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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

in das Kaminfeuer. Das Papier flammte auf und sank in Asche zusammen, während der Freiherr sich in einen Sessel warf und in die Gluth starrte, immer neue Pläne entwerfend.

Eine halbe Stunde mochte so vergangen sein, da öffnete sich die Thür und der eintretende Diener meldete: „Herr Ingenieur Runeck.“

„Wer?“ rief Wildenrod auffahrend.

„Herr Runeck wünscht den Herrn Baron in einer dringenden Sache zu sprechen.“

Es war wirklich Egbert, der dem Diener auf dem Fuße folgte. Er trat ein, ohne die Antwort abzuwarten, und sagte mit einer kurzen Verbeugung: „Ich bitte mich nicht abzuweisen, Herr von Wildenrod, ich komme in der That in einer wichtigen und dringenden Angelegenheit.“

Oskar war aufgesprungen und gab jetzt schweigend dem Diener einen Wink, sich zu entfernen. Er täuschte sich keinen Augenblick darüber, was dies Erscheinen Runecks bedeute. Aber der Brief Stettens hatte ihn vorbereitet und gestählt für alles – auf eine Gefahr mehr oder weniger kam es nicht mehr an in dem Kampfe, in dem es sich für ihn so wie so um Sein oder Nichtsein handelte.

„Was führt Sie zu mir?“ fragte er kalt. „Sie werden es begreifen, Herr Runeck, daß nach dem, was vorgefallen ist, Ihr Erscheinen mich einigermaßen befremdet. Ich glaubte nicht, daß Sie Odensberg wieder betreten würden.“

„Mein Kommen gilt Ihnen allein,“ entgegnete Egbert in gleichem Tone, „und ich ersuche Sie in Ihrem eigenen Interesse, mich anzuhören.“

„Ich höre,“ war die kurze Antwort.

„Es bedarf keiner langen Einleitung,“ begann Runeck, „Sie wissen, was damals am Albenstein zwischen Ihrer Schwester und mir zur Sprache gekommen ist. Ich habe mich längst überzeugt, daß sie unwissend und schuldlos Ihr Leben getheilt hat, und um ihretwillen allein habe ich so lange geschwiegen.“

„Um Cäciliens willen?“ rief Oskar mit einem spöttischen Auflachen. „Das begreife ich vollkommen, Sie hat allerdings Anspruch auf jede Rücksicht von Ihrer Seite.“

Egbert trat einen Schritt zurück und seine Stirn zog sich drohend zusammen.

„Was wollen Sie damit sagen?“

Wieder kam das kurze höhnische Lachen von den Lippen Wildenrods, als er entgegnete: „Spielen Sie doch keine Komödie mit mir, ich weiß vollkommen Bescheid. Der arme Erich, wenn er geahnt hätte, daß sein geliebter Jugendfreund ihm die Braut abwendig gemacht hatte! Wer weiß, vor welcher bitteren Erfahrung ihn sein schneller Tod bewahrt hat.“

„Das ist eine schändliche Voraussetzung,“ rief Egbert empört, „und Sie beschimpfen Ihre Schwester ebenso wie mich! Sie sprechen, als ob ein Einverständniß zwischen uns bestanden hätte. Erichs Braut ist für mich so unnahbar gewesen, als es jetzt seine Witwe ist – über meine Gefühle habe ich niemand Rechenschaft abzulegen.“

„Auch nicht dem Bruder Cäciliens?“

Diesem Bruder – nein!“

„Herr Runeck, Sie sind in meinem Zimmer,“ erinnerte Oskar mit Schärfe.

„Das weiß ich, aber ich bin nicht gekommen, um Höflichkeiten mit Ihnen auszutauschen, sondern um einer Auseinandersetzung willen, die sich nicht länger verschieben läßt.“

„Worüber?“ fragte Wildenrod, der unbeweglich mit gekreuzten Armen dastand.

„Muß ich Ihnen das erst noch erklären?“

„Wenn ich Sie verstehen soll – allerdings.“ Runeck machte eine Bewegung der Ungeduld, aber er bezwang sich und fuhr mit anscheinender Ruhe fort: „Es handelt sich in erster Linie um jenen Vorfall in Berlin bei Frau von Sarewski, dessen Bedeutung für jeden der Anwesenden zweifellos war. Da ich aber nicht in jenem Kreise verkehrte und keinen der Betheiligten näher kannte, kümmerte ich mich nicht weiter darum. Erst als Sie in Odensberg auftauchten und ich die Gefahr erkannte, die Erich und seinem Vater von Ihnen drohte, forschte ich weiter nach. Ich erfuhr, daß damals nur Ihre schleunige Abreise und der dringende Wunsch der Betheiligten, einen öffentlichen Skandal zu verhüten, Sie rettete. Ich habe die Beweise in Händen und die Zeugen stehen mir zur Verfügung. Wollen Sie dem gegenüber wirklich noch den Unwissenden spielen?“

