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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

er Direktor einer der größten Feingarnspinnereien Manchesters, einige Jahre darauf Besitzer einer eigenen Spinnerei, die er infolge seiner Verheirathung später, zu Beginn unseres Jahrhunderts, mit den durch ihn so berühmt gewordenen „New-Lanark-Mills“ (ebenfalls einer Baumwollspinnerei) in Schottland vertauschte.

Eine derartige, einzig dastehende Lebensentwicklung deutet zunächst weit weniger auf einen idealistischen Weltverbesserer hin als auf einen sehr praktischen Verbesserer seiner eigenen materiellen Lage. In der That läßt sich das ganze Wirken Robert Owens aus einer ebenso wahrheitsliebenden als unerschrockenen Verallgemeinerung seiner eigenen Grundsätze und Erfahrungen und ihrer thatkräftigen Anwendung auf seine Umgebung erklären. Er war, wie seine geniale Landsmännin Beatrice Potter zutreffend bemerkt, „kein bloßer Träumer, der in begeisterter Schwärmerei ideale Theorien in seinem Studierzimmer ausheckte; er war ein hartköpfiger self-made man, ein Mann, dessen Lebenslauf die Hauptereignisse der gewerblichen Umwälzung im kleinen darstellte“.

Da Owen die unheimlich rasche Umbildung und Verschlechterung des Menschenmaterials infolge der reißenden Entwicklung der Großindustrie seines Vaterlandes täglich vor Augen hatte, ebenso aber sich selbst gewissermaßen als Ergebniß derselben fühlte, so bildete sich in ihm die Ueberzeugung, daß man, um das Elend in der Welt auszurotten, nur die äußere Lage der Menschen von Grund aus zu verbessern habe und daß durch die zweckmäßig veränderten Umstände und durch eine vernünftige Erziehung der Charakter im Menschen vollkommen umgebildet werden könne – – Gedanken, die er noch am Schluß seines Lebens im Jahre 1858 bei einem Kongreß der „Assoziation der Gesellschaftswissenschaft“ zu Liverpool mit schon versagender Stimme als seine Lebensaufgabe bezeichnet hat.

Als die New-Lanark-Werke in seinen Besitz übergegangen waren, begann er die planmäßige wirthschaftliche Umbildung seiner Umgebung, vor allem seiner eigenen Arbeiter.

Das erste, was er that, war, daß er die Arbeitszeit, welche dazumal noch bis zu 17 Stunden im Tage dauerte, allmählich auf 10 Stunden herabsetzte, daß er ferner die Anstellung von Kindern unter 10 Jahren verbot. Robert Owen ist so der Vater der Arbeiterschutzgesetzgebung geworden, denn schon im Jahre 1816 empfahl er dem englischen Unterhause, die Arbeitszeit in allen Fabriken auf 10 Stunden zu beschränken, Kinder unter 10 Jahren gar nicht, 10- bis 12 jährige nur zur Halbschichtarbeit zuzulassen. Das Haus nahm damals den Entwurf nicht an; allein nach einem dreißigjährigen, durch Owen angeregten Kampf endigte die Bewegung im Jahre 1847 mit dem Siege des Prinzips einer gesetzlichen Regelung der Fabrikarbeit. Wie wenig utopistisch die weltverbessernde Thätigkeit Owens nach dieser Richtung hin war, das bewiesen die geschäftlichen Bilanzen, die er erzielte. In 4 Jahren hatte er 160000 Pfund Sterling verdient, abgesehen von einer 5%igen Verzinsung seines Kapitals und einer Wertherhöhung desselben um 50%! In einer Ansprache an seine Mitfabrikanten sagte er ebenso wahrheitsgetreu als wirthschaftlich weitblickend: „Wenn die rechte Sorgfalt für Ihre unbeseelten Maschinen so wohlthätige Folgen hervorrufen kann, wieviel mehr dürfen wir dann erwarten, wenn Sie Ihren beseelten Maschinen, die so sehr viel wunderbarer konstruiert sind, die gleiche Aufmerksamkeit widmen!“

Gleichzeitig mit der Verkürzung der Arbeitszeit suchte Owen auch sonst mit allen Mitteln wirthschaftlich befreiend und hebend auf seine Arbeiter zu wirken. Er baute seinen Arbeiterfamilien gute Wohnungen („cottages“, Häuschen mit kleinen Gärten), sorgte für guten und zweckmäßigen Unterricht, dessen Bezahlung er selbst übernahm, er beaufsichtigte und beeinflußte die Verkaufsstellen für die Lebensmittel, für deren möglichst billige und preiswürdige Lieferung er besorgt war, schuf Kinderbewahranstalten, Spielplätze, Lesezimmer und andere veredelnde Einrichtungen, um in jeder Beziehung seine Umgebung auf eine höhere gesellschaftliche Stufe zu heben. Daß ihm dies wirklich gelang, ist dadurch erwiesen, daß heutzutage noch, beinahe zwei Menschenalter nachher, die Bevölkerung New-Lanarks sich durch bessere Bildung vortheilhaft auszeichnet. Diese Seite des Owenschen Wirkens, die philanthropische, trug ihm denn auch eine Reihe bewundernder Besuche und Schreiben aus hohen Kreisen ein. Der Kaiser Alexander I. von Rußland und Friedrich Wilhelm III. von Preußen wandten seinen Gedanken, namentlich seinen erzieherischen, besondere Aufmerksamkeit zu; letzterer schickte ihm ein Handschreiben, worin er Owen mittheilte, er habe Befehl gegeben, das Erziehungssystem, das sich in Lanark so sehr bewährt habe, bei den preußischen Schulreformen so weit als möglich zu berücksichtigen.

