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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 25.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
 (11. Fortsetzung.)
16.

In dem Hause der Ursulinerinnen am Brückenthor zu Birkenfeld befand sich zur Zeit keine einzige regelrechte Konventualin, welche unter fünfzig Jahren gewesen wäre, denn die etwas jüngern stämmigen Mägde, die Küche und Garten besorgten, waren Laienschwestern.

Für diese alternden Frauen, meist dürftigen Gemüthes und abgestorbenen Herzens, auch nicht durch allzu lebhaften Verstand beschwert, hatte die Regel des Klosterlebens längst nichts Drückendes mehr. Vigilie und Messe und Vesper, und Vesper und Vigilie und Messe – das war der gewohnte Kreislauf, und keine von ihnen hätte gewußt, was mit sich anzufangen, wenn sie aus demselben herausgerissen worden wäre.

Aber dem jungen frischen treibenden Leben, welches sich mit einem Male zwischen ihnen fand, eingeklemmt wie die grünende Pflanze, die in ein Geschiebe toten Gesteines gerathen ist, wie war dem zu Muthe? Zum Sterben, wie es jener entwurzelten Pflanze auch sein wird. Die neue Einwohnerin lebte nicht das ganze Klosterleben mit, denn sie war nichts anderes als eine Gefangene. Zu den Gottesdiensten in der Klosterkirche wurde sie aus ihrer sonst wohlverschlossenen Zelle von zwei Nonnen abgeholt und dann wieder dahin zurückgeleitet. Und mit ihr auf diesen Gängen ein Wort zu wechseln, war allen Konventualinnen aufs strengste untersagt.

So lag Polyxene im Banne dumpfen Schweigens. Daß jedoch dieses und ihre Einsamkeit in der verschlossenen Zelle nicht ungebrochen blieb, dafür hatten mehrfache Besuche, welche sie empfing, gesorgt. Es waren die des Paters Gollermann. Aber obwohl von seinen Lippen dabei nichts als Milde geflossen, war es der Eingeschlossenen doch nachher allemal gewesen, als rückten die Wände ihrer Zelle immer beengender auf sie ein, als senkte sich von oben die Decke auf sie nieder zum unentrinnbaren Verderben.

Allzu klein war das Gelaß nicht, in welchem Polyxene jetzt ihre Tage verbrachte, aber kahl und kerkerartig. Es zeigte an zweien seiner Wände, der des Fensters und der darauf stoßenden Seitenwand, die nackte Mauer. Das Fensterlein, klein und vergittert, bildete eine schachtartige Oeffnung in der dicken Mauer und ging auf den versumpften Graben, der das Haus der Nonnen noch von den unruhigen Kriegszeiten her auf dieser Seite hatte sichern sollen. Hinaus- und hinabzublicken aber vermochte man wegen der Form dieser Fensternische nicht. Die Bewohnerin der Zelle konnte jenseit des Fensters nur ein Stückchen Himmel sehen und wußte, daß es der Himmel war, welcher sich über den menschenleeren Feldern und dem Oedlande zwischen der Stadt und der Herrenmühle wölbte.

Aus der baren Mauer der Seitenwand

Am Stammtisch.
Nach einer Zeichnung von L. Halmi.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_409.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)