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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

welche die Pfalzgräfin zu Pferde machte. Wie steif saß Frau Sabine Eleonore auf ihrem wohlzugerittenen frommen Leibzelter! Wie eine Kartenkönigin! Frau von Méninville, die sich in diesem Augenblicke in ihrem dicht an den Privatgemächeru der Pfalzgräfin belegenen Zimmer befand, trat hier merkwürdigerweise sogar dem ovalen Spiegel näher und betrachtete das Bild, welches er zurückwarf sehr angelegentlich. Sie sah eine zierliche Figur, ein Gesicht mit sehr schmaler weißer Stirn und scharfer Nase, das man aber durchaus nicht häßlich nennen konnte. Dasselbe wäre sogar anmuthend gewesen ohne die allzu matt gefärbte Umgebung der blassen Augen, die fast unsichtbaren Brauen und Wimpern.

Frau von Méninville half diesem doch wohl empfundenen Mangel dadurch nach, daß sie Kopf und Schultern durch eine Art Haube mit schwarzen Schleiern umrahmte, welche aber den röthlich blonden Scheitel unbedeckt ließ und so die Farbe des Haares und die Weiße der Haut durch den Gegensatz hervorhob. Sie legte an diesen Kopfputz jetzt eine letzte Hand, das heißt sie knüpfte die Schleierenden über dem Busen und nestelte und zupfte so lange, bis ein Stückchen Hals, der noch weiß und glatt genug war, vorn aus den schwarzen Falten hervorschien. Und jetzt legte sie sogar die Hände um die schlanke Taille und maß und spannte, nicht ohne Wohlgefallen. Für eine nur noch halb der eiteln Weltlichkeit, mit dem Herzen aber dem geistlichen Stand angehörige Frau schnürte sie sich eigentlich recht stark, die gute Méninville.

Und nun wendete sie sich vom Spiegel ins Zimmer zurück, über das sie noch einmal einen prüfenden Blick schickte. Sie konnte zufrieden sein: das Gemach, obwohl mit Möbeln des Schlosses ausgestattet, hatte doch von seiner jetzigen Bewohnerin das Gepräge erhalten und athmete den gleichen Geist eines durch Weiblichkeit gemilderten religiösen Ernstes wie das Aeußere der Dame selber. Es war ein sehr anmuthiger, heller und luftiger Raum, in welchem Kruzifix und Betschemel sowie einiger klösterliche Zierat sich ganz unaufdringlich in den Ecken hielt. Um den großen, ovalen, in Weiß und Gold gehaltenen Tisch in der Mitte standen geschweifte Sessel, und an der Seite war aus einer Art Büffett von eingelegtem Holze sehr zierliches Geschirr aufgereiht. Denn die Pfalzgräfin hatte angefangen, sich aus ihren eigenen Gemächern, in denen sie stets mehr oder weniger repräsentieren mußte, des öfteren hierher zu ihrer Vertrauten zurückzuziehen. Und in der letzten Zeit hatte sie sogar der Frau von Méninville die Ehre geschenkt, irgend eine Näscherei, die sie sehr liebte, oder eine Tasse von dem noch seltenen Tranke, den man anfing, schätzen zu lernen, dem Kaffee nämlich, bei ihr zu sich zu nehmen.

Die Méninville bereitete diesen selber mit vieler Gewandtheit und bediente ebenso. Man war so ungestört hier ... es war dies Gemach der Méninville wirklich ein kleines Dorado. Und heute wußte man kaum, war der Vorschlag von der kleinen Hoheit selber ausgegangen oder war der Gedanke ihr so geschickt von der trefflichen Méninville eingegeben worden, daß sie ihn für ihren eigenen hielt – der Plan nämlich, daß zu einem solch kleinen goûter in allerstrengster Vertraulichkeit und Ungestörtheit der wieder zurückgekehrte Oberjägermeister von Nievern zugezogen werden sollte. Der Kavalier hatte die mit sehr gesetzter Miene ausgerichtete Aufforderung dazu durch Frau von Méninville selber im Namen der Pfalzgräfin erhalten. Und an dem leichten Aufblitzen in seiner Miene hatte Frau von Méninville gesehen, daß er den Reiz dieses kleinen Komplotts zu würdigen wisse.

Jetzt nahte die Zeit, wo er kommen mußte. Von der Reiherbeize war man schon in ziemlich früher Nachmittagsstunde zurückgekehrt. Die Theilnehmer hatten aber erst den Jagdanzug mit dem gewöhnlichen Hofkleide zu vertauschen, und da alles, was Toilette betraf, von der Pfalzgräfin mit größter Wichtigkeit und Umständlichkeit behandelt wurde, so war die Hoffnung, der Kavalier werde eher umgekleidet sein und seiner Gebieterin am Orte des Stelldicheins zuvorkommen, von seiten der Méninville keine ungerechtfertigte. Ja im verschwiegenen Herzen regte sich sogar bei ihr der Gedanke, Nievern, der doch nun endlich in ihr eine an kaltblütiger überlegener Kühnheit ihm Ebenbürtige wittern mußte, hätte nicht ungern die Gelegenheit ergreifen sollen, einmal mit ihr und noch dazu an einem so unverfänglichen Ort ungestört zusammen zu sein.

Frau von Méninville hatte aber zu warten, so lange, bis sie von der heutigen Gelegenheit wenig mehr erhoffte. Endlich ertönte draußen der ihr wohlbekannte Schritt, Herr von Nievern trat ein, und nun wurde sie entschädigt. Denn als er sich noch mit ihr allein fand, da ging etwas über sein hübsches Gesicht, womit sie wohl zufrieden sein konnte. Doch blieb alles, was zwischen beiden vorging, in den Grenzen wohl abgezirkelter Höflichkeit. Herr von Nievern verneigte sich – es schmeichelte der Frau, wie tief die Verneigung ausfiel. Sie ergriff ihn darauf bei der Hand, was die Sitte ihr erlaubte, um ihn zu einem Sitze zu führen, und da ging es durch sie hin, durch die Sinne bis zu dem kalten Herzen, wo etwas wie flüchtige Scheinwärme sich erzeugte – daß seine kräftige Rechte die Zartheit ihrer dünnen Finger empfinde und derselben gleichsam huldige mit dem allerleisesten Drucke.

„Unsere allergnädigste Frau läßt noch auf sich warten, aber sie wird hoffentlich nicht allzu lange mehr verziehen,“ begann Frau von Méninville das Gespräch. „Wolle der Herr Oberjägermeister es sich nicht verdrießen lassen, einstweilen mit meiner geringen Unterhaltsamkeit vorlieb zu nehmen!“

„Ich wünsche mir nichts Besseres,“ sagte Herr von Nievern und begleitete die Worte mit einem sehr sprechenden Blicke. Sie hob darauf die Ehre hervor, die es für sie sei, den Kavalier gerade hier, in ihrem derzeitigen Logement, zu empfangen, und lenkte dadurch die Aufmerksamkeit Nieverns auf die Umgebung, der sie ohne Zweifel einen gewissen Reiz mitgetheilt hatte.

„Dieses Gemach scheint mir ein Zufluchtsort der Grazien,“ versicherte er nun galant, sich allerdings jetzt erst etwas genauer umsehend. „Ich schätze mich glücklich, der Ehre des Eintrittes hier gewürdigt worden zu sein.“

„Ach, der Herr Oberjägermeister schmeichelt einer Person, welche dieser Sprache nicht mehr gewohnt ist und nicht gedacht hat, sie je wieder zu vernehmen,“ sagte die Dame mit einem kleinen Seufzer angenehmer Wehmuth. „Sie ist ihm aber wohl noch geläufig von seinem Aufenthalte in Malmedy her,“ fügte sie in einem anderen Tone hinzu, und dann: „Ob ich Euch wohl verrathen darf, daß man Euch hier sehr vermißt hat, Herr Oberjägermeister?“

Er blickte leicht überrascht und aufmerksam zu ihr hinüber. Sie aber behielt die Augen fest auf ihn gerichtet, während sie fortfuhr: „Der Pfalzgräfin Hoheit war die Zeit her gar mißgestimmt; mit Euerer Rückkehr ist plötzlich wieder anderes Wetter geworden. Sie war damals sehr erzürnt, als Ihr so eilfertig verschwunden waret. Aber an der Entbehrung wurde der Werth des hochzuverehrenden Herrn gemessen, und jetzt ist Euch, wie Ihr merken werdet, nur die Huld der gnädigsten Frau übrig geblieben.“

Wieder sah der Oberjägermeister die Dame forschend an; er wußte nicht recht, wo sie hinaus wollte. Sie lächelte nur leicht, in schwer zu deutender Weise. „Warum sagt Ihr mir das alles, verehrte Dame?“ fragte er mit einnehmender Offenheit.

„Um Euch zugleich deswegen zu beglückwünschen,“ entgegnete sie unverweilt; und ihre jetzt belebten grünlichen Augen schillerten in die seinen. „Kann es etwas Ehrenvolleres und zugleich Unterhaltsameres geben, als die Gegenwart unserer Fürstin stundenlang ohne störende Beimischung anderer Elemente zu genießen? Sogar meine armselige Person, die doch so tief unter der eines glänzenden Kavalieres steht, wie der Herr einer ist, weiß davon zu erzählen!“

Wie beredt ihr Mienenspiel war und der kleine, die letzten Worte begleitende Seufzer! Der Herr von Nievern, mit aufleuchtenden Augen, verstand sie. Er hatte plötzlich seinen Stuhl näher gerückt und beugte sich dicht zu ihr. Die Komödie fing an, ihn sehr angenehm zu beschäftigen. „Von dem Verstand der liebenswürdigen Frau von Méninville habe ich längst eine hohe Meinung,“ sagte er. „Deute ich Dero Worte richtig, so beklagen dieselbe uns beide jetzt gewissermaßen als Leidensgefährten von wegen der geringen Kurzweil, so die Gunst, deren wir beide theilhaftig werden, einem etwas lebhafteren Ingenium gewährt. Ich aber versichere Euch, daß ich die Verwendung meiner Zeit nicht schelten werde, die mich alsdann hoffentlich des öfteren auch – wie eben jetzt – des Gespräches mit einer der Verständigsten ihres Geschlechtes genießen läßt.“

Sie hatte das Kompliment über ihre Klugheit mit einem feinen Lächeln eben nicht völlig abgelehnt. „Ihr seid zu gütig, Herr von Nievern,“ sagte sie. „Was Ihr an mir rühmt, ist in Wahrheit nur die Fähigkeit, dem überlegenen Geiste eines Mannes, da wo er mir begegnet“ – mit einem vielsagenden Blicke zu ihm hinüber – „mich zu beugen und, wenn es mir gestattet ist, ihm bewundernd auf seiner Bahn zu folgen.“ Und dann, mit einer plötzlichen Offenheit, welche hier ein vorzüglicher Kunstgriff war: „Ihr seid ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_430.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2021)