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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Herr Philipp Ardinger.

Eine Geschichte aus dem Rheingau von Ernst Lenbach.0 Illustriert von René Reinicke.

Es war an einem wunderbar milden klaren Abend im Frühsommer. Erquickt und ermüdet zugleich von einer köstlichen Wanderung durch den gesegneten Rheingau, saß ich in einer Rebenlaube dicht am Ufer des Stromes. Der freundliche Wirth hatte meine Einladung zu einer Flasche von seiner eigenen Auslese nicht abgeschlagen. Vor uns auf dem Tische standen neben den Römern zwei Kerzen in rothen Windglocken, um welche dann und wann ein verblendeter Nachtfalter mit leisem Klatschen herumflatterte. Von unten klang in unser behagliches Geplauder das gleichförmige Rauschen der Wellen hinein, und durch eine runde Oeffnung in der Rebenwand sah ich auf die Berge, an denen das Vollmondlicht langsam wie eine breite grünsilberne Decke hinwuchs.

Wir sprachen natürlich vom Rheingau und seinem Weine. Geschmeichelt nahm der wackere Wirth meine begeisterten Lobsprüche und Wanderfrüchte entgegen, die er ab und zu durch werthvolle Anmerkungen über besonders trinkbare Orte und Lagen ergänzte. Da sich aber meine Lernbegier gar nicht befriedigen ließ – man bringt doch gern von einer solchen Rheinfahrt auch ein wenig Weinzunge heim – so wies er mich nach der zweiten Flasche lächelnd an den einzigen Gast, der außer uns beiden noch in der Laube weilte. „Herr Philipp Ardinger ist der beste Weinkenner weit und breit, an den müssen Sie sich halten,“ mit diesen Worten verließ er uns und ging ins Haus, um als guter Hausvater nach dem Rechten zu sehen.

Herr Philipp Ardinger lud mich freundlich ein, an seinem Tischchen vor dem einsamen dritten Windlicht Platz zu nehmen, und bald war ich ganz vertieft in die weisen Lehren, welche er mir über die innersten Tugenden der verschiedenen Rheinweine vortrug. Sein Aeußeres entsprach durchaus dem Geiste, der diese Lehren beseelte. Eine stämmige Gestalt von Mittelgröße, mit freundlichem breiten Gesicht, Schnurr- und Knebelbart, das krause Haupthaar schon leise bereift, und auf Wangen und Nase ein zarter Weinschimmer. In den Ohrläppchen trug er kleine goldene Ringe; sonst war von Schmuck nichts an ihm zu bemerken, und auch seine bequeme Kleidung war anständig, aber durchaus nicht besonders vornehm.

Er trank eine gute Sorte, und er trank sie gut, wie ein richtiger Weinkenner, in kleinen oft wiederholten Schlucken, wobei er den edlen Tropfen mit der Zunge zerdrückte. Nach dem Einschenken hielt er den Römer gegen das Licht und blinzelte mit einem Auge liebevoll nach dem köstlichen Tranke, der hinter der grauen Glaswand glitzerte. Er sprach bedächtig, aber nicht schleppend – ungefähr so wie er trank; mit einem guten Humor, der kein grelles Lachen, aber ein herzliches Lächeln weckt. Nur wenn er von besonders theueren und seltenen älteren Jahrgängen sprach, zitterte durch seine Stimme etwas von der Klage:

„Du bist mir nah und doch so fern!“

und als er in seine Vorlesung ein kurzes Anathema gegen alle jene gefühllosen Menschen einflocht, