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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Medizinalrath Professor Dr. Wagner, und aus seinem Nachlaß floß den Ferienkolonien das hochsinnnige Vermächtniß von 30 000 Mark zu. Noch in demselben Jahre erwarb der Verein zu Grünhaide im Sächsischen Vogtland, nur zwanzig Minuten von dem Luftkurort Reiboldsgrün entfernt, ein stattliches zweistöcklges Wohnhaus mit zugehörigen Wirthschaftsgebäuden, Wiesen und Feldern und ließ es alsbald für seinen Zweck herrichten, so daß in ihm noch im Jahre 1888 fünfzig Kinder Aufnahme und Verpflegung finden konnten. Und als die günstigen Erwartungen, welche man daran geknüpft hatte, sich bestätigten, da schritt man im Jahre 1890 zur Erweiterung der Anstalt, indem man gegenüber dem alten Hause, nur durch die Landstraße von ihm getrennt, im Barackenstil ein neues Gebäude errichtete, das dem edlen Spender jenes ersten Heims zu Ehren den Namen „Ernst Wagner-Haus“ erhielt. Nunmehr können hundert Kinder gleichzeitig in Grünhaide versorgt werden, und unser Gewährsmann versichert uns, daß die eigene Wirthschaftsführung es ermögliche, für denselben Preis, der sonst in Gasthöfen bezahlt würde, beinahe die doppelte Anzahl von Kindern in mindestens ehenso guter und reichlicher Weise zu verköstigen.

Grundriß des Ernst Wagner-Hauses.

Sehen wir uns das zweite, neuere Gebäude noch etwas näher an, denn seine Bauart und Einrichtung dürfte überall da Interesse haben, wo ähnliche Einrichtungen angestrebt werden! Es hat nur ein Geschoß und ruht auf gemauerten Pfeilern, so daß die Luft zwischen Diele und Erdboden freien Durchzug hat. Es besteht aus einem Mittelbau und zwei sich anschließenden Flügeln. Den Mittelbau nimmt zum größten Theile der bis zum Dache reichende 9 Meter breite und 10 Meter tiefe Speisesaal ein, hinter welchem noch eine zum Aufenthalt bei regnerischem Wetter günstige offene Halle gelegen ist. Jeder der beiden Flügel enthält einen 16 Meter langen und 7 Meter breiten luftigen Schlafsaal, der tagsüber von der Sonne ganz durchfluthet und außerdem durch besondere Vorrichtungen am Dache gelüftet wird. An die beiden Schlafsäle schließt sich an der Hinterseite des Hauses je ein für den Führer oder die Führerin bestimmtes Zimmer, während der Vorderseite der beiden Flügel je eine vor Regen geschützte, mit Bänken versehene Veranda entlang läuft. Geräumige Spielplätze, durch einen Zaun begrenzt, umgeben das Haus auf allen Seiten. Der Kostenaufwand betrug rund 17000 Mark.

Wie in Leipzig, so legte auch in Dresden die zunehmende Menge der verpflegungsbedürftigen Kinder den Wunsch nach einem eigenen Anwesen nahe; hatte doch der „Gemeinnützige Verein zu Dresden“ im Jahre 1892 nicht weniger als 669 Knaben und Mädchen zu versorgen! So entschloß sich denn der genannte Verein, aus eigenen Mitteln ein „Sommerheim für Kinder“ zu bauen. Er erwarb zu diesem Zwecke für den Preis von 4000 Mark in der Nähe des an der Dresden-Chemnitzer Bahn gelegenen Dorfes Klingenberg eine 8500 Quadratmeter große Parzelle des Grüllenburger Forsts, die durch ihre hohe, gegen Norden geschützte und landschaftlich schöne Lage, durch die unmittelbare Nachbarschaft ausgedehnter Waldungen besonders geeignet schien, als Baugrund für ein „Sommerheim“ zu dienen. Im Anfang des Jahres 1891 wurde der Bau begonnen und bereits im Juni vollendet.

