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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Im Schloßhof von Lauenstein.

Die mehr als 100 Zimmer des Schlosses enthalten als Schmuck nicht weniger denn 800 Bildnisse fürstlicher Personen, eine Sammlung, gleich dankbar für Kunstkenner wie für Geschichtsforscher. Höchst seltsam erscheint die Bauart der trotzigen Bergfeste. Der alte Meister, der die erste Anlage schuf, stülpte seinen Bau über einen ziemlich spitzen und steilen Felsen, ähnlich wie eine Haube über den Haubenstock. Die späteren Zuthaten wurden zu Füßen der älteren Gebäude gleichfalls dicht an den Felsen gruppiert, so daß die Rückwände sehr häufig vom Naturfelsen selber gebildet werden. Dieser tritt denn auch auf den Gängen, in den Zimmern, in der Kirche, kurz, im ganzen Schlosse vielfach zu Tage. Einige Gemächer sind ganz aus ihm herausgemeißelt, auch der Thurm besteht ziemlich hoch hinauf aus eitel Gneisfelsen. Die drolligsten lokalen Verschiebungen ergaben sich aus dieser Bauart. Die Pferdeställe liegen im dritten Stockwerk, zwei Treppen höher als die Wohnräume. In die Keller muß man noch höher hinauf, hinter den obersten Stockwerken sieht man nicht, wie man sonst gewohnt, in die Tiefe hinab, man tritt vielmehr ebenerdig hinaus, so daß der Neuling ganz irre wird. Ganz oben in den Eingeweiden des Felsens liegt eine Folterkammer. Schon der Raum ist furchtbar! Die Mehrzahl der heutigen Menschen würde sich hier wahrscheinlich zu jeder Missethat bekennen, nur um aus diesem schauerlichen Gewölbe hinaus – und sei’s auch an den Galgen – zu kommen. Die Folterwerkzeuge würden überflüssig sein.

Ueber den Thalwänden droben, unfern von Weesenstein, liegt das Rittergut Maxen mit seinem neu hergestellten gothischen Thurme. Das ist die Geburtsstätte einer großen humanistischen Idee. Hier berieth der einstige. Besitzer Major Serre mit Karl Gutzkow den Plan zur deutschen Schillerstiftung.

Auch in der Geschichte des Siebenjährigen Krieges hat Maxen eine wichtige Rolle gespielt, doch davon an einer anderen Stelle!

Die Bahn führt uns vorüber an Glashütte, der Uhrmacherstadt mit ihrer Uhrmacherschule. Die Häuser haben hier noch einmal so viele Fenster wie anderwärts, und nirgends beobachtet man so genau die „wirkliche Zeit“. Die „Gartenlaube“ hat der Stadt und ihrer Industrie schon früher (Jahrg. 1879, Nr. 13) eine Beschreibung gewidmet, wir können also die Zeit nutzen und weiterfahren.

Schloß Bärenstein.

An den Gehängen des Müglitzthales liegen noch zwei Schlösser, Bärenstein und Lauenstein. Beide sind für den Stift des Zeichners, wie man so sagt, „dankbare Objekte“, nicht so für die Feder des Schriftstellers, sie gleichen eben jenen hübschen, aber langweiligen Menschen; die nichts erlebt haben. Das Aufregendste in der Geschichte dieser stolzen malerischen Schlösser ist etwa eine fremde Einquartierung, ein Dachstuhlbrand oder, wenn es hoch kommt, ein Besitzwechsel. Ueber Bärenstein herrscht jetzt die Familie Lüttichau; rührende Pietät gegen einen in Frankreich gefallenen Sprossen ihres Geschlechts hat sie fast alle Zimmer mit Erinnerungen an den jungen schönen Offizier schmücken lassen. Das weit ältere Lauenstein, heute im Besitz eines Grafen Hohenthal, liegt zum Theile in Ruinen, die ihres malerischen Eindrucks nicht verfehlen.

Hier verlassen wir den schier endlosen Thalzug und streben geradeswegs der Kammhöhe des Erzgebirgs zu. Nackt und frierend liegen die Dörfer da oben auf kahler Höhe, „im Wind“, sagt der Bauer sehr treffend. Das Leben hier oben hat manche tiefe Eigenart, der Mensch drängt sich hier ganz anders an den Menschen heran wie in glücklicheren Gegenden. Die Poesie der vom gemüthlichen Kachelofen freundlich durchwärmten Rockenstuben liegt wie ein Duft über den Wohnstätten. Wie urbehaglich es sich da sitzt und plaudert, wenn die Elemente draußen um die Hütte toben und die Stürme über die Hochebene dahinfegen, als gälte es, alles Lebendige zu vernichten! Hinter dem Ofen und auf der breiten Ofenbank liegen oder sitzen die feiernden Holzknechte, um den Tisch gruppieren sich die zierlichen Frauengestalten und fertigen mit geschmeidiger Hand kunstvolle Arbeiten an, singen mit dem

Stubenvogel um die Wette, plaudern aus vollem guten Herzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_257.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2020)