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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

entscheidenden Augenblick losbrach, ist wohl mehr als Zufall gewesen – das Walten einer höheren Hand.“

„Ich fürchte, es war eine Menschenhand!“ entgegnete der Oberingenieur leise.

Dernburg wandte sich betroffen zu ihm. „Was wollen Sie damit sagen?“

„Freiherr von Wildenrod ist nirgends zu finden,“ erklärte der Beamte ernst. „Er sprach vorhin mit mir über die Möglichkeit, die Leitung zu öffnen, und that dabei eine seltsame Aeußerung, die mich erschreckte. Wenige Minuten später sah ich ihn nach jener Richtung eilen und dort verschwinden. Hier hat kein Zufall gewaltet.“

Dernburg erbleichte, jetzt auf einmal wurden ihm Oskars letzte Worte klar und er verstand alles. „Um Gotteswillen!“ fuhr er auf, „dann müssen wir zur Brandstätte dringen, müssen wenigstens versuchen –“

„Unmöglich!“ unterbrach ihn der Direktor. „Unter den glühenden dampfenden Trümmern athmet nichts Lebendes mehr.“

Er hatte nur zu sehr recht, das sah auch Dernburg ein; tieferschüttert legte er die Hand über die Augen. Für ihn gab es hier keinen Zweifel mehr; der Mann, der Odensberg an sich hatte reißen wollen um jeden Preis, er hatte sich geopfert, um Odensberg zu retten! –

Die Arbeiten auf der Brandstätte nahmen noch Stunden in Anspruch. Es galt, das da und dort immer wieder aufflackernde Feuer zu ersticken, die Brandstätte abzuschließen und die immer noch strömende Fluth der Radefelder Leitung abzusperren.

Der Tag war bereits angebrochen, als es endlich möglich wurde, die Leute zu entlassen und nur die zur Bewachung nöthige Mannschaft zurückzubehalten. Sie hatten alle an Muth und Ausdauer das Aeußerste geleistet; nun warteten die Männer, mit den rauchgeschwärzten Gesichtern und triefenden Kleidern, erschöpft von der langen schweren Arbeit, auf ihren Chef. Aller Blicke waren stumm und fragend auf ihn gerichtet, als er jetzt in ihre Mitte trat. Seine Stimme, obgleich voll tiefer Bewegung, war weithin hörbar. „Ich danke Euch, Kinder! Was Ihr in dieser Nacht für mich gethan habt, das werde ich Euch nie vergessen. Ihr habt mir die Niederlegung der Arbeit angekündigt und ich wollte Euch die Wiederaufnahme verbieten. Nun habt Ihr doch gearbeitet für mich und mein Odensberg, und da denke ich“ – er streckte plötzlich einem alten Arbeiter mit eisgrauem Haar, der dicht vor ihm stand, beide Hände entgegen – „wir bleiben nun auch zusammen und arbeiten wieder zusammen wie seit dreißig Jahren!“

Und in dem stürmisch jubelnden Zuruf, der jetzt von allen Seiten laut wurde, ging der Odensberger Ausstand zu Ende.




Mehr als zwei Jahre waren vergangen seit jener Sturmnacht, in welcher der Brand auf den Odensberger Werken gewüthet hatte, aber aus dem Sturm und Brand jener Tage, die alles mit Vernichtung bedroht, hatte sich neues Leben und Schaffen emporgerungen.

Die Ereignisse, die damals den Familienkreis Dernburgs ebenso schwer getroffen hatten wie seine Stellung als Herr von Odensberg, waren allmählich in den Hintergrund getreten, obgleich sie noch lange ihre folgenschweren Wirkungen gezeigt hatten. Am Tage nach dem Brande hatte man die Leiche Oskar von Wildenrods gefunden. Seine heldenmüthige That, an der nicht zu zweifeln war, wurde überall bewundert; nur Dernburg und Egbert wußten und die wenigen sonst Eingeweihten ahnten es, daß ein beflecktes und verlorenes Leben mit diesem freiwilligen Opfertod gesühnt worden war. Für alle anderen blieb das Andenken des Freiherrn rein, der unter den rauschenden Tannen des Odensberger Parkes seine Ruhestätte fand.

Die allgemeine Annahme ging dahin, daß der Brand gelegt worden sei, aber Beweise dafür hatte man nicht gefunden und auch nicht finden wollen. Fallner, auf den eine Spur wies, hatte Deutschland verlassen, um sich der Untersuchung zu entziehen, die ihm wegen des schweren Angriffes auf Runeck bevorstand. Da alle jene Vorfälle in der Oeffentlichkeit nur allzu großes Aufsehen gemacht hatten, so wollte man sie um keinen Preis durch eine Gerichtsverhandlung wieder in den Vordergrund drängen – in diesem Punkte war Dernburg mit den Gegnern einverstanden. Er that das Möglichste, die ganze Sache in Vergessenheit zu bringen, um den neu errungenen Frieden mit seinen Arbeitern nicht durch bittere Erinnerungen und Erörterungen aufs neue zu gefährden.

