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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Ich denke, ja!“ sagte Dernburg mit ruhiger Zuversicht.

„Nun, dann ist die Sache in Ordnung und wir brauchen uns nicht weiter darum zu grämen,“ erklärte Maja, indem sie unmuthig ihr weises Köpfchen schüttelte. „Freilich, dieser böse Egbert macht dem Papa viel zu schaffen, alle Welt spricht von ihm und –“

„Schweig davon, Maja!“ unterbrach sie der Vater schroff und finster. „Der Name des Herrn Ingenieurs Runeck wird mir im Wahlkampf täglich aufgedrängt, in meiner Familie aber wünsche ich ihn nicht zu hören, seine Beziehungen zu uns sind ein für allemal zu Ende!“

Das Mädchen verstummte, eingeschüchtert durch den ungewohnten Ton, und es trat ein längeres Schweigen ein. Die Zeit verrann, aber die erwarteten Nachrichten blieben noch immer aus. Endlich trat der Diener ein und sagte dem Freiherrn leise einige Worte, dieser erhob sich rasch und ging hinaus. In dem matt erleuchteten Vorzimmer fand er den Direktor und Winning, die ihn hier erwarteten.

„Sie wollen mich sprechen, meine Herren?“ fragte Wildenrod hastig. „Was bringen Sie?“

„Leider Unangenehmes, Herr Baron,“ begann der Direktor zögernd, „sehr Unangenehmes! Herr Dernburg wird sich auf eine schwere Enttäuschung gefaßt machen müssen.“

„Was soll das heißen? Haben Sie die erwarteten Nachrichten?“

„Runeck ist gewählt!“ sagte der Direktor leise. „Dreiviertel der Odensberger Stimmen waren für ihn.“

Der Freiherr erbleichte und seine Hand ballte sich krampfhaft. „Unglaublich! Unerhört!“ stieß er hervor. „Und die Landbezirke? Unsere Gruben und Hütten? Haben Sie schon Nachrichten von dort?“

„Nein, aber sie können am Hauptergebniß nichts mehr ändern. Runeck hat in der Stadt und in Odensberg gesiegt, das genügt, um ihm die Mehrheit zu sichern. – Hier sind die Zahlen verzeichnet.“

Wildenrod nahm stumm das Papier aus den Händen des Beamten und las die Notizen durch; sie stimmten – die Wahl war endgültig entschieden, gegen Dernburg und seine Partei.

„Wir wagten nicht, diese Nachricht dem Herrn zu überbringen,“ meinte Winning, „er ist so gar nicht darauf vorbereitet.“

„Ich werde es ihm mittheilen,“ sagte der Freiherr, indem er das Papier zusammenfaltete und zu sich steckte. „Aber noch eins, meine Herren! Es ist immerhin möglich, daß beim Bekanntwerden dieses Ausganges Kundgebungen versucht werden, die in diesem Falle eine unmittelbare Beleidigung für den Chef sind. Die siegestrunkene Bande,“ hier brach seine ganze Gereiztheit durch die mühsam erzwungene Fassung, „ist zu allem fähig, man muß darauf gefaßt sein. Jeder Versuch zu Demonstrationen wird mit der größten Strenge unterdrückt, gleichviel, was daraus entstehe. Ich mache Sie dafür verantwortlich, Herr Direktor, daß nichts dergleichen geschieht. Wir haben jetzt keine Rücksichten mehr zu nehmen und werden das fühlen lassen.“ Er grüßte kurz und ging.

Die beiden Beamten sahen einander an, endlich sagte der Direktor gedämpft: „Ja, wer ist denn nun eigentlich unser Chef, Herr Dernburg oder Baron Wildenrod?“

„Der Baron, wie es scheint,“ antwortete Winning gereizt. „Er ertheilt Befehle in aller Form, und zwar Befehle, welche die schwersten Folgen haben können. Diese Kundgebungen werden kommen, dafür wissen Fallner und Genossen schon zu sorgen.“ –

Es war keine beneidenswerthe Aufgabe, die Wildenrod übernommen hatte. Als er wieder in Dernburgs Zimmer trat, empfing ihn dieser mit der ungeduldigen Frage: „Was gab es denn da draußen? Man soll uns doch jetzt nicht mit anderen Dingen behelligen; wir haben wahrlich keine Zeit dazu. Uebrigens begreife ich nicht, was das hartnäckige Schweigen da drüben bedeutet. Die Nachrichten könnten schon da sein –“

„Die Nachrichten sind bereits eingetroffen, wie ich eben hörte,“ entgegnete Wildenrod.

„So? Weshalb unterbleibt dann die Meldung?“

„Der Direktor und Winning wollten sie Ihnen nicht persönlich überbringen. Sie kamen zu mir –“

Dernburg stutzte; zum ersten Male flog ein unheilvoller Gedanke durch seine Seele. „Zu Ihnen? Warum nicht zu mir? Was fällt den Herren ein!“

„Man wollte es mir überlassen, Ihnen die betreffende Eröffnung zu machen,“ sagte der Freiherr mit verhaltener Erregung. „Die Beamten wagten es nicht, Ihnen damit zu nahen.“

Dernburg wechselte die Farbe, aber er richtete sich hoch und fest auf. „Ist es schon so weit, daß man Komödie mit mir spielen muß? Heraus mit der Sprache!“

„Runeck hat in der Stadt gesiegt –“ begann Wildenrod zögernd.

