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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Mein Buceros „Hermann“.

Von Paul Reichard.


Hermann war ein hochwohlgeborener Vogel. Das Licht der Welt erblickte er auf der Höhe des Tafelberges Mlumbe, 150 Kilometer westlich vom Tanganjika-See, er war also ein echter Centralafrikaner. Von seinem Geburtsorte aus hatte er weite Aussicht ins Land. Ringsum Höhenzüge, von unübersehbaren, lichten Wäldern bedeckt, aus der Ferne blitzte das breite Band des mächtigen Luapula herüber, eines der Hauptquellflüsse des Kongo.

Hermanns Eltern waren biedere Nashornvögel, der Nasutusart angehörend. Der Gewohnheit ihrer Sippe gemäß brütet das Weibchen in Klausur. Das Pärchen sucht sich mit vielem Geschick ein möglichst hochgelegenes und nur schwer bemerkbares Baumloch aus, dessen Höhle mit wenigen Grashalmen und Federn ausgepolstert wird. In dies kunstlose Nest legt das Weibchen 4 bis 5 weiße Eier, nicht ganz so groß wie Taubeneier. Hat sich dieser Akt vollzogen, so mauert das Männchen seine Gattin derart ein, daß das Nestloch bis auf eine höchstens thalergroße eirunde Oeffnung geschlossen ist, aus der das Weibchen gerade noch den Schnabel, nicht aber den Kopf herausstecken kann. Als Baumaterial verwendet das Männchen einen fetten grauen Thon, der, mit grobkörnigem Sand gemischt, durch Verarbeitung mit Speichel äußerst hart zusammenbackt. Dieses sonderbare Vorgehen des Männchens darf man aber nicht etwa für orientalische Eifersuchtsanwandlungen nehmen, es geschieht zum Schutz des brütenden Weibchens und der Nachkommenschaft.

Bei der sehr versteckten Anlage solcher Nester gelingt es nur außerordentlich selten, ihrer ansichtig zu werden. Während meines über fünfjährigen Umherstreifens in Afrika glückte es meinen Leuten nur dreimal, Bucerosnester aufzustöbern.

Dem Männchen liegt die Fütterung des Weibchens, später die der ganzen Familie, wie aus obigem hervorgeht, ganz allein ob. Wahrlich keine kleine Arbeit bei dem ungeheuern Appetit dieser Vögel! Glücklicherweise ist der Buceros ein „Omnivore“, ein „Allesfresser“, der sowohl Früchte wie Insekten nimmt, auch ebensowenig junge Vögel und Mäuse verschmäht. Am meisten liebt er Heuschrecken aller Arten, und an diesen ist in Afrika bekanntlich kein Mangel, selbst wenn die Wanderheuschrecken nicht gerathen sein sollten.

Die Bebrütung der Eier dürfte die Zeit von vier Wochen kaum überschreiten. Die Klausur verläßt die Familie aber erst, wenn alle Jungen flügge geworden sind. Das Ehepaar unterstützt sich dann beim Entfernen des festen Verschlusses, dessen Oeffnung mit Schnabelhieben so weit vergrößert wird, daß die Vögel hinausschlüpfen können. Das Weibchen benutzt seine Gefangenschaft gleichzeitig zur Mauser und erhält somit als Belohnung für seine Aufopferung ein neues Kleid. Die jungen Vögel sind bei der Enge des Nestes genöthigt, den langen Schwanz nach oben zu halten. Für die ersten Tage der Freiheit behalten sie diese Gewohnheit bei, was ihnen bei ihrer an sich schon grotesken Gestalt ein geradezu komisches Aussehen giebt.

Hermann gelangte in meinen Besitz, als wir, Dr. Böhm und ich, auf unserem Marsche nach Katanga im Kongoquellgebiet den Tanganjika überschritten und bei dem oben genannten Mlumbeberg Ende September 1883 ein Lager bezogen hatten.

In höchst trauriger Verfassung, an den Beinen festgebunden, mit herunterbaumelndem Kopf, über einen Gewehrlauf gehängt, wurde der arme Vogel mit drei Geschwistern von dem Rug-Ruga (Wanjomuesikrieger) Manamläla ins Lager geschleppt. Wenn ich der Vögel nicht zufällig ansichtig geworden wäre, so hätte man auch Hermann, ebenso wie seine Geschwister, verspeist. Daß ich gerade ihn unter vieren auswählte, hatte er dem Umstand zu verdanken, daß er der einzige war, dem der gefühllose Wilde die Beine nicht gebrochen hatte. Hermann war vom Regen durchnäßt und vor Kälte fast erstarrt. Ich trocknete ihn über einem Lagerfeuer, und nachdem ich ihm der Vorsicht halber die Schwungfedern des einen Flügels beschnitten hatte, blieb er, ruhig und behaglich dreinschauend, einige Stunden auf meinem Feldbett im Zelte, in ein Taschentuch eingewickelt, sitzen.

