Seite:Die Gartenlaube (1893) 367.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Dem Vater nicht Lebewohl sagen?“ wiederholte sie mechanisch. „Nicht einmal das, wenn ich auf immer von ihm gehe?“

„Nicht für immer,“ beruhigte sie Wildenrod. „Dein Vater wird sich versöhnen lassen. Ich nehme die ganze Schuld und Verantwortung dieses Schrittes auf mich allein. Wir werden zurückkehren.“

„Ich nicht!“ sagte das junge Mädchen leise. „Ich werde sterben an diesem Leben in der Fremde, an der Trennung von dem Vater, an jenem – jenem Furchtbaren, das Du mir nicht nennen willst. Deine Liebe ist mein Tod!“

„Maja!“ unterbrach er sie mit zorniger Bestürzung, sie aber fuhr unbeirrt fort: „Ich habe das eigentlich immer gewußt. Als Du zuerst unser Haus betratest und ich zum ersten Mal in Deine Augen sah, da überfiel mich eine Angst, als stände ich an einem Abgrund und müßte hinabstürzen. Und die Angst ist immer wieder gekommen, selbst in der Stunde, in der Du mir Deine Liebe gestandest, selbst in dem Glück der letzten Wochen. Ich habe es nur nicht wissen wollen, habe mich dagegen gewehrt und an das Glück der Gegenwart geklammert. Nun zeigst Du mir den Abgrund, und ich – ich muß hinunterstürzen.“

„Und Du willst doch mit mir gehen?“ fragte Oskar langsam; es war, als versagte ihm der Athem.

„Ja, Oskar! Du sagst, ich könne Dich retten, wie darf ich zögern?“ Sie legte den Kopf an seine Brust, mit einem leisen herzzerreißenden Weinen, in dem das junge Wesen sein Glück begrub. Wildenrod stand regungslos da und blickte auf sie herab; von der Buche rieselten langsam die welken Blätter auf die beiden nieder.

Endlich richtete sich Maja auf und trocknete ihre Thränen. „Laß uns gehen – ich bin bereit!“

„Nein!“ sagte Oskar, beinahe rauh, indem er sie aus den Armen ließ.

Das junge Mädchen sah ihn betroffen an. „Was sagtest Du?“

Er nahm den Hut ab und strich über die Stirn, als wollte er dort etwas wegwischen. Seine Züge erschienen auf einmal so seltsam verändert, vor wenigen Minuten stürmte noch die ganze wilde Leidenschaft seiner Natur darüber hin, jetzt lag eine kalte starre Ruhe darauf. „Ich sehe ein, daß Du recht hast,“ sagte er und seine Stimme klang unnatürlich ruhig. „Es wäre grausam, Dir den Abschied von dem Vater zu verwehren. Geh’ zu ihm und sage ihm – was Du willst.“

„Und Du?“ fragte Maja, bestürzt über diese plötzliche Sinnesänderung.

„Ich warte hier auf Dich. Es ist vielleicht besser, Du sprichst ihn noch einmal, ehe wir den letzten äußersten Schritt wagen, vielleicht gelingt es Dir, ihn umzustimmen.“

Es war nur ein karger Lichtschimmer, den er ihr zeigte, aber mehr bedurfte es nicht, um in dem Herzen Majas die Hoffnung hell wieder aufflammen zu lassen. „Ja, ich will zum Vater!“ rief sie. „Ich will ihn auf meinen Knien bitten, uns nicht zu trennen. Du kannst ja nichts so Schweres, Unsühnbares begangen haben, und er wird und muß mich hören. Aber – wäre es nicht besser, Du gingest mit mir?“

„Nein, das wäre umsonst! Aber nun geh’, geh’ – die Zeit ist kostbar.“

Er drängte sie beinahe angstvoll von sich, doch als sie sich dann wirklich zum Gehen wandte, streckte er plötzlich beide Arme nach ihr aus. „Komm’ zu mir, Maja! Sage mir noch einmal, daß Du mich liebst, daß Du mit mir gehen wolltest, trotzalledem!“

Das junge Mädchen flog wieder zu ihm zurück und schmiegte sich an ihn. „Du fürchtest, ich könnte nicht standhaft bleiben? Ich theile alles mit Dir, Oskar, und wäre es das Schlimmste, mich reißt nichts von Deiner Seite!“

„Dank!“ sagte er innig. In seiner Stimme bebte ein weicher verschleierter Klang, aus seinen Augen war die düstere Gluth gewichen, sie strahlten jetzt voll tiefer Zärtlichkeit. „Dank, meine Maja! Du ahnst nicht, was dies Wort alles in mir befreit und erlöst, was Du mir damit giebst. Vielleicht erfährst Du jetzt aus dem Munde Deines Vaters, was ich Dir nicht sagen kann. Wenn sie mich dann alle verdammen und verwerfen, so denke daran, daß ich Dich geliebt habe, grenzenlos geliebt. Wie sehr, das fühle ich erst in diesem Augenblick – und ich werde es Dir beweisen.“

„Oskar, Du bleibst doch hier?“ fragte Maja, von einer dunklen Ahnung geängstigt.

