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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Blicken zu bestreichen. Seine Augen waren scharf, und so unterschied er denn auch heute – schon bald nachdem sie das Stadtthor hinter sich hatten – zwei dunkle Gestalten und ihr stetiges Wandern in der Richtung auf die Herrenmühle zu. Er folgte ihnen lebhaft mit den Blicken: es waren zwei Männer seines Standes, wie man nun schon längst unterscheiden konnte. Es war aber, als ob der Pfarrer noch etwas anderes erwartete, und immer und immer wanderte sein Blick wieder nach der dunkeln Höhlung des Thorbogens unter dem Thurme hin, mit einem Ausdruck, als möchte er mit den bloßen gierigen Augen das, was noch kommen sollte, darunter herausholen. Und endlich kam es. Dunkel, schwerfällig, von hier aus kaum kenntlich, von ihm aber doch sofort mit einem Auflodern des Blickes begrüßt. Es war eine geräumige Karosse, gut bespannt mit einem Paar kräftiger, feister Rappen. Auf dem Bocke saßen zwei Männer, der eine von ihnen, der Kutscher, trug eine Art dunkler Livree ohne Abzeichen. Er hatte es offenbar nicht eilig und schien die Rosse eher zurückzuhalten als anzutreiben, weil er die Weisung haben mochte, eine gewisse Entfernung zwischen dem Fuhrwerk und den beiden vorauswandelnden geistlichen Herren nicht zu verringern.

Diese beiden hatten jetzt den Punkt der Landstraße erreicht, wo rechter Hand von ihr über eine breite, mit niedriger Steinbrüstung versehene Ueberbrückung des Mühlgrabens der Fuhrweg zur Herrenmühle abbog: sie üherschritten diese Brücke und hielten auf die schwärzliche Gebäudemasse des Herrensitzes Derer von Leyen zu. Der Pfarrer aber wartete noch immer. Während sein vorwegnehmender Blick jenen beiden auf dem Wege seitab nicht so sehr folgte als daß er ihnen vielmehr gierig vorauseilte, währenddessen also hatte er die Karosse aus den Augen gelassen. Und jetzt suchte er sie vergeblich auf dem offen daliegenden Wege. Wie war das möglich? Nur durch einen Umstand, den er jetzt auch alsobald erkannte. Kurz vor der Brücke standen zu beiden Seiten der Landstraße ein paar Gruppen hoher alter Schwarzpappeln einander gegenüber. Von unten an bebuscht, bildeten sie eine Art Boskett, das gerade hinreichte, das ganze Fuhrwerk dem Blicke auf weitere Entfernung hin zu verbergen. Der Pfarrer ruhte aber nicht, als bis er es trotzdem darunter entdeckt hatte. Pferde und Leute hielten sich da ganz still, das konnte er merken. Und nun hatte er genug gesehen, wandte sich kurz um und stieg wieder gen Keula hinauf, von wo dann alsbald das dünnstimmige Glöckchen zur Vesper läutete.

Die beiden Männer in Ordenstracht, welche der Pfarrer beobachtet hatte, waren der hochwürdige Herr Antonius Zindler von St. Aloysius und der Pater Gollermann, der Beichtvater Ihrer Hoheit der Frau Pfalzgräfin. Nicht gerade eilig, doch auch ohne jedes Zögern und Stocken etwa wie das unabwendbare Schicksal selber, verringerten sie die Entfernung zwischen sich und der Herrenmühle, dabei kurze Wechselreden tauschend, und nun hatten sie das vordere Hofthor erreicht und traten in diesen traulich von alten Gebäuden umgebenen stillen Bezirk ein. Kein Mensch hier wie gewöhnlich. Doch: auf einer Holzbank neben der niedrigen steinernen Bogenthür, die zum Flur des Haupthauses führte, saß die greise Wirthschafterin, so recht in der Nachmittagssonne, die ihren alten Gliedern wohlthun mochte, und reinigte läßlich ein Gemüse über einem irdenen Napf in ihrem Schoße. Ihr Gehör war wohl das schärfste nicht mehr, denn sie nahm die Annäherung der Fremden nicht eher wahr, als bis ein breiter Schatten ihr über die Hände fiel, weil die beiden zwischen sie und die Sonne getreten waren. Da fuhr die alte Crescenz auf, halb entsetzt. Sobald sie aber erkannte, wen sie vor sich hatte, war sie voll Eifer und Ehrerbietung, konnte gar nicht rasch genug ihre Gemüseschüssel los werden und suchte knixend des Herrn Dekans, ihres Seelsorgers, Hand zu küssen. Die hochwürdigen Herren wollten den Herrn Oberst sprechen? Zunächst nicht . . . sie heischten eine kleine Rücksprache mit dem Fräulein, Das Fräulein war wohl vom Hause fort, auf einem ihrer Gänge? – Nein, Fräulein Polyxene sei nicht fortgegangen; sie werde wohl oben in ihrem Gemache sitzen oder sonst wo im Hause herum sein.

