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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

der Méninville, über deren wahre Person ihm in der letzten Viertelstunde ein merkwürdiger Aufschluß geworden war. Als ein kluger Mann fuhr er daher fort: „Und ganz richtig sagt Ihr: die Schmach, die dem Adel mit diesem seltsamen Handel geschieht, die ist es, die uns alle wurmen muß, auch den, dem das unglückliche Fräulein selber nicht viel mehr als eine Fremde ist.“

„Ihr habt wohl gesprochen, Herr von Nievern,“ meinte die Fürstin gnädig, da die letzten Worte des Oberjägermeisters ihr eine angenehme Empfindung gegeben hatten. „Hoffen wir, daßn es gelingen wird, die Unschuld des Fräuleins bald ans Licht zu bringen! Noch, das müßt Ihr nicht vergessen, ist ihr wenig geschehen. Sie sitzt nicht in schmählicher Haft, wie sonst Inkulpaten thun – ihre Klausur im Kloster schädigt ihre Ehre nicht; wenn auch“ – fügte die Dame, von ihrer Ehrlichkeit getrieben, hinzu – „die Einsperrung selber gerade der Polyxene hart genug fallen mag.“

„Noch – ich weiß nicht, ob ich sagen darf: zu ihrem Glücke – ist die eigentliche Ursache dieses Aufenthaltes im Kloster wenig bekannt,“ sagte darauf Herr von Nievern langsam. „Mein guter Kumpan, der von Münchhausen, wußte offenbar davon nichts, als er mir heute auf der Jagd erzählte, unter den Fräulein Euerer Hoheit sei man an die Theologia gerathen und eines derselben verhalte sich gar im Kloster, um mit dem hochwürdigen Pater Gollermann über Glaubenssachen zu disputieren. In dieser Fassung machte die Sache ein weit anderes Gesicht, als das ist, welches ich hier gewahr werde. Wolltet Ihr mir in der Angelegenheit noch eine Frage vergönnen, allergnädigste Frau, so wäre es die: wie und wo hat der abenteuerliche und abscheuliche Verdacht gegen das Fräulein zuerst aufkommen können? Woher stammt er?“

Die Pfalzgräfin wandte sich zu Frau von Méninville, welche, da sie an dem Gespräch nicht mehr betheiligt worden war, sich in schicklicher Bescheidenheit in den Hintergrund des Zimmers zurückgezogen hatte. „Wenn mir recht ist, Frau von Méninville, brachtet Ihr uns zuerst darauf,“ sagte sie harmlos. „Es sei verdächtig, wolltet Ihr wissen, daß die Polyxene durch den Tod des Vetters reich werde. War es nicht so?“

„Hoheit unterläßt zu berichten, daß ich – mit dem lebhaftesten Schmerze – nur mittheilte, was mir zu Ohren gekommen war,“ log Frau von Méninville ohne das geringste Zögern. „Wie Hoheit sich erinnert, war der Pater Gollermann zugegen. Die Gefahr, in der sich das Fräulein befand, konnte uns nicht verborgen bleiben, und so wurde, mit der Billigung Pfalzgräflicher Hoheit, durch den hochwürdigen Herrn die Klausur der Leyen bei den Ursulinerinnen um so eher beschlossen, als diese kirchlich nothwendige Maßregel ihr nunmehr auch zur Sicherheit dienen konnte. Immerhin blieb, so lange die Kirche gleichsam noch mit ihr abrechnete, die Hand weltlicher Justiz von dem beklagenswerthen Fräulein fern.“

„Ist Frau von Méninville so gewiß, daß eine weltliche Justiz hinlänglichen Anlaß gefunden haben würde, das Fräulein von Leyen zu behelligen? Sie ist uns immer noch Antwort auf die Frage schuldig, was denn eigentlich die Verdachtsgründe gegen selbige gewesen seien.“ Es war der Oberjägermeister, der eigensinnig die letzten Worte der frommen Witwe aufgegriffen hatte.

An diesem Punkte aber war Frau Sabine Eleonore der Erörterung der Angelegenheit müde. „Ich dächte,“ fuhr sie ohne weiteres dazwischen, „jetzt wären genug Worte über den leidigen Handel gemacht. Laßt ihn nun einmal ruhen, Herr von Nievern! Ihr könnt der Polyxene doch nicht helfen; was brauchte sie sich denn auch durch ihre thörichten Besuche bei der Exkommunizierten die Suppe zuerst einzubrocken! Erzählt uns lieber von Euerem Leben in Malmedy, wie Ihr mir heute, da wir ritten, verheißen habt! Allzu geistlich geht es bei Euerem Vetter Kanonikus wohl nicht zu, wie? Und des Grafen Arlon Gast seid Ihr gewesen? Dort, hab’ ich mir sagen lassen, lebt man wie im Himmel.“

„Besonders da an Heiligen, den Stiftsdamen von St. Truyden, kein Mangel ist,“ warf Frau von Méninville mit gesetzter Miene dazwischen.

Die Pfalzgräfin lachte lauf. Aber ihre gute Laune rief keine ähnliche Stimmung bei ihrem Kavalier hervor, wie es sich doch wahrlich geziemt hätte. Ja, er hatte sogar den Muth, seine ernste Miene beizubehalten, nicht einmal zu lächeln. Irgend etwas reden mußte er nun freilich, aber alles, was er sagte, kam trocken und gezwungen heraus, und schon längst, ehe die kleine Hoheit sich erhob und damit das Zeichen zum Aufbruch gab, war das Schicksal dieser Veranstaltung, unter die verfehlten Unternehmungen zu gehören, besiegelt gewesen.

