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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Kreuz sie nicht daran hinderten, im Sattel und im Festsaal jahraus jahrein ein Leben rauschenden Genusses zu führen.

„Meine alte Freundschaft!“ lachte der Domherr kurz, in gutmüthiger Selbstverspottung. „Ja, diese Freundschaft hat schon viele Geburtstage gefeiert, zu viele vielleicht. Aber die Grete hält fest . . . es ist eine eigene Sorte, diese Weiber im Stift von St. Truyden . . . das Regieren haben sie los; Graf Arlon, auf welchen die Aebtissin langjährige Rechte geltend macht, weiß davon zu sagen. Und ich, ich spüre jetzt zuweilen etwas,“ – er reckte den starken Hals wie unter einem lastenden Drucke – „bei Gott, man könnte fast ebensogut verheirathet sein!“

Nievern lachte. „Ein Liebchen, das zehn Meilen entfernt sitzt, kann das Joch nicht allzu schwer auflegen,“ tröstete er. „Du bist immer noch ein freier Mann, Engelbert.“

„Nicht so frei wie Du,“ sagte jener. „Und es hat den Anschein, als wolltest Du es noch eine Weile bleiben. Aber sieh Dich vor! Es ist Dir ja bekannt, daß die schönen Hexen von Sankt Truyden nur halb geistlich sind, nicht fest gebunden wie wir, aber ich erinnere Dich noch einmal daran. Keine hat das letzte Gelübde abgelegt, das ihr die Vermählung ganz verwehrte. Was sie hindert und was sie sämtlich in die reifen Jahre hat kommen lassen, ist einzig und allein das herrliche Leben, welches sie führen. Kann irgend ein Ehemann in der Welt einer von ihnen das gewähren?“

„Was predigst Du mir das alles, Engelbert?“ lachte Nievern. „Du fehlst weit, wenn Du mich für den Mann hältst, der eine von Euern Schönen dem Stiftskreuz abwendig machen wolle.“

„Das sagst Du,“ meinte Herr von Wildenfels, den stattlichen Vetter von der Seite ansehend. „Wenn aber Gott Amor einmal einer von ihnen allzuscharf zusetzt? Dann mag der, der gemeint ist, sich in acht nehmen. Bei meinem Schutzpatron, Viktor, den ich selten genug zum Zeugen nehme: die Dalhem hatte das in den Augen, als sie Dir zutrank, was mich für Deine Freiheit fürchten läßt. Denn dies Weib ist ebenso klug und unermüdlich, wie sie göttlich schön ist. Und wenn sie, merke auf, ich sage nur, wenn sie ihrer Ungebundenheit und den Genüssen ihres Lebens hier entsagen wollte um Deinetwillen – Bruder, hättest Du das Herz, sie auszuschlagen? Dann muß das Ding mit dem Teufel zugehen, oder Du bist schon verliebt!“

„Dn folgerst em wenig rasch, vortrefflichster Kanonikus,“ sagte Nievern und blickte ruhig geradeaus. „Soll das heißen, daß, wenn man überhaupt in den Bereich der schönen Dalhem kommt, sie auch nothwendig die Herrscherin unseres Herzens werden müsse?“

„So ungefähr, ja; und wenn sie es erst einmal darauf anlegt, dann gewiß, ohne Hilfe und Rettung. Es müßte denn, wie ich eben sagte, jener Platz allbereits besetzt sein. Und die möcht’ ich wahrlich sehen, die ihn gegen diese gefährliche Sirene auf die Dauer zu behaupten vermöchte!“

Ob Nievern sie etwa sah, die jenen Platz behauptete? Die Schärfe seines Falkenblickes schien nach innen gekehrt, als gelte es irgend einer Erinnerung. Den versuchenden Worten seines Begleiters aber wich er aus. „Sirene nennst Du sie,“ begann er. „Sage lieber Bacchantin! Bacchantinnen sind sie alle . . . halte mich für einen armseligen Schächer, Bruder, aber ich gesteh’ es Dir: es graute mir zuletzt bei diesen Weibern. Jener Tanz gestern abend, in den schwarzen Kleidern und Schleiern –“

„Aus denen dann die Schultern und Arme desto weißer hervorleuchteten. Alabasterartiger ist die Haut der Grete, aber die der Dalhem hat den rosigen Anflug, ah –“ und der Wildenfelser küßte die Fingerspitzen mit einem Kennerlächeln.

„Daß Du sie ein wenig zu warm empfiehlst, um ihr einen Abnehmer zu sichern, merkst Du wohl nicht,“ sagte darauf der Herr von Nievern trocken.

Da fuhr der Kanonikus förmlich auf. „Das von einem Weibe, welches eine ganze Provinz toll gemacht hat!“ rief er. „Dik Steenkerk ist um sie, weil sie ihn nicht haben wollte, zum Teufel gegangen, das heißt, er ist in einer Matrosenschenke in Rotterdam, wo er sich herumtrieb, erstochen worden. Und der Herr von Tirlemont, da er ihr zu Liebe ritt, hat nächtens hart vor St. Truyden mit dem Pferde den Hals gebrochen!“

„Ich brech’ ihn nicht, oder in einer besseren Sache, Engelbert,“ entgegnete Nievern ungerührt. „Es müßte denn in den nächsten fünf Minuten sein, und das kann kommen, wenn wir uns hier nicht vorsehen.“

Der Weg wand sich jetzt steil abwärts in das scharf eingeschnittene Thal, aus welchem die Stadt an der gegenüberliegenden Berglehne emporkletterte. Es dämmerte schon stark; Nievern hatte auf seinen Gaul, ein junges unruhiges Thier, zu achten. Der von Wildenfels dagegen saß sorglos, mit lockeren Zügeln nach seiner Art und schenkte dem Voranreitenden einen letzten kleinen Hieb nicht. „Mit Dir ist es nicht ganz richtig, Bruder! Dem Wirthe ziemt es nicht, seinen Gast allzu genau auszufragen, aber welcher Wind Dich damals von Deinem Birkenfelder Hofe hierhergeweht hat, das soll ich heute noch von Dir erfahren!“

Nievern parierte mit einem Scherzwort, und dann ließ der Weg kein Zwiegespräch mehr zu, bis sie zur Stadt kamen. Sie ritten durch den Thorthurm, ehrerbietig gegrüßt vom Wärter, der eben die Thore schließen wollte für die Nacht, durch die dunkelnden Gassen und hinauf zum stattlichen Burghause des Domherrn.

Hier wurde der Wildenfelser mit seinem Gast als der große Herr, als welcher er lebte, von einem zahlreichen Gesinde empfangen. Die Diener eilten mit Windlichtern die Treppen herunter, obwohl am tiefgewölbten Eingangsthor auf hoher Pechpfanne ein Feuer brannte und den ganzen Platz erhellte. Je ein Page leuchtete jedem der beiden Herren in sein Gemach, und Nievern fand in dem prächtigen Gastzimmer, das er innehatte, die Kerzen auf silbernem Armleuchter und im Kamin ein lustiges Holzfeuer flackern.

Der rothe Feuerschein spielte über die kostbaren bilderreichen Gewebe aus Arras, welche die Wände bekleideten, über heroische und üppige Männer- und Frauenglieder, die da abgeschildert waren, denn die Teppiche stellten Scenen aus der heiligen Geschichte dar, aber in barock-griechischem Gewande. Nieverns Blick streifte heute die sinnliche Pracht jener Bilder abfällig, ja mit Widerwillen. Er fand sich mit einem Male seltsam gereizt gegen die Ueppigkeit dieses ganzen Lebens und schalt sich einen Thoren, daß er sich so lange freiwillig hierher verbannt habe. Seine Freiheit, die er bisher so übermäßig hoch geschätzt hatte, kam ihm nachgerade schal und unersprießlich vor.

Als er umgekleidet war, warf er sich noch einmal in einen Sessel vor dem Kamin und übersann das innere und äußere Getriebe der letzten Wochen. Es wäre ihm nicht leicht geworden, dem Vetter Engelbert die ausreichende Erklärung für seinen plötzlichen Entschlnß zum Ritte nach Malmedy zu geben, die dieser kluge Herr bisher vermißt hatte. Jetzt versuchte er aber, mit sich selber wenigstens darüber ins klare zu kommen.

Die Beweggründe waren freilich nicht einfach gewesen und schwer zu entwirren. Um die Wahrheit zu sagen, sich selber, vorweg: die wachsende Gnnst der Pfalzgräfin hatte begonnen ihren Empfänger zu drücken. Und doch – hatte er nicht, bewußter oder unbewußter Maßen, gerade auf dieser Gunst gefußt, als er dem Unwillen ohne weiteres nachgab, den die Behandlung der Leyens durch die Fürstin, diese Behandlung vor dem ganzen Hofe, in ihm erregte? Er war gegangen ohne Abschied: so viel durfte sich nur ein Bevorzugter und einer, der wußte, daß er es war, erlauben. Aber er sah auch der Möglichkeit, den guten Hillen der Fürstin durch seine Reise verscherzt zu haben, mit großer Ruhe entgegen. Er hatte das starke Bedürfniß gefühlt, einmal jenem abgeschmackten Hofleben, wie er es bei sich bezeichnete, auf eine Weile zu entgehen.

Aber war das alles gewesen? Nein! Wenn er es früher nicht hatte wissen wollen, jetzt wußte er es. Er hatte vorauszufühlen geglaubt, daß, wenn er bliebe, gerade nach jenem Jagdabenteuer bliebe, seiner Freiheit Gefahr drohe, aber von ganz anderer Seite her als von dem Pfalzgrafenstuhle des Birkenfelder Ländchens herab. Einer heiteren und kühlen, selbstsüchtigen Lebensweisheit fröhnend, war er unvermählt geblieben, und wenn er gegen Frauenreiz auch durchaus nicht unempfindlich war, so hatten doch die heirathsfähigen Töchter eines jeden Ortes, an dem er sich befand, stets nur geringer Beachtung durch ihn sich zu erfreuen gehabt. Und als er, vor noch nicht allzu langer Zeit, zum ersten Mal auf eine reine weibliche Jugend seines Standes aufmerksam geworden war, da war es, wie ihm deuchte, eher mit einem Gefühle spöttischen Befremdens als mit etwas anderem gewesen. Wohl hatte Polyxenens eigener herber Reiz sich ihm rasch ins Auge gestohlen und war, fast zu seiner Verwunderung, seinem Kennerblicke je länger je wohlgefälliger geworden. Sonst aber hatte sie ihm wenig zugesagt, wie er selber gemeint. Der Blick ihrer ernsthaften unschuldigen Augen war etwas, worüber es seinesgleichen zu lächeln geziemte.

So war es gewesen bis zu dem Tage der Hofjagd, an welchem das Fräulein von Leyen so unverschuldet jene unerhörte Kränkung erfuhr. Als er da im Anfang schwieg, anstatt allsogleich für ihre Hilflosigkeit und ihr Recht auf den erlegten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_390.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2021)