Alten drüben ganz einerlei sei, wer ihm vor den Büchsenlauf komme, und daß er meist scharf geladen habe.“

„Ich erinnere mich,“ sagte die Pfalzgräfin, „daß schon mein seliger Herr darüber klagte, die Leyens seien von jeher widerhaarig und hoffärtig gewesen. Aber jetzt steht ja das Geschlecht nur auf vier Augen. Es lebt nur noch der Enkel des alten Freiherrn Josias, der kleine Freiherr Ludwig, bei seinem Vormund, dem wunderlichen alten Obersten von Gouda auf der Herrenmühle, und von dem andern, dem weniger begüterten Zweige ebenfalls nur eine Minorenne, die Polyxene, das hübsche Fräulein von Habenichts, die der Alte auch bei sich aufgezogen hat.“

Erst als Frau von Méninville wahrnahm, daß die Pfalzgräfin hier eine Pause in ihrer Rede eintreten ließ, erlaubte sie sich bescheidenen Tones eine Bemerkung. Dieselbe lautete: „Ist Fräulein Polyxene von Leyen noch nicht zweiundzwanzigjährig?“

Der leise Nachdruck auf den Worten „noch nicht“, überhaupt der ganze Irrthum belustigte die Pfalzgräfin. „Wo denken Sie hin, liebe Méninville! Das Mädchen ist kaum achtzehn Jahre alt!“ rief sie. Frau Sabine war über alle Verhältnisse des Adels ihres Landes sehr genau unterrichtet.

„Mich dünkt, sie sehe viel älter aus,“ meinte Frau von Méninville, immer mit der bescheiden unterdrückten Stimme. „Es liegt dies wohl an ihrer Haltung.“

„Ja, sie trägt den Kopf sehr hoch,“ sagte die Fürstin. Und dann, wieder zu dem Landforstmeister gewendet, der an dieser kleinen Abschweifung, eine junge Schöne betreffend, keinerlei Antheil genommen hatte: „Man müßte sich, Herr von Nievern, in Betreff der Leyenschen Enklave an den Vormund des jungen Erbherrn, den Obersten von Gouda, wenden. Ich ermächtige Sie, Unterhandlungen mit ihm einzuleiten.“

Das klang recht schön, fürstlich und zugleich geschäftsmäßig, aber damit hörte auch der praktische Werth dieser Ermächtigung so ziemlich auf, wie der Landforstmeister bald erfahren sollte. Er verneigte sich jetzt abermals, ließ eine schickliche Pause entstehen und durfte, da die Pfalzgräfliche Hoheit von nichts weiterem begann, seine Audienz als beendet betrachten.

Nun nahte sich der stattliche Mann der Dame um wenige Schritte, gewinnende, ritterliche Ehrerbietung in jeder Linie seiner biegsamen Gestalt. Er sah, daß es ihm vergönnt sei, ja, daß es erwartet werde – denn Hand und Arm seiner Gebieterin wurden ihm ein wenig entgegengebracht, mundgerecht, sozusagen: zart und ehrfurchtsvoll berührte und stützte er diese weiße Hand mit den Fingerspitzen und drückte dann das weiche Bärtchen und die Lippen darauf, Lippen, die zu küssen verstanden! Und nicht nur seine warmen Lippen sprachen eine stumme Sprache, auch seine schlankkräftigen Finger, mit denen er die wächsernen Fingerspitzen der Pfalzgräfin ganz eigen, mit einem zögernden Nachdruck, umschlossen hielt und dann langsam, langsam nur, losließ. Und ebenso langsam hob er das Auge und ließ einen raschen prüfenden Blick über sie gleiten. Er sah, was er erwartet hatte: den leisesten Anhauch von weiblicher Verwirrung auf diesem hübschen leeren Gesicht.

Aber er sah auch noch etwas, und das hatte er weder erwartet, noch sehen wollen. Ganz zufällig streiften seine Augen jenen Schatten der Pfalzgräfin, das schmale Wesen in Grau und Schwarz, das sich seitwärts hinter ihr hielt. Und wieder, zum zweiten Male heute, traf Blick in Blick; und aus diesem gedankenschnellen Kreuzen der Klingen ging der Mann nicht als unzweifelhafter Sieger hervor, denn die bescheidene Witwe wurde nicht verlegen wie eine ertappte unwillkommene Zeugin, sondern schien mit ruhigem Auge vielmehr zu sagen: ja, allerdings, ich habe Euch eben zugesehen. Etwas Weiteres freilich auszudrücken, sei es nun Billigung oder Mißbilligung dessen, was sie beobachtet hatte, erlaubte sie ihren frommen blonden Mienen nicht, und am allerwenigsten etwa einen Triumph über ihre kleine Mitwisserschaft.

Jedenfalls aber wußte Herr von Nievern nunmehr, daß er mit dieser würde zu rechnen haben. –

Frau Sabine Eleonore war wieder allein mit der Gesellschafterin, welche sie in der letzten Zeit auffallend viel an sich herangezogen hatte. Die Witwe des Herrn von Méninville, eines sehr mäßig begüterten lothringischen Edelmannes, war auf die allerbeste Empfehlung, die man haben kann, auf geistliche nämlich, an den pfalzgräflichen Witwenhof gekommen. Dem Beichtvater der Fürstin, dem Jesuitenpater Gollermann, war sie von einem Ordensbruder in Philippsburg, wo sie den Herrn von Méninville vor einigen Jahren begraben hatte, sehr warm ans Herz gelegt worden, bildlich gesprochen natürlich. Und Frau von Méninville rechtfertigte alles, was ein geistlich gesinnter Freund von ihr sagen konnte, um ihr den dornigen Witwenpfad ein bißchen zu ebnen, in vollem Maße.

Es gehörte gar nicht wenig dazu, sich so bald der allgemeinen Duldung am Hofe zu erfreuen, wie Frau von Méninville es that, sie, die diesem kleinen Hofe im großen Stile, diesem Hofe voll wichtiger Etiketterücksichten und daraus sich ergebender Eifersüchteleien und Empfindlichkeiten, so kurz erst und so ganz von außen und wurzellos eingepflanzt worden war. Aber bei ihr war es doch wieder kein Wunder. Sie war ja eigentlich nur halb weltlich, wie sie zuweilen mit einer Art von sanftem Scherze sagte. Sie erstrebte nichts, beanspruchte nichts, wollte keinen verdrängen, ordnete sich allenthalben unter – sie war die christliche Demuth selber. Nur mit Mühe hatten ihre Freunde – man wußte das hier aus bester Quelle, nämlich von ihr selber – nur mit Mühe hatten die Freunde sie nach dem Tode ihres Gemahls davon abgehalten, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Ihr Herz und Gemüth strebte unablässig dorthin, der Entschluß, die frommen Gelübde doch noch auszusprechen, war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_224.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2020)