Oskar machte keinen Versuch mehr, zu leugnen, aber seine Augen flammten in so wildem tödlichen Hasse, als wollte er den Gegner vernichten. Es war nicht die Anklage selbst, die ihm keinen Ausweg mehr ließ, es war die grenzenlose Verachtung in dem Tone dessen, der sie aussprach, die den Freiherrn aufs äußerste reizte. Der ganze Stolz und Trotz seiner Natur bäumte sich dagegen auf. Er richtete sich hoch empor. „Und wozu sagen Sie mir das alles? Ich weiß längst, was ich von Ihnen zu erwarten habe, und werde mich zu wehren wissen. Was sollen die Drohungen, warum haben Sie nicht längst zugeschlagen?“

„Weil ich voraussetzte, daß Sie Odensberg früher oder später verlassen würden. Weder Erichs Vermählung noch sein Tod gab Ihnen ein Recht, dauernd hier zu bleiben. Erst gestern erfuhr ich von Maja, daß Sie ihr Verlobter sind, und Sie werden mich wohl verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß dies Band nicht geknüpft werden wird. Ich verbiete es Ihnen.“

„Wirklich? Und mit welchem Rechte?“

„Mit dem Rechte eines ehrlichen Mannes, der nicht zugeben wird, daß die Tochter Eberhard Dernburgs und sein Odensberg in die Hand eines Schurken fallen.“

Wildenrod zuckte zusammen und sein Gesicht wurde fahl wie das eines Toten. „Wahren Sie sich!“ stieß er mit halberstickter Stimme hervor, die Faust wie zum Schlage erhebend. „Sie werden mir Rechenschaft geben für dies Wort.“

„Das werde ich, aber nicht in der Art, wie Sie es meinen,“ sagte Egbert, das Auge fest auf ihn richtend. „Solche Dinge werden nur im Gerichtssaal ausgefochten, da giebt man nur mit Zeugen und Beweisen Rechenschaft. – Blicken Sie nicht so angelegentlich nach dem Revolver, der da über Ihrem Schreibtisch hängt, Herr von Wildenrod. Ich glaube es wohl, daß er geladen ist, aber ich bin auf meiner Hut – beim ersten Schritte, den Sie dorthin thun, werfe ich mich auf Sie.“

Oskars Auge hatte sich in der That auf den Revolver geheftet und ein unsinniger Gedanke war dabei in ihm aufgeblitzt, um freilich im nächsten Augenblick schon wieder verworfen zu werden. Was half es, wenn er diesen Gegner niederschoß? Stetten erhob ja die gleiche Anklage, Viktor von Eckardstein war jedenfalls auch eingeweiht und wer weiß wie viele noch – das Netz zog sich von allen Seiten zusammen.

„Ich lasse Ihnen noch einen Ausweg, den letzten,“ hob Runeck wieder an. „Verlassen Sie Odensberg für immer – heute noch, denn Maja darf auch nicht eine Stunde länger Ihre Braut heißen. Wie viel man dann auch errathen mag, die volle Wahrheit erfährt niemand, und Ihrer Schwester und Maja bleibt das Bitterste erspart. Ich schweige, wenn Sie sich verpflichten, zu gehen.“

„Nein!“ sagte Wildenrod mit unheimlicher Ruhe.

„Herr von Wildenrod –“

„Nein, sage ich Ihnen.“

„So gehe ich sofort zu Herrn Dernburg und enthülle ihm alles. Ihr Spiel ist verloren, geben Sie es auf!“

„Meinen Sie?“ fragte Oskar mit wildem Hohne. „Warten Sie erst das Ende ab, Herr Egbert Runeck. Was auch kommen mag. Ihnen weiche ich nicht.“

„Und das ist Ihr letztes Wort?“

„Mein letztes – ich bleibe!“

Egbert wandte sich schweigend nach der Thür, die sich in der nächsten Minute hinter ihm geschlossen hatte.

Wildenrod war allein. Er trat langsam zum Schreibtisch und nahm den Revolver von der Wand, den er lange in der Hand hielt. Diesen Weg war der Vater einst gegangen, als alles um ihn her zusammenbrach, um die Schande des Ruins nicht zu überleben. Hier galt es eine größere Schmach zu sühnen! Der matt blinkende Lauf der Waffe schien dem Sohne den gleichen Weg zu weisen. Aber da bäumte sich die heiße Lebenslust wieder auf in dem Manne, dem das Leben und seine Güter verlockender gewesen waren als die Ehre. Mußte denn das Spiel schon verloren gegeben werden? Er legte die Waffe nieder und versank in dumpfes Brüten, aus dem er sich plötzlich gewaltsam losriß, eiserne Entschlossenheit in den finsteren Zügen.

„Zu Maja!“ sagte er düster. „Ich will doch sehen, ob ihre Liebe zu mir die Probe aushält. Giebt sie mich preis – nun, dann ist es immer noch Zeit, ein letztes Wort mit diesem letzten Freunde hier zu reden!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_339.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)