Wir können ihn kurz charakterisieren als eine Verdoppelung des Grünhaider Neubaus. Er besteht im wesentlichen aus zwei 35 Meter voneinander entfernten, ebenfalls auf Steinsäulen ruhenden Fachwerkbaracken, deren jede zwei sonnige und luftige Schlafsäle für je 25 Kinder, einen geräumigen gemeinsamen Tagraum (Wohn-, Eß- und Arbeitszimmer), zwei Führergelasse und zwei Kleiderkammern enthält. Zwischen beiden Baracken liegt das Wirthschaftsgebäude mit Küche, Speisekammer, Keller, Baderaum, Wohnzimmern für die Wirthschafterin und die Dienstboten und endlich, für vorkommende Nothfälle, zwei Krankenzimmern. Ein breiter, bedeckter, nach Süden offener Gang verbindet die drei Gebäude, der zugleich bei ungünstigem Wetter den Kindern einen erträglichen Aufenthalt bietet. Hiezu kommt noch ein Thorwärterhäuschen, das auch während des Winters von dem Hausmann und seiner Familie bewohnt wird, und ein Waschhaus mit anstoßendem Holz- und Kohlenschuppen. Die Gesammtkosten des Baus betrugen 44 966 Mark. Die innere Einrichtung, welche 8227 Mark kostete, ist durchweg einfach praktisch, aber freundlich und gefällig, immer darauf berechnet, die Kinder zu einem gewissen Sinn für Anmuth zu erziehen, ohne sie zu verwöhnen. Doch fehlt auch künstlerischer Schmuck nicht ganz. Auf der Rückwand des bedeckten Ganges hat der Historienmaler Rödig eine Reihe von humoristischen Bildern angebracht, wie die Kinder willkommen geheißen werden von „Frau Sonne“ und „Vater Wald“, wie sie gewogen werden vor und nach der Sommerpflege u. dergl. m. Die Wände der Hauptgebäude dagegen hat Maler Schultz mit Arabeskenschmuck und allerlei Sinnsprüchen geziert.

Die Aufsicht in dem Sommerheim führt eine Oberin nebst drei Lehrern oder Lehrerinnen, die Verpflegung liegt in den Händen der Inspektorin, der zwei oder drei Hausmädchen beigegeben sind. Eine fest bestimmte Kostordnung schreibt auf drei Wochen für jeden Tag Art und Menge der Speisen vor.

Im Sommer des Jahres 1892 hat das Klingenherger Heim zweimal je hundert und einmal fünfzig Kinder beherbergt, wobei sich alle seine Einrichtungen aufs beste bewährt haben. Durch eine frische Gesichtsfarbe und stattliche Gewichtszunahme quittierten die Kinder auch äußerlich dankend das Empfangene.

Ein sehr kluger und beherzigenswerther Gedanke ist übrigens mit diesem Sommerheim des Dresdener Gemeinnützigen Vereins noch erprobt worden. Um das Heim außerhalb der doch verhältnißmäßig kurzen Ferienzeit nicht leer stehen zu lassen wurde beschlossen, es während der ganzen wärmeren Jahreszeit für blutarme und schwächliche, überhaupt der Erholung bedürftige Kinder gegen eine Vergütung von 10 Mark für die Woche offen zu halten. Die Anstalt dient also außerhalb der großen Sommerferien gleichsam als Genesungshaus für solche Kinder, die durch ihr Befinden am Schulbesuch verhindert sind; und diese können den herrlichen stärkenden Aufenthalt in Luft und Licht genießen, ohne daß die Eltern selbst genöthigt sind, mit ihnen aufs Land hinauszugehen. Anmeldungen für eine derartige Aufnahme in das Sommerheim sind an die Geschäftsstelle des „Gemeinnützigen Vereins“ in Dresden (an der Kreuzkirche 15,I) oder an Herrn Dr. Richard Schmaltz (Pragerstraße 30) zu richten.

So mögen denn diese Beispiele, denen sich noch andere von Hamburg, Bremen, Barmen, Landsberg a. d. W. etc. anreihen ließen, ihre gute Wirkung thun! Zur Schaffung eines eigenen Heims bedarf es naturlich einer einmaligen größeren Ausgabe, für welche Deckung gesucht werden muß, sei es durch Rücklagen aus den laufenden Einnahmen, sei es durch besonderen Anruf der Mildthätigkeit. Wenn aber die Ueberzeugung sich Bahn bricht, wie viel mehr auf diesem Wege zu erreichen ist, so wird es gewiß nirgends an offenen Herzen und offenen Händen fehlen!

Das Sommerheim bei Klingenberg in Sachsen.
Zeichnung von R. Püttner.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_365.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2021)