Der alten Frau, welche die düstern Stiegen mit der eichenen Balustrade so eilig erklomm, wie sie vermochte, folgten die beiden Geistlichen auf dem Fuße. Sie blieben ihr so dicht auf den Fersen, daß, als die Crescenz das Schlafgemach des Fräuleins aufgeklinkt hatte – nachdem sie erst das Speisezimmer geöffnet und völlig leer befunden – die große Nase des Pater Gollermann alsobald auch in das stille Mädchengelaß hineinragte, worauf der Pater die Frau mit den hochwürdigen Händen selber sanft ein weniges beiseite schob und in dem Gemache Fuß faßte. Das Fräulein war nicht hier; allerdings nicht. Aber dennoch gab Pater Gollermann dem Gefährten ein Zeichen mit den Augen, worauf auch dieser eintrat. Es sei ihnen vielleicht gestattet, hier die Ankunft des gnädigen Fräuleins zu erwarten, ließ sich demnächst der Pater Gollermann vernehmen, der schon jetzt die Führung übernommen hatte und an gewinnenden Formen und zugleich einer gewissen sanften Unausweichlichkeit dem Amtsbruder auch in der That überlegen war.

Was hätte die gute einfältige Alte dagegen haben sollen! Wenn die Herrn hier vorliebnehmen wollten, warum nicht! Sie rückte eifrig ein paar Stühle herbei und ging dann eilig, um ihr Fräulein zu suchen.

Nicht länger saßen die beiden Patres still, als bis der trippelnde Schritt auf dem Gange draußen verklungen war. Dann erhoben sich, wie von einem Geiste getrieben, beide zugleich, um nunmehr das Zimmer näher in Augenschein zu nehmen. Man hätte fast sagen können, daß sie es durchschnüffelten, wenn anders gegenüber der Hochwürdigkeit der beiden dieser Ausdruck gestattet gewesen wäre, Sie hatten offenbar vor, das Zimmer, so lange sie darin ungestört waren, einer eiligen aber gründlichen Durchforschung zu unterziehen. Ach, dasjenige, was für sie schon allein eine Haussuchung gelohnt hätte, das verbarg sich nicht einmal vor ihnen! Die Späher anlockend durch seine verrätherische Außenseite, so lag es da auf dem Tische am Fenster, das kostbar unselige Buch von der „Teutschen Theologie“, das Buch, welches Polyxene gestern erst als nun endlich ihr zufallendes unschätzbares Erbtheil von der dem Tode ganz nahen Exkommunizierten erhalten und, bebend in Wehmuth und Ehrfurcht, nach Hause getragen hatte. Zufällig oder vielleicht gerade deshalb, weil der ungefüge braune Band so offen dalag, waren die Augen der beiden Väter anfangs gehalten gewesen, so daß sie ihn nicht gleich gewahrten. Sie waren eben gewohnt, auf dasjenige zu fahnden, was sich vor ihnen verbarg. Dann aber hatte der Pater Gollermann auf dem Tischlein am Fenster das Buch erblickt und war mit einem langen Schritte darauf hingestoßen. Er nahm es auf, nicht hastig, sondern schon mit langsamem Auskosten der Vermuthung, welche ihn gleich beschlichen hatte. Denn der kleine kurze Band mit den eigensinnig sich spreizenden Blättern sah verheißungsvoll aus. Das war nicht das handliche glatte Meß- oder Gebetbuch, welches gedankenlos und bequem zum Gottesdienst hin und wieder zuruchgetragen wird – dieses Buch gehörte schon durch sein Aeußeres in die Einsamkeit der Gemächer, in welchen die Spintisierer sich absonderten. Und nun, da er den Titel erkannte, legte Pater Gollermann langsam die Lippen fest aneinander, was seine Art war, um ein tieferes Aufathmen der Genugthuung nicht hörbar werden zu lassen. Er hatte von diesem Buche vernommen. Allerdings war dasselbe lange vor dem Riß, der durch das Auftreten des abtrünnigen Augustinermönches Lutherus an der Kirche geschehen, von einem unzweifelhaft frommen Manne und guten Katholiken geschrieben worden. Seit aber dieser vom Hochmuthsteufel besessene und von seiner eigenen Gelehrsamkeit trunkene Neuerer, der Doktor Luther, dem alten Werklein sonderbare Ehre angethan, dasselbe mit Hilfe der neuen Kunst des Bücherdruckes der Christenheit frisch zugänglich gemacht und ausdrücklich bekannt hatte, außer auf der Bibel und den Schriften des heiligen Augustinus nirgends so viel für das wahre Heil der Seele Nützliches geschöpft zu haben wie aus diesem Buche – da wurde das Werklein den im Schoße der „alleinseligmachenden“ Kirche Verbliebenen und besonders ihrer Priesterschaft ein Aergerniß. Der Jesuit blickte daher mit kalter Abgunst hinein und seine Augen blieben hart, während er hier und da las.

Indessen war auch der Herr Dekan Zindler aufmerksam geworden. „Ah, Hochwürden, was haben wir da?“ fragte er, rasch herantretend.

„Alles, was wir brauchen,“ hätte der Pater Gollermann mit Fug erwidern können, aber ein Jesuit sagt niemals, nicht einmal einem Ordensbruder, sofort, was er denkt. „Ein Buch,“ erwiderte Gollermann daher, „von welchem uns, das Fräulein hoffentlich wird versichern können, daß es nur durch Zufall hierher gelangt ist und daß sie sich von dessen Benutzung geziemend enthält.“

Er legte dasselbe seinem Begleiter in die gierig ausgestreckten Hände. Herr Dekan Zindler griff die Sache etwas anders an; er schlug das leere Blatt vor dem Titel auf und las den dort eingezeichneten Namen: Anne Rochette von Leyen. Ob Pater Gollermann denselben auch schon gesehen hatte? Jedenfalls blieb er sehr gleichmüthig, da sein Begleiter ihm seine Entdeckung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_342.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2021)