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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Mit der ihr eigenen Besonnenheit bezwang sie aber jetzt ihren Unmuth. Sie stieg ruhig vom Wagen herunter, an Ludwigs Hand, und grüßte dann nach dem Fenster hinaus, mit anmuthiger Würde nach Männerart den Filzhut lüftend. Das Mädchen war sie nicht, welches sich jetzt durch ein verlegenes und eiliges Verkriechen lächerlich gemacht hätte.

„Du, Polyxenchen, jetzt werden wir wieder zu schanden gemacht vom Oheim,“ flüsterte Ludwig ihr zu. „Gut, daß ich den Hasen noch geschossen habe, zuguterletzt, vom Wagen herab, sonst wäre des Gestichels kein Ende gewesen über unser geringes Glück. Aber das sage ich Dir, in die Küche kommt er so frisch nicht.“

Sie waren damit in den Flur des Hauses getreten, außer Sicht des fremden Besuchers, über den Ludwig in knabenhafter Gleichgültigkeit kein Wort verlor. Polyxene that es ebensowenig. Sie hatte den Herrn von Nievern erkannt, und dem war sie nicht geneigt. Sie betrachtete – seit der kurzen Zeit, da dies neue Gestirn am Hofhimmel stand – das etwas hochfahrend unbekümmerte Gebahren dieses Herrn von weitem stets mit einer Art von gekränktem inneren Widerspruch.

Da ihr nun aber gemeldet wurde, droben erwarte man sie, so erwies sie dem Landforstmeister jetzt die Ehre, eines ihrer besseren Kleider anzulegen, „das Fähnchen“, wie dies von ihr selber noch sehr geschätzte lilafarbene Seidenkleid von der Prokuratorsfrau bei der letzten Erbauungsstunde gehässiger Weise genannt worden war. Polyxene besaß keine große Garderobe, da sie arm war. Weit entfernt aber, sich darüber zu grämen, empfand sie den Mangel gar nicht einmal. Im Hause ging sie einfach, aber immer standesgemäß, und der Schmuck ihres abgetragenen Kleides war dann ihre eigene blühende Jugend. Und wenn sie bei besonderem Anlaß, wie jetzt zum Beispiel oder im engeren Cirkel bei Hofe, in dem aus dem Nachlaß der Mutter hergerichteten einfachen Seidengewand erschien, mit breiter Spitze um die schimmernde Kehle – Spitze, die ungesteift und gelb war, aber desto echter – so hielt sie sich für eben recht und dazu in ihrem unschuldigen Stolze so hoch erhaben über die Kritik einer bürgerlichen Prokuratorsfrau etwa, wie der Mond über der Erde steht.

Ruhig und sicher trat Polyxene dem Fremden im Gastgemach des Hauses entgegen, Herr von Nievern strich sich über das Bärtchen und musterte sie freundlich, ehe er sich gebührend verneigte. Außer ihm befand sich noch der Oberst, weiland in holländischen Diensten, der Vormund der beiden Leyens, in dem langen niedrigen Saale. Herr von Gouda war hager wie der edle Ritter von la Mancha und glich diesem auch sonst mit dem spitzen ernsthaften Gesicht und dem pechschwarzen dünnen Schnurrbart.

„Wo ist Dein Vetter Ludwig, wir brauchen ihn auch,“ sagte Herr von Gouda nach der Begrüßung.

„Ludwig? Ich will ihn gleich rufen,“ erwiderte Polyxene, befremdet über dies Verlangen. Ludwig hatte sicher an nichts weniger gedacht als daran, daß man seiner im Gastzimmer bedürfen würde. Wenn Visiten kamen, dabei man stille sitzen mußte, ließ er sich recht gern nicht für voll ansehen. Sie ging, den Vetter zu suchen, in kindlicher Dienstfertigkeit, wie denn ihr ganzes Wesen eine eigene Mischung war von großer natürlicher Einfachheit und unerschütterlichem Standesbewußtsein.

Herr von Nievern sah ihr aufmerksam nach und betrachtete nicht ohne Wohlgefallen die lilienschlanke Gestalt, die edeln Formen und ließ sogar den Streifen weißen Halses hinten über dem Kleide und den vollkommenen Nacken, an dem das Blondhaar leicht wellig ansetzte, nicht unbeachtet. Arm und adelsstolz, schade – so hübsch sie ist, wird sie nicht leicht zu verheirathen sein, dachte er flüchtig.

Die beiden Männer hatten sich wieder an dem schweren dunklen Tisch mit seinen plumpen, zu dicken Schlangenlinien gedrehten Beinen zurecht gesetzt. Auf dem Tische standen geschliffene Gläser und ein Krüglein fein duftenden holländischen Likörs, bei dem konnten sie es abwarten.

