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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

maurischen Unterthanen zu plündern und in Kriegsgefangenschaft abzuführen. Zuletzt war das Angebot von Sklaven so groß, daß der Mann nicht mehr galt als ein Laib Brot oder eine Kanne Wein. Manchmal auch blieb die Bezahlung ganz aus, und dann ließ man die Gefangenen von wilden Hunden zerreißen, weil man die Kosten der Ernährung scheute. Das Geschäft der Plünderung und der Beute war so einträglich, daß mehrere Mauren von dem mohammedanischen Glauben zum christlichen übertraten, bloß um sich an dem Gewinn betheiligen, d. h. in die katalanischen oder kastilischen Söldnerscharen aufgenommen werden zu können, in den Bund der „frommen und tapferen“ Söldner.

Der bedrohte Sultan von Valencia rief endlich die „Afrikaner“ zu Hilfe. Diese hatten nichts gemein mit den hochkultivierten und ritterlichen spanischen Mauren. Sie brachten, als sie 1086 auf spanischem Boden erschienen, ihre ganze Barbarei mit, ihren grimmigen Haß gegen jede Kultur. Sie wütheten gleichmäßig gegen Christen wie gegen Mohammedaner, gegen die Unterthanen des Sultans von Valencia wie gegen die des Herrschers von Saragossa.

Auch König Alfons machte Ansprüche auf Valencia, und zwischen diesen fürstlichen Prätendenten spielte Cid ein eigenthümliches Spiel. Obwohl er mit dem Sultan von Saragossa einen Pakt abgeschlossen hatte: „Ich werde Valencia erobern. Die Stadt sollst Du bekommen. Dagegen mußt Du mir und meinen christlichen Scharen die Plünderung gestatten und die Beute ganz überlassen,“ so unterhandelte er doch mit allen Betheiligten, bot seinen Beistand dem an, welcher am meisten bezahlte, nahm Geld von allen und lagerte ruhig vor Valencia, indem er sein Augenmerk nur darauf richtete, keine Lebensmittel in die Stadt zu lassen, um – für den Fall einer demnächstigen Belagerung derselben – eine Hungersnoth aus langer Hand vorzubereiten.

Diese seltsame Lage der Dinge dauerte volle zwei Jahre. Die Afrikaner hatten sich zurückgezogen. Ohne deren Beistand wagten die Katalanen unter Alamon nicht anzugreifen. Endlich aber fiel Cid über diese her und machte Alamon und die Katalanen zu Gefangenen. Die Beute und die Lösegelder, die Cid nahm, waren unermeßlich. Er brandschatzte alle gleichmäßig, Christen wie Mauren, mit einer bewundernswerthen Unparteilichkeit.

Dann marschierte er ab, um für den maurischen Sultan von Saragossa gegen die Christen von Aragonien und Navarra zu fechten. Diesen Abmarsch benutzte nun wieder König Alfons, um selbst Valencia zu belagern. Von der Seeseite ließ er die Stadt durch ein vereinigtes Geschwader von Pisaner und Genueser Schiffen blockieren. Diese eifersüchtigen italienischen Handelsplätze waren froh, den Handel und Verkehr Valencias, das damals den italienischen Seestädten gleichstand, vernichten zu können.

Darob zürnte nun Cid, der schon lange großes Gelüste verspürte, die Stadt für sich selbst zu erobern und zu behalten. Er schloß schnell Frieden mit Aragonien und marschierte mit seinen Banden in das Reich des Königs Alfons, um demselben den Appetit nach Valencia zu vertreiben. Er verwüstete Kastilien, seine eigene Heimath, plündert dort drei Städte und kehrt zurück mit einem ganzen Heer von Gefangenen. Alfons hebt die Blockade von Valencia auf und eilt seinem eigenen schwer bedrängten Lande zu Hilfe. Die Einwohner von Valencia athmen wieder auf. Aber nun ruft der maurische Kadi Ibn Djahaf wiederum die Afrikaner zu Hilfe und öffnet ihnen die Thore der Stadt. Er tötet seinen eigenen Sultan, den König von Valencia, um sich eines in dessen Besitz befindlichen Kleinods, des berühmten Halsbandes der Zobaidah, der Lieblingsgenossin des Kalifen Harun al Raschid, zu bemächtigen. Der Kadi war damit befriedigt. Das Schicksal der Stadt kümmerte ihn wenig. Auch die Afrikaner vermochten nicht, das Regiment über die volkreiche Stadt zu behaupten. Sie richtete sich nach italienischem Beispiel als Republik ein und verbannte alle Christen aus ihrem Weichbild. Als aber Cid mit seinen Scharen wieder vor den Mauern erschien, schickte die geängstigte Stadt eine Gesandtschaft nach Afrika, um den Beistand des Jussuf Almoravida anzurufen. Cid fängt die Gesandtschaft auf und beraubt sie der Schätze – der Geschenke, welche sie Jussuf überbringen sollte, um ihn zur Hilfe zu bewegen. Er schließt die Stadt wieder fest ein, rasiert die Umgebung, brennt die Dörfer nieder, dringt auch in die Vorstädte ein und plündert dieselben. Schon dauert die Belagerung drei Monate, schon fordert der Hunger und die Erschöpfung zahlreiche Opfer. Da plötzlich sieht man jenseit der Belagerungstruppen in der Ebene die Wachtfeuer einer anderen Armee leuchten. Es sind die zu Hilfe heranziehenden afrikanischen Scharen. Man faßt in der Stadt neue Hoffnung und plant einen Ausfall, um Cid von beiden Seiten anzugreifen. Da vernichtet ein furchtbarer Sturm alle Hoffnung. Der Regen fällt in Strömen. Von den Bergen stürzen Wildwasser herunter und überschwemmen die Ebenen. Sie führen entwurzelte Bäume und Leichen und Steine und Erdmassen mit sich. Das Lager der Afrikaner wird weggeschwemmt und die Reste der großen Streiterschar retten sich mit Noth an die Küste, um ihre Galeeren zu erreichen. Valencia ist in Verzweiflung. „Als sie die Nachricht von dem Unglück erhielten,“ schreibt der arabische Chronist, wankten die Leute einher wie Trunkene; keiner verstand den andern mehr, und ihre Gesichter waren wie geschwärzt.“

