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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

das bare Geld vergaß er. Darob gerieth der edle Cid in große sittliche Entrüstung. Wieder wüthete er – über Verletzung von Treue und Glauben. Er ließ den Kadi bis an die Arme in die Erde eingraben, Reiser über ihm anhäufen und ihn also rösten an einem langsamen Feuer. Auch dessen Sippschaft, die sehr reich war, rottete er aus, unter ähnlichen Qualen. Natürlich bemächtigte er sich nicht nur des baren Geldes, sondern auch der verzeichneten Schätze. Und dann sprach er nach dem arabischen Chronisten zu den anderen:

Ich habe nie ein Königreich gehabt. Meine Väter, obgleich vornehme Leute, haben doch nichts derart besessen. Aber von dem Tag an, da ich diese schöne Stadt Valencia zum ersten Male gesehen, hat es mich nach derselben gelüstet. Jetzt habe ich sie. Gehe daher ein jeder in sein Haus und auf sein Feld an seine Arbeit und lasse mich für alles übrige sorgen. Ich bin der Mann, der von nun an der Gerechtigkeit wartet für euch alle.“

Und das machte er so:

Er ließ die reichen Leute ermitteln, bedrohte sie und schenkte ihnen schließlich die Freiheit und das Leben, nachdem er sie unbarmherzig gebrandschatzt. Das flache Land ringsum hatte er schon während der Belagerung sich unterworfen, auch einige kleinere Städte. Die anderen Städte bedrängte er unaufhörlich. Alles versprach er, wemm er vor den Thoren lag. Alles nahm er, nachdem er eingezogen war. So gewann er durch ewige Raubzüge und Eroberungen unermeßliche Schätze und sein „Königreich Valemcia“, das er sieben Jahre regierte.

Eines Abends aber kamen einige seiner Heerführer und Ritter zu den Thoren hereingaloppiert, um Schutz hinter den Mauern zu suchen. Diese Flüchtlinge waren der ganze Rest einer großen und glänzenden Armee, die er wider die Afrikaner von Murcia entsandt hatte. Die Nachricht von dieser gänzlichen Niederlage vermochte er nicht zu verwinden. Er stürzte tot nieder. Ein anderer arabischer Chronist aber, der über seinen Ausgang berichtet, fügt den frommen Wunsch bei: „Möge Gott ihm unbarmherzig sein!“

Chimena, seine Witwe, behauptete mit den wenigen christlichen Rittern und Reisigen; die ihr geblieben, die Stadt gegen die sie belagernden Afrikaner und Mauren von Oktober bis Mai. Dann erschien ihr Vetter König Alfons, der sie vor siebenundzwanzig Jahren dem Cid vermählt hatte, entsetzte die Stadt, bemächtigte sich aller Schätze des Cid, plüderte die Stadt und brannte sie nieder.

Hierauf zog er mit Chimena und der Leiche des Cid nach Burgos, wo man die letztere in dem Kloster San Pedro de Cardeña beisetzte. Drei Jahre später starb auch Chimena und wurde am der Seite ihres Gatten beerdigt in derselben Kirche, in welcher sie getraut worden war. Der gemeinschaftliche Grabstein besteht noch. Im Jahre 1809 hat ihn der französische General Thiébault aus der Kirche wegnehmen, in dem geschmacklosen Stil des ersten Kaiserreichs vergolden und auf der Promenade von Burgos aufstellen lassen. Auch soll sich gedachter Thiébault des Schwertes bemächtigt haben, welches für dasjenige des Cid Campeador galt.

Sic transit gloria mundi! So vergeht der Heiligenschein, welcher um das Haupt eines Menschen gewoben wurde, der in Wirklichkeit ein grausamer, habgieriger und nichtsnutziger Abenteurer war. Die Mönche, welche sich im Besitze seines Grabes und seines Leichnams befanden, verfielen unter König Philipp II. auf den Gedanken, den kastilianischen Ritter, welcher, wenn es Geld eintrug, sein Schwert ebenso gern für die „Heiden“ zog wie für die Christen, heilig sprechen zu lassen, wofür sie namentlich anführten, daß sein „corpo snato“ d. i. sein Leichnam, Wunder gewirkt habe und noch fortfahre zu wirken.

Allein der Heilige Vater in Rom blieb taub für die Bitten der Mönche von Burgos, obgleich diese an dem König Philipp einen lebhaften Fürsprecher hatten. Der Papst liebte bekanntlich diesen König durchaus nicht, welcher der Kirche nicht minder wie seinen Unterthanen gegenüber Autokrat war.




Verhütung der Masern in Schule und Haus.


In den Vorschriften, welche in den meisten deutschen Staaten zu dem Zwecke erlassen worden sind, die Verbreitung ansteckender Krankheiten durch die Schulen zu verhüten, werden die Masern gleich streng wie der Scharlach oder die Diphtherie behandelt. Demgemäß sind Kinder, welche an den Masern leiden, vom Besuch der Schule auszuschließen. Das Gleiche gilt von gesunden Kindern, wenn in dem Hausstande, welchem sie angehören, ein Fall von Masern vorliegt, es müßte denn ärztlich bescheinigt sein, daß das Schulkind durch ausreichende Absonderung vor der Gefahr der Ansteckung geschützt ist. Kinder, welche aus diesem Grunde vom Schulbesuch ausgeschlossen worden sind, dürfen zu demselben erst dann wieder zugelassen werden, wenn entweder die Gefahr der Ansteckung nach ärztlicher Bescheinigung als beseitigt anzusehen oder aber die für den Verlauf der Krankheit erfahrungsmäßig als Regel geltende Zeit verstrichen ist. Als normale Krankheitsdauer gelten bei den Masern vier Wochen.