Und als habe jemand eben diese Thatsache ausgesprochen, so fuhr Frau Sabine Eleonore, sobald der Oberjägermeister sich entfernt hatte, aus ihre getreue Méninville mit den Worten los: „Daran seid nur Ihr schuld, und ich will nicht Pfalzgräfin heißen, wenn ich Euch das so bald vergesse!“

„Was, Pfalzgräfliche Hoheit?“ fragte die Méninville, als verstehe sie nicht, wohin ihre Herrin zielte.

„War er nicht wie verhagelt, anstatt den liebenswürdigen und unterhaltenden Kavalier vorzustellen, als welchen wir ihn kennen. Was fiel Euch ein, ihm, ehe ich kam, von dem verwünschten Handel der Polyxene zu reden! Was hattet Ihr überhaupt mit ihm zu schwatzen?“

„Wenn nun aber der Herr von Nievern nichts Eiligeres zu thun hatte, als nach diesem Fräulein zu fragen – wie hätte ich ihm das alles verhalten sollen?“ log die Méninville in sanftem Tone. „Habe ich einen Fehler begangen, so möge meine huldvolle gnädigste Frau meiner Einfalt verzeihen. Des wunderbarlich warmen Antheils, den dieser Kavalier an dem Fräulein nahm, versah ich mich nicht.“

Aber diesmal sollte der Frau von Méninville alles nichts helfen. „Papperlapapp, redet mir nicht immer von Euerer Einfalt – mit der ist es so weit nicht her!“ rief Frau Sabine Eleonore, noch immer erbost. „Ihr seit der Polyxene nicht grün, das weiß ich. Sähe man recht zu, so käme am Ende heraus, daß Ihr der Jungfer Naseweis, die sie meinethalben ist, die ganze Sache eingerührt habt.“

Damit war die Pfalzgräfin hinaus, und Frau von Méninville blieb in nachdenklichster Stimmung zurück. Die üble Laune ihrer Gebieterin nahm sie nicht allzu schwer, da sie wußte, daß sie der Pfalzgräfin doch zur Unterhaltung unentbehrlich sei. Ein anderes aber gab ihr hinlänglich zu denken: des Herrn von Nievern unerwartete – in diesem Maße wenigstens von ihr nicht erwartete – Parteinahme für Polyxene von Leyen. Mit einer Art Befremden sann sie darüber nach, ob und wo denn sie, sie, die Vorsichtige, einen falschen Schritt gethan habe in dieser Angelegenheit: Wie kam es, daß sie sich in Nievern verrechnet hatte? Weil sie ihn – daneben daß er ein so anziehender Mann war, wie ihr noch wenige vorgekommen – für klug und überlegen genug gehalten hatte, nun seinerseits auch sie, das hieß zunächst einmal ihren Geist, zu bewundern und darüber den Reiz alberner achtzehn Jahre zu vergessen? Ja, das war es gewesen, aber das nicht allein! Ihn reizte, was er für dieser Polyxene Martyrium hielt. Je weniger er also davon erfuhr, desto besser, das wußte sie jetzt. Und sie tadelte sich dafür, dies nicht früher bedacht zu haben. Zunächst beschloß sie eine Unterredung mit dem Pater Gollermann; vielleicht wenn man dem Herrn von Nievern über kurz ober lang mittheilen konnte, daß das Fräulein von Leyen freiwillig den Schleier nehme, würde dies ihm den Geschmack an dieser Polyxene verderben, auch wenn zugleich zugegeben werden mußte, von einer Untersuchung gegen sie wegen Mordes sei infolge allzu kärglicher Beweise abgestanden worden. Und wenn er auch dann noch die Gunst einer Frau von Méninville mißachtete – die fromme Witwe fühlte, daß es ihr unter Umständen etwas wie eine Lust sein könnte, auch diesen allzu freidenkenden Herrn der Aufmerksamkeit der Geistlichkeit zu empfehlen und die Folgen zu erleben ...

Beiläufig sei erzählt, daß die Méninville in einer Ecke des Gemaches auf ihrem Betschemel vor dem Kruzifix kniete, während sie so mit sich zu Rathe ging. Es konnte jemand eintreten, dem diese Stellung und anscheinende fromme Versunkenheit der Dame zur Erbauung gereichen würde. Und nachdenken und überlegen ließ sich in dieser Stellung so gut wie in einer anderen. So im Knieen krampfte sie jetzt mit einem Male die gefalteten Hände enger zusammen und die Lippen schlossen sich fester. Sie gedachte an den Schrecken, den sie heute zweimal wegen eines Zufallswortes erlitten hatte. Als Zufallsworte, als nichts anderes, ließ eine kühle Betrachtung jene Ausdrücke, die sie so im Innern aufgeschreckt hatten, erscheinen. Und so wurde sie auch jetzt damit fertig. Seltsam nur, daß jener Schrecken, der jahrelang geruht hatte, heute wieder so plötzlich geweckt worden war! Gleichwohl ein tückisches Spiel bedeutungsloser Umstände, weiter nichts!

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_434.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2021)