Es ist begreiflich, daß Owen hiermit nicht zufrieden war, um so weniger, als weder seine Mitfabrikanten noch die Regierungen – die eigene wie die fremden – seinem dringenden Verlangen nach durchgreifender wirthschaftlicher Hebung des Arbeiterstandes Folge leisteten.

Es drängte ihn daher weiter, zu anderen Mitteln. Die eigene Vereinigung der Genossen sollte das ersetzen, was seitens der Regierung nicht geschah, und so wurde Owen auch der Ausgangspunkt für die verschiedenen Formen der Genossenschaftsbewegung. Ein Versuch, der in den Jahren 1826 bis 1832 mit einer Arbeitsbörse, einer Warentauschbank gemacht wurde, mißlang. Es war dies ein von Owen mit Kapital ausgestatteter künstlicher Markt, auf welchem jede Ware nach der Arbeitsmenge, die sie enthielt, gewerthet, bezw. gekauft wurde; die Einrichtung scheiterte natürlicherweise an dem nicht regelbaren Absatz. Ebenso wollten Konsumvereinsgründungen nicht recht in Fluß kommen; erst zwölf Jahre später nahmen sie unter dem Vorantritt der redlichen „Pioniere von Rochdale“ einen großartigen Aufschwung.

Alle diese Anregungen waren jedoch für Owen nur Mittel zum Zweck. Was ihm als letztes Ideal und Ziel vorschwebte, das war die „Heimkolonie“, welche er seit 1817 öffentlich befürwortete.

Die Heimkolonie ist eine Produktivgenossenschaft von 500 bis 2500 Menschen verschiedenen Geschlechtes, die unter Aufhebung des verderblichen Gegensatzes zwischen Stadt und Land, zwischen Industrie und Landwirthschaft mit vereinigter Kraft arbeitet, sich selbst verwaltet und durch besondere Vertreter sich mit den Verwaltungen anderer Heimkolonien in Verbindung setzt, wobei durch eine Art von Oberverwaltung Produktion und Verbrauch der verbündeten Heimkolonien geregelt werden. Mit dem ganzen Nachdruck seiner Person trat Owen für die Verwirklichung dieses Gedankens ein und scheute sich nicht, in öffentlichem Redestreit dafür zu sprechen; so vertheidigte er am 5. März 1839 in einer derartigen Erörterung einem Geistlichen der Dissenters gegenüber seine Aufstellungen, wobei er in den zwei letzten seiner vierundzwanzig Thesen ausdrücklich betonte, daß die von ihm erstrebte Bildungen mit weit weniger Opfern an Kapital, Zeit und Arbeit eingeführt werden könnten, als jetzt nöthig sei, um den widerspruchsvollen Zustand der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Der Uebergang könne ohne irgend welche Unordnung oder Verwirrung in einer jedem Einzelnen wohlthätigen Weise bewerkstelligt werden.

In der That wagte es Owen, getreu seinem ganzen Wesen, das, was er in New-Lanark versuchsweise angebahnt hatte, auch wirklich zur Ausführung zu bringen. Im Jahre 1824 ging er zu diesem Zweck nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika und hielt dort aufsehenerregende Vorträge, sogar vor den Kongreßmitgliedern zu Washington im Kapitol. Die erste Gemeinde, die ihm folgte, 900 Köpfe stark, fand ihr Heim in dem Dorfe New-Harmony an den Ufern des Wabash im Staate Indiana, das die Rappisten, von denen wir unten näheres hören werden, verkauften. Anfangs herrschten auf dem etwa 30000 Acker (12000 ha) umfassenden Gebiete helle Begeisterung und reger Arbeitseifer. Aber schließlich kam es über der Frage, ob Owen Diktator werden solle, zu Zwistigkeiten; viele Glieder verließen das Dorf, und der gemeinsame Besitz mußte aufgetheilt werden. Die „Heimkolonie“ war gescheitert! Warum? Es waren „Unehrliche“ unter den 900, es waren Trinker darunter, auch Faulpelze; sie waren eben nicht alle „von Natur gut“. Ebenso erfolglos verlief der Versuch, den eine Verehrerin Owens, Francis Wright, in Nashoba in Ost-Tennessee machte; auch dieser mißlang, wie die Dame selbst gesteht, infolge der Selbstsucht der Vertrauenspersonen; sie versicherte nachher, eine Kommunistengemeinde werde nur dann bestehen, wenn alle ihre Mitglieder höhere Wesen wären! Ihr Unternehmen hatte sich nur zwei Jahre gehalten, über ein halbes Dutzend weiterer Versuche brachten es nicht einmal soweit; sie brachen zusammen, ganz ähnlich wie die auf Fourier mittelbar zurückzuführenden Gründungen auf dem unermeßlichen und besonders geeigneten Versuchsfeld Nordamerika.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_394.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2021)