Das Gemach war niedrig wie alle Räume des alten Hauses und erschien noch niedriger vermöge seiner Länge; tiefdunkel war die schwerfällige Holztäfelung an den Wänden und waren die wulstigen Säulen, ebenfalls von Holz, welche die lastende Decke trugen, Die kleinen vielscheibigen Fenster befanden sich alle an der einen Längsseite des Gemaches, und durch das grünliche Glas blickte man in den Hof, das heißt durch die wenigen der vielen bleigefaßten Scheiben, deren Glas zufällig nicht so derb und knotig war, daß es alle Linien draußen wunderlich brach und verzerrte. Zur einzigen Zier des Saales dienten die in die braune Holzvertäfelung geschnitzten bunt gemalten Wappen des Geschlechts, und das war allerdings eine Dekoration, deren sich nur ein altadeliges Haus, mochte es sonst so niedrig, kahl und ländlich sein, wie es wollte, rühmen konnte. Das Leyensche Wappen, kenntlich am silbernen Thurm mit rother Thür und ebensolchen Fenstern im blauen Felde, kehrte mehrfach wieder; aber in langer Reihe waren es hauptsächlich die Wappenzeichen der Häuser, aus denen die Gemahlinnen derer von Leyen gestammt hatten, Embleme, die von diesen nachher neben dem Geschlechtswappen der Gatten geführt worden waren. Das Goudasche, von altniederländischem Adel, war auch dabei; die von Gouda hatten sich im kürzlich verflossenen Jahrhundert durch mehrere Heirathen mit den Leyens verschwägert.

„Sie sind ein sehr gewissenhafter Vormund, Herr Oberst,“ begann der Landforstmeister von Nievern jetzt wieder, indem er den Arm lang machte und sein zierliches Glas füllte, ohne sich sonst aus seiner gemächlichen Stellung zu rühren. „Ich dächte, Sie hätten das kleine Geschäft, um dessentwillen ich hier bin, später wohl verantworten können, ohne erst den Minorennen zu Rathe zu ziehen, der ja doch nichts von dem Handel versteht.“

„Meinen Euer Gnaden?“ sagte der von Gouda mit seiner dünnen und hohen Stimme. „Mir ist die Verantwortlichkeit aber schon zu viel; ich finde mich dadurch in meinen studiis gehindert. Zudem war ich niemals ein Jäger – das steckt mehr im Leyenschen Blut. Und dann ist mein Mündel mannhafter und verständiger, als Ihr Birkenfeldschen vielleicht annehmt.“

Herr von Nievern glaubte dem Sprecher kein Wort. Dieser war seiner Meinung nach ein Sonderling und müßiger Querkopf, der an Umständlichkeiten seine Lust hatte. Daß ihm an der Sache selber, um die es sich handelte, nichts lag, das freilich mochte wahr genug sein, und darum eben würde er sich dem Wunsche der Pfalzgräfin auch nicht ernstlich widersetzen. Nur eine überflüssige Verbrämung der Angelegenheit war es, daß der Oberst den Beauftragten der Fürstin überhaupt mit dem Herbeicitieren des Jungen aufhielt. Nun, mochte es drum sein. Herr von Nievern, dem seine Reisen den Blick geweitet hatten, nahm alles, was ihm in Birkenfeldschen Diensten vorkam, nicht allzuschwer, war vielleicht überhaupt geneigt, als ein freier Kopf, das ganze Leben mit kühler Ironie als ein vor einigen klugen Leuten seiner Art aufgeführtes Schauspiel zu betrachten. Ja, ja, und darin war die kleine gravitätische Pfalzgräfin – Himmel, wenn sie es gewußt hätte! – mit dem Weiß und Roth ihres fürstlichen Lärvchens doch nur eine der spielenden Figuren wie andere auch.

Jetzt that sich am fernen Ende des langen Gemaches die schwere dunkle Thür auf und die beiden Leyens traten ein, Hand in Hand. So ähnlich einander in blühender Jugend, schlank und blond, so zutraulich einig wie Geschwister ... Herr von Nievern sollte noch oft an den Anblick denken!

Daß es sich hier nicht um eine Rüge der heimlichen Jagdfahrt handeln würde, hatte Ludwig begriffen, und so sah denn sein frisches Gesicht wohl ein weniges verdutzt aus über diese Einladung ins Gastzimmer, sonst aber unbekümmert genug. Er grüßte den Landforstmeister, den er vom Hofe her kannte, frank und artig; dieser war aufgestanden und reichte ihm die Hand. Dann rückte Lutz ritterlich einen der Stühle – gewaltige Holzungeheuer mit gedrehten, fest untereinander verbundenen Beinen – für Polyxenen zurecht und alle vier nahmen um den Tisch Platz.

In Ludwigs Augen fing es an lustig zu zwinkern und er suchte Polyxenens Blick bei all dieser Feierlichkeit. Da begann Herr von Gouda mit seiner trockenen Stimme, die niemals viel von dem verrieth, was er empfinden mochte: „Ich habe Dich rufen lässen, Neffe, weil der Besuch, dessen uns der Herr Landforstmeister würdigt, nicht sowohl mir als Dir oder vielmehr Deinem Eigenthume gilt. Es ist der Einsicht Seiner Gnaden offenbar geworden, daß die Leyensche Enklave inmitten der pfalzgräflichen Waldungen die fürstliche Jagd nicht unerheblich beeinträchtigt, da die Dickichte des Heidenkopfes dem Wilde vortreffliche Schlupfwinkel geben. Das Wild, anstatt es sich in Deinem Wald wohl sein zu lassen, hätte die sonnenklare Unterthanenpflicht, hochfürstlicher Jägerei zur weidgerechten Zeit vor die Büchsen zu laufen. War’s nicht so, Herr von Nievern, wie?“

Herr von Nievern blickte dem Obersten in das unbewegte lange magere Gesicht mit dem kohlschwarzen Bärtchen und barg dann seine leichte Betroffenheit unter einem Lachen. „Ihr liebt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_246.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2020)