Runeck hatte vom Krankenbette aus seiner Partei die Erklärung gesandt, daß er sein Mandat niederlege. Auch ohne jene schwere Verwundung, die ihn Wochen hindurch an das Lager fesselte und ihm monatelang jede ernstere Thätigkeit verbot, wäre der Entschluß unvermeidlich gewesen. Das Band zwischen ihm und seinen einstigen Genossen, schon lange nur noch äußerlich vorhanden, war jetzt endgültig zerrissen. Das Ergebniß der Neuwahl war vorauszusehen; es gab nur einen, der dem Herrn von Odensberg den Platz hatte streitig machen können, und dieser eine trat zurück. Aus der Wahlurne ging Eberhard Dernburg mit überwiegender Mehrheit hervor, und diesmal standen auch seine Odensberger zu ihm – die Aussöhnung war vollständig gewesen.

Egbert hatte nach seiner Genesung Odensberg verlassen und war lange fern geblieben. Er wie Dernburg fühlten, daß sich die neue Zukunft, wo sie sich die Hände reichen wollten, nicht so ohne weiteres an die Vergangenheit anknüpfen ließ, daß sich da noch manche innere Wunde schließen mußte, wenn auch die äußere geheilt war. Der junge Ingenieur hatte weite Reisen gemacht und war ein volles Jahr lang in Amerika gewesen, wo es für ihn noch so viel zu sehen und zu lernen gab. Dort hatte er die Studie, die er einst in England begonnen, zum Abschluß gebracht. Als er nun endlich nach Odensberg zurückkehrte, da war das lange Harren zu Ende, da durfte er das Glück umfangen, das ihm einst an der Schwelle des Grabes aufgeblüht war; nach einem kurzen Brautstande fand in aller Stille seine Vermählung mit Cäcilie statt. –

Heute herrschte im Herrenhause eine freudige festliche Bewegung, man erwartete das junge Ehepaar von der Hochzeitsreise zurück, und Frau Doktor Hagenbach, die auch nach ihrer Heirath noch in den alten vertrauten Beziehungen zu dem Dernburgschen Hause stand, ordnete soeben noch einiges für den Empfang. Aus dem kränklichen nervösen und verblühten Mädchen war eine heitere und noch immer anmuthige Frau geworden; Doktor Hagenbach hatte seine ärztliche Autorität auch als Ehemann behauptet, er hatte seiner Frau die verhaßten „Nerven“ vollständig abgewöhnt.

Frau Leonie war eben fertig geworden, als sich die Thüre öffnete und ihr Gatte eintrat. Auch ihm schien der Ehestand ganz gut zu bekommen, denn er sah höchst vergnügt aus und Sprache und Haltung waren vortheilhaft verändert – man sah wohl, er hatte es ernst genommen mit dem „Menschlichwerden“. Er nickte seiner Frau zu und sagte: „Ich komme nur einen Augenblick herauf, Leonie, um Dir zu sagen, daß ich vorher noch einen Krankenbesuch zu machen habe. Es wird aber nicht lange dauern, zum Empfang bin ich jedenfalls wieder da.“

„Sie treffen ja erst gegen zwei Uhr ein“, bemerkte Leonie. „Aber noch eine Frage, lieber Hugo – hast Du Dir die Sache mit Dagobert überlegt?“

Der Doktor zog wieder sein grimmiges Gesicht von ehemals und seine Stimme gewann einen grollenden Ton, als er antwortete: „Da giebt es nichts zu überlegen! Ich werde mich hüten, dem Jungen die dreihundert Mark zu schicken, die er seiner Behauptung nach so nothwendig braucht. Er muß mit dem auskommen, was ich ihm ein für allemal ausgesetzt habe.“

„Aber die Summe ist doch nicht so groß,“ wandte Frau Leonie ein, „und Du hast sonst nicht über Dagobert zu klagen. Er arbeitet fleißig, schreibt uns fleißig –“

„Und schmachtet Dich noch immer fleißig an, in Versen und in Prosa,“ ergänzte Hagenbach. „Na, auf den dummen Jungen braucht ja ein vernünftiger Mensch nicht eifersüchtig zu sein, obgleich er sich unterstand, mir nach Empfang der Verlobungsanzeige zu schreiben, ich hätte ihm einen tödlichen Stoß in das verrathene Herz gegeben. Der Herzensstoß hindert ihn aber nicht, sich bei jeder Gelegenheit hinter seine Frau Tante zu stecken, wenn er etwas von mir, dem Verräther, haben will, und sie nimmt leider immer seine Partei. Diesmal hilft es ihm aber nichts – er bekommt das Geld nicht, und damit Punktum!“

Leonie widersprach nicht, sie lächelte nur mit nachgiebiger Miene und ließ den Gegenstand fallen. „Wir werden heut’ im engsten Kreise sein,“ bemerkte sie. „Nur Graf Eckardstein ist geladen.“

„Hoffentlich bedeutet das, daß wir bald wieder eine Braut im Hause haben und daß in nicht allzu ferner Zeit eine junge Gräfin ihren Einzug in Eckardstein hält.“

Frau Leonie schüttelte zweifelnd den Kopf. „Ich fürchte, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_384.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)