Hermann war von schmächtiger Gestalt wie alle seine Verwandten und trug auch das unscheinbare, graumelierte Kleid derselben. Von der Schwanz- bis zur Schnabelspitze maß er ungefähr 40 Centimeter. Hockte er irgendwo nieder, so ließ er den Schwanz senkrecht herunterhängen, zog die Flügel gleich Schultern hoch hinauf und legte den Kopf dazwischen, so daß der große Schnabel weit über die aufgeblähten Brustfedern hinausragte. Aeußerst komisch sah Hermann aber aus, wenn er schlief. Dann stießen die Flügelenden über dem tief eingezogenen Kopfe zusammen und von diesem war nichts als der hintere Theil und die Spitze des Schnabels zu sehen – eine wirklich drollige Stellung!

An Hermanns Gestalt fiel am meisten der rabenartige Schnabel auf, der trotz seiner unverhältnißmäßigen Größe federleicht war. Im Alter bildet sich noch ein Hornaufsatz auf dem oberen Grat. Wenn Hermann seinen Schnabel aufsperrte, so öffnete sich ein weiter Schlund, in dessen Hintergrund eine winzige spitze und verkümmerte Zunge lag. Dennoch zeigte Hermann seine Geschmacksempfindung, und zwar in der Spitze des Schnabels.

Das merkwürdigste an Hermann waren entschieden seine Augen, schwarz mit hellgelblicher Iris. Sie schauten klug wie die eines Menschen in die Welt, und Hermann war klug, sehr klug sogar!

Wenn er vergnügt war oder sonst Veranlassung hatte, die Umgebung auf sein Dasein aufmerksam zu machen, dann schrie er laut und vernehmlich: „Dili, dili, dili!“ Er hatte aber sonst noch eine Menge Laute zu seiner Verfügung, leises Stöhnen, Krächzen, Knurren, und da ein Mensch alle diese Töne leicht nachahmen kann, so lernten Hermann und ich uns sehr bald in der Kakähsprache verständigen. „Kakäh“ nennen die Neger den Vogel in merkwürdig falscher Auffassung seines Schreies.

Ich lernte also geradezu Hermanns Sprache und konnte ihn in seinem sonderbaren Vogelidiom rufen, locken, warnen, ihm schmeicheln oder mein Mißfallen ausdrücken, ihn zum Fressen auffordern oder ihn veranlassen, einen schon gefaßten Bissen wieder fallen zu lassen, ja ihn sogar zu hellem Kampfeszorn aufreizen.

Wie Hermann zu seinem europäischen Namen kam? – Durch einen Zufall. Dr. Böhm rief nämlich beim Anblick des Negerjungen, welcher für unsere sehr hungrigen Magen gerade das Essen auftrug, erfreut: „Bist Du es, Hermann, mein Rabe?“ In demselben Augenblick erschien unser Vogel auf der Bildfläche, und so gaben wir ihm diesen Namen. Ohne weiteres rechneten wir ihn dabei dem männlichen Geschlecht zu, obgleich man bei dieser Art von Vögeln weder dem Gefieder, noch der Schnabelbildung nach unterscheiden kann, welchem er angehört.

Hermann war schon nach kaum einstündigem Aufenthalt in der ihm doch ganz fremden Umgebung so zahm, daß er, ohne Scheu auf den dargereichten Finger hüpfend, die ihm angebotenen Heuschrecken gierig und unter lautem Geschrei zu sich nahm, eine Gewohnheit, welche er in hungrigem Zustand auch während seines ganzen leider nur sehr kurzen Lebens beibehielt.

Offen gestanden war ich anfangs über seine schnelle Anpassung etwas verstimmt und meinte, diese seiner Gemüthslosigkeit zuschreiben zu müssen. Dann aber sagte ich mir, daß Hermann gewissermaßen noch Säugling sei, und im jugendlichen Alter vergessen sogar die Menschen sehr schnell, besonders wenn sie, wie Hermann, sehr hungrig sind.

Hermann nahm fortan an allen unsere Mahlzeiten theil, während deren er, auf der Tischplatte hockend, fein säuberlich mit mir aus einem Teller speiste. Meist benahm er sich dabei anständig und erlaubte sich selten, die Speisen umherzuschleudern. Er wußte recht gut, daß dies seine sofortige Ausschließung zur Folge hatte.

Eine andere Unart aber konnte ich ihm nicht abgewöhnen. Das drastische Mittel, welches man in solchen Fällen bei jungen Hunden anzuwenden pflegt, war begreiflicherweise bei Hermann nicht zu gebrauchen, schon wegen des Mangels einer Nase.

Da wir auf steter Wanderschaft begriffen waren, so ließ ich einen leichten, bienenkorbförmigen Käfig aus Ruthen und Bast für Hermann anfertigen, in welchem er während des Marsches hockte, getragen von meinem kleinen Zeltdiener Kipanja. Hermann hatte eine entschiedene Abneigung gegen dieses Gefängniß und betrat es vor dem Abmarsch nur unter mißmuthigem Krächzen. Im Lager dagegen genoß er unumschränkte Freiheit.

So lange ich anwesend war, saß er auf der Lehne meines Stuhles oder auf meiner Schulter und unterhielt sich dann oft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_316.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2021)