„Ich bleibe in Odensberg, mein Wort darauf – und nun geh’, Kind!“

Er küßte seine Braut noch einmal und gab sie dann frei. Sie schritt langsam davon; am Rande des Gebüsches wandte sie sich um. Wildenrod stand regungslos da und sah ihr nach, aber er lächelte, und das beruhigte das junge Mädchen, das nun rasch in den nebelerfüllten Park eilte.

Oskar folgte der schlanken Gestalt mit seinen Blicken, bis sie verschwunden war, dann ging er langsam zu der Bank zurück und legte prüfend die Hand an die Brusttasche. Dort ruhten seine Papiere, die Geldsumme, die er bei sich trug, und – noch etwas anderes, das er für alle Fälle zu sich gesteckt hatte. Jetzt galt es … doch nein, nicht hier, nicht im Umkreis des Hauses! Es kam ja auch auf eine Stunde mehr oder weniger nicht an – die Nacht paßte besser zu seinem Vorhaben.

„Arme Maja!“ sagte er leise. „Du wirst bitter weinen; aber Dein Vater wird Dich in seine Arme nehmen. Du hast recht, Du würdest sterben an einem solchen Leben und an meiner Schuld – Du sollst gerettet werden. Ich gehe allein – ins Verderben!“

*      *      *

Das Erbbegräbniß der Dernburgschen Familie lag an der Rückseite des Parkes. Es war kein prunkendes Mausoleum, nur ein von dunklen Tannen umfriedeter Ort. Einfache marmorne Gedenksteine schmückten die grünen epheuumrankten Hügel. Hier ruhten Dernburgs Vater und Gattin und hier hatte auch sein Sohn Erich die letzte Ruhestätte gefunden.

Die junge Witwe weilte noch allein am Grabe, doch der immer stürmischer sich erhebende Wind mahnte auch sie jetzt zum Aufbruch. Sie hatte sich eben niedergebeugt, um den frischen Kranz auf dem Grabe besser zu befestigen, und richtete sich nun empor, als sie auf einmal jäh zusammenzuckte. Egbert Runeck war aus den Tannen hervorgetreten und stand ihr gegenüber. Er hatte offenbar nichts geahnt von diesem Zusammentreffen, aber er faßte sich rasch und sagte mit einer Verbeugung. „Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich störe. Ich glaubte den Platz leer zu finden!“

„Sie sind in Odensberg, Herr Runeck?“ fragte Cäcilie, ohne ihr Befremden zu verbergen.

„Ich war bei Herrn Dernburg und wollte die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ohne die Grabstätte meines Jugendfreundes zu besuchen. Es ist das erste und wohl auch das letzte Mal, daß ich sie sehe.“

Sein Blick streifte dabei düster die schwarz verschleierte Gestalt Cäciliens; dann trat er zum Grabe und blickte lange und schweigend darauf nieder. „Armer Erich!“ sagte er nach einer Weile. „Er mußte so früh scheiden, und dennoch – es ist ein beneidenswerther Tod, so mitten im Glück zu sterben!“

„Sie irren – Erich starb nicht im Glück!“ sagte Cäcilie leise.

„Sie glauben, daß er das Nahen des Todes gefühlt und den Trennungsschmerz empfunden hat? Ich hörte doch, der Blutsturz habe ihn bei anscheinend voller Gesundheit befallen und er sei dann nicht wieder zur Besinnung gekommen.“

„Ich weiß nicht, für mich liegt etwas Räthselhaftes in den letzten Augenblicken Erichs,“ entgegnete die junge Frau gepreßt. „Als er noch einmal die Augen aufschlug, kurz vor seinem Tode, da sah ich, daß er mich noch erkannte. Der Blick verfolgt mich immer noch, ich kann ihn nicht loswerden. Er war so voll Klage und Vorwurf, als hätte Erich gewußt oder geahnt –“ sie brach plötzlich ab.

„Was soll er geahnt haben?“ fragte Runeck hastig.

Cäcilie schwieg, sie konnte hier doch am wenigsten sagen, was sie fürchtete. „Mein Bruder meint, es sei Einbildung,“ entgegnete sie dann ausweichend. „Er mag recht haben, und doch bleibt diese Erinnerung für mich ein Stachel, der immer schmerzen wird.“

Sie neigte das Haupt zum Gruße gegen Egbert und wollte gehen; er kämpfte offenbar mit sich selbst, dann machte er eine

Bewegung, als wollte er die Scheidende zurückhalten. „Ich glaube,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_367.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)