Während man nun den obrigkeitlichen Verordnungen, soweit es sich um Scharlach, Diphtherie, Pocken etc. handelt, unbedingt zustimmt, glauben viele, daß den Masern gegenüber die Vorsicht des Staates doch zu weit gehe.

Es ist wahr, daß man sich vergeblich gegen die Masern zu schützen sucht; der Ausbruch der Krankheit kann bei elnem Menschen nur hinaufgeschoben werden, früher oder später muß bei uns fast ein jeder masernkrank werden. Die Anlage zur Erkrankung an Masern ist eben beim Menschengeschlechte geradezu allgemein.

Bei uns gelten die Masern als Kinderkrankheit; sie sind es aber nur darum, weil bei der großen Verbreitung des Maserngiftes die Kinder schon in den ersten Lebensjahren von denselben befallen werden. Erwachsene erkranken an Masern darum so selten, weil das einmalige Durchmachen der Krankheit dem Körper einen fast unfehlbaren Schutz gegen eine zweite Erkrankung gewährt.

Daß die Masern ein unvermeidliches Uebel sind, ist dem Volke so wohl bekannt, daß viele Eltern, wenn eins ihrer Kinder an den Masern erkrankt ist, die gesunden zu dem kranken legen, „damit ein für allemal mit der Plage aufgeräumt wird.“ Sie werden darin noch durch die landesübliche Meinung bestärkt, daß die Masern eine leichte, gutartige Krankheit seien. Im großen und ganzen stimmen auch viele Aerzte der letzteren Meinung bei; andere aber sehen sich auf Grund trüber Erfahrung genöthigt, eine warnende Stimme zu erheben.

Es giebt schwere und milde Masernepidemien. Mitunter stirbt von hundert masernkranken Kindern kaum eins, manchmal, wenn auch glücklicherweise selten, beträgt die Sterblichkeit bis zu 25 Prozent. Eine statistische Zusammenstellung für die Jahre 1875 bis 1880 hat ergeben, daß in Preußen an Masern halb so viel Kinder starben wie an Scharlach. Ziehen wir noch außerdem in Betracht, daß nach den Masern schwere Nachkrankheiten zurückbleiben können, so wird uns die Krankheit doch in einem ernsteren Lichte erscheinen müssen.

Am gefährlichstem sind die Masern für geschwächte Kinder, die bereits an einer anderen chronischen Krankheit leiden oder schlecht ernährt sind. Ferner erweisen sich kleine Kinder vom zweiten bis dritten Lebensjahre weniger widerstandsfähig als ältere, und die günstigsten Ziffern, was die Sterblichkeit anbelangt, zeigt das Alter etwa vom zehnten bis vierzehnten Lebensjahre.

In Anbetracht dieser Thatsachen erscheint die eingangs erwähnte Verordnung der Behörden durchaus berechtigt. Denn wenn durch die strenge Absonderung die Erkrankung für das Kind um einige Jahre hinausgeschoben wird, so gewinnen wir dadurch jedenfalls insofern, als sich mit den höheren Lebensjahren durchschnittlich die Gefahr mindert. Die Schulgesundheitspflege allein genügt aber in diesem wie in anderen ähnlichen Fällen nicht; sie muß durch die häusliche Gesundheitspflege unterstützt werden. Es ist eine Pflicht der Eltern, ihre Kinder schon beim Verdacht einer Masernerkrankung von der Schule fern zu halten; namentlich während einer Masernepidemie sollten sie verschnupfte und hustende Kinder zu Hause lassen. Der Lehrer ist in diesen Fällen verpflichtet, solche verdächtige Kinder vom Schulbesuche auszuschließen.

Was nun die Sitte betrifft, die Kinder im Hause die Masern auf einmal „abmachen“ zu lassen, so möchten wir den Eltern doch einiges zu bedenken geben. Niemand ist in der Lage, den Verlauf der einmal ausgebrochenen Krankheit im vorans zu bestimmen. Wenn auch die Masern das Leben der schulpflichtigen Kinder in nur sehr geringem Maße gefährden, so lauert doch in ihnen der Tod. Das gilt namentlich für sehr junge, bereits an einem andern Leiden erkrankte oder sehr schwächliche Kinder. Diese sind unter allen Umständen vor der Ansteckung zu bewahren und müssen abgesondert werden, wenn auch nur der Verdacht der Erkrankung gegen eines oder das andere ihrer Geschwister vorliegt. Die Unkenntniß dieser Thatsache haben schon manche Eltern mit dem Verlust des Kindes büßen müssen, welches sie unbedachterweise absichtlich der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt hatten.

Ob die Masern durch gesunde dritte, also durch gesunde Personen, die mit dem Kranken in Berührung gekommen sind oder in seinem Zimmer sich aufgehalten haben, übertragen werden können, ist noch eine Streitfrage. Vorläufig ist es jedenfalls besser, so zu handeln, daß auch dieser Möglichkeit der Ansteckung und Verschleppung entgegengearbeitet wird.

Besonders wichtig ist aber die Thatsache, daß der Masernkranke schon beim Beginn der Krankheit, noch bevor er fiebert oder den Hautausschlag bekommt, den Ansteckungsstoff ausscheidet; denn sie lehrt uns, daß die Absonderung der Kinder, die wir vor der Ansteckung schützen wollen, schon beim ersten Verdacht geschehen muß. *     




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_443.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2021)