„Das weiß ich! Weiter!“

„Und auch in Odensberg.“

„In Odensberg?“ wiederholte Dernburg und sah den Sprecher an, als verstehe er die Worte nicht. „Meine Arbeiter –“

„Haben zum größten Theil für Ihren Gegner gestimmt. Runeck ist gewählt!“

Ein halb unterdrückter Ausruf klang durch das Zimmer, er kam von den Lippen Cäciliens. Maja blickte angstvoll auf den Vater; soviel begriff sie doch, daß diese Nachricht ein furchtbarer Schlag für ihn war. Dernburg sprach nicht und regte sich nicht. Es trat ein unheimliches Schweigen ein. Endlich streckte er die Hand nach dem Papier aus, das Wildenrod hervorgezogen hatte. „Sie haben das Wahlergebniß?“

„Ja, hier ist es.“

Dernburg trat an den Tisch, um zu lesen, immer noch mit derselben starren Ruhe, aber man sah jetzt, wo er im vollen Scheine der Lampe stand, daß er totenbleich war. Regungslos sah er auf die Zahlen nieder, die ihre wortlose unerbittliche Sprache redeten. „Ganz recht,“ sagte er endlich kalt. „Drei Viertel der Stimmen sind für ihn, und mich haben sie verworfen!“

„Es ist ein förmlicher Verrath, eine Fahnenflucht ohnegleichen,“ fiel Wildenrod ein. „Freilich, wenn monatelang gewühlt und gehetzt wird … dahin hat Ihre Großmuth, Ihr unbedingtes Vertrauen geführt! Sie kannten die Ansichten, die Verbindungen dieses Menschen und ließen ihn trotzdem Fuß fassen in Odensberg. Er hat das klug benutzt, um sich seine Wähler zu sichern. Jetzt brauchte er nur zu winken und sie liefen in hellen Haufen zu ihm hinüber. Sie gaben ihm Sohnesrechte – heute stattet er Ihnen den Dank dafür ab!“

„Oskar, um Gotteswillen, hör’ auf!“ bat Cäcilie leise. Sie fühlte, daß jedes dieser Worte wie Gift in die Seele des Mannes fiel, dessen Herz ebenso tödlich verwundet war wie sein Stolz.

Aber Oskar kannte keine Rücksicht gegen den verhaßten Gegner, er fuhr mit steigender Heftigkeit fort: „Runeck wird triumphieren und er hat alle Ursache dazu. Das ist ein glänzender Sieg, den er erfochten hat, und gegen wen erfochten! Daß er Sie überwand, das allein macht ihn schon zum berühmten Manne. Und in dieser Stunde erfährt Odensberg den Ausgang der Wahl – man wird ihn feiern, den Erwählten, wird ihn bejubeln, daß der Jubel bis zum Herrenhaus herüberdringt und Sie werden das mit anhören müssen –“

„Das werde ich nicht!“ erklärte Dernburg heftig, einen Schritt zurücktretend, „Die Leute haben ihr Wahlrecht gebraucht – gut, ich werde mein Hausrecht brauchen und mich vor Beleidigungen zu schützen wissen. Jede etwaige Kundgebung infolge dieser Wahl wird unterdrückt. Der Direktor soll die nöthigen Maßregeln treffen, sagen Sie ihm das, Oskar!“

„Das ist bereits geschehen. Ich sah den Befehl voraus und gab die nöthigen Weisungen. Ich glaubte das in diesem Falle verantworten zu können.“

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Dernburg ein derartiges Eingreifen sehr unangenehm empfunden; jetzt sah er darin nur eine Fürsorge und dachte nicht an eine Rüge. „Es ist gut,“ versetzte er kurz. „Vertreten Sie mich für heute, Oskar, ich kann jetzt niemand sehen – und nun geht und laßt mich allein!“

„Papa, laß mich wenigstens bei Dir bleiben,“ flehte Maja in rührender Bitte; aber in dieser Stunde war ihr Vater nicht einmal für ihre Zärtlichkeit empfänglich, er schob sie sanft zurück.

„Nein, mein Kind, auch Du nicht! Oskar, nehmen Sie Maja mit – ich will allein sein!“

Oskar flüsterte seiner Braut einige Worte zu und führte sie aus dem Zimmer. Die Thür schloß sich hinter ihnen, und jetzt, wo Dernburg sich allein glaubte, verließ ihn die mühsam behauptete Fassung. Er drückte die geballten Hände an die Schläfen, ein Stöhnen entrang sich seiner Brust. Er fühlte in diesem Augenblick nicht die Demüthigung der Niederlage, es war etwas Edleres als gekränkter Ehrgeiz in diesem Schmerze. Verlassen von seinen Arbeitern, deren Dank er sich durch eine dreißigjährige väterliche Fürsorge verdient zu haben glaubte! Aufgegeben, um eines anderen willen, den er geliebt hatte wie seinen eigenen Sohn, und der ihm nun so dankte! Unter diesem Schlage brach auch seine eiserne Kraft zusammen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_290.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)