Aber man sprach sich wieder Muth ein. „Im Frühjahr,“ sagte man sich, „werden unsere Freunde aus Afrika wieder erscheinen; es gilt nur, sich noch den Winter hindurch zu behaupten; nur Muth und Ausdauer kann uns erretten.“

Im März war die Noth aufs höchste gestiegen. Für eine Ratte bezahlte man ein Goldstück. Der Hunger plagte die Leute so, daß viele sich die Stadtmauer hinuntergleiten ließen, um sich dem christlichen Belagerer gefangen zu geben. Dieser verkaufte sie sofort den Sklavenhändlern. Aber es war ein schlechtes Geschäft für die Käufer. Als diese Sklaven zum ersten Mal wieder Nahrung erhielten, sanken sie tot nieder und der bezahlte Kaufpreis war verthan. Nun wollten die Händler nur noch Mädchen und junge Frauen ankaufen. Die übrigen Gefangenen wurden getötet. Gleichwohl kamen immer noch Ausreißer. Das ging den Absichten des Cid entgegen, denn er wollte, daß alle in der Stadt blieben, damit die Hungersnoth wachse und zur Uebergabe zwinge. Zur Abschreckung ließ er von nun an die Unglücklichen aufeinander häufen, mit Holz und Reisern überdecken und so verbrennen; und als es des starken Verbrauchs wegen anfing, an Holz zu fehlen, ließ er die nicht verwerthbaren Leute von den Bluthunden zerreißen und auffressen. So kam der Sommer heran, ohne daß die von der Stadt ersehnten Afrikaner erschienen.

„Jetzt ist es genug,“ ließ Cid der Stadt sagen, „öffnet die Thore; man wird euch nicht euerer Vorräthe, euerer Schätze, euerer Habe berauben; euere Freiheiten und Gerechtigkeiten sollen aufrecht erhalten bleiben und geachtet werden.“

Die Unglücklichen antworteten ihm: „Gönne uns noch einen letztem Versuch! Laß uns Gesandte an die Afrikaner schicken, welche bei Murcia lagern! Hat auch das keinen Erfolg, so wollen wir uns nach Ablauf von vierzehn Tagen ergeben.“

„Gut, es sei,“ entschied Cid, „aber nur unter einer Bedingung, nämlich, daß keiner der Gesandten mehr Geld und Werth bei sich führe als fünfzig Dinare ein jeder.“ So wurde man einig.

Dies war nur ein Fallstrick, welchen der listige Kastilianer den Valencianern legte. Er dachte sich wohl, daß diese den Afrikanern Geld und Kleinode schicken würden, um sie zum Beistand zu bewegen. Er ließ die Abgesandten durchsuchen und fand sie schwer beladen mit Gold, Perlen, Edelsteinen etc. Nun wüthete er wegen dieses Wortbruchs, nahm die Schätze für sich und warf die Abgesandten ins Gefängniß, nach Murcia gelangte keine Nachricht und folglich erschien von dort keine Hilfe. Nach einer Belagerung von einem Jahr ergab sich endlich die Stadt am 15. Juni 1094. Cid hielt seinen Einzug. „Und er sah,“ schreibt der Chronist, „die Einwohner bleich und fahl, so fahl fast, wie die Verdammten aussehen werden am Tage des Gerichtes.“

Cid gab die Stadt nicht der Plünderung preis. Nicht etwa deshalb unterließ er’s, weil er sein Wort dafür verpfändet hatte, sondern nur, weil er auf einem anderen Wege seine Habsucht, wenn auch langsamer, so doch desto ausgiebiger zu befriedigen gedachte. Er huldigte dem Grundsatze: „Lieber mein als unser!“ und gönnte die Beute lieber sich selbst als seinen Leuten.

Zunächst ließ er den spitzbübischen Kadi Ibn Djahaf verhaften und bedrohte ihn mit dem Tode; „wolle er aber ein vollständiges Inventar aller seiner Reichthümer einreichen, dann verspreche er ihm das Leben“. Der Kadi begab sich sofort an das Schreiben. Er verzeichnete seine Perlen, seine Diamanten, seine elfenbeinernen Schnitzereien, seine Teppiche, seine seidenen Gewänder, seine Sklavinnen und selbst deren goldgestickte Jacken. Ja sogar das Halsband der Sultanin Zobaidah, für das er an seinem Sultan zum Mörder geworden, schrieb er mit auf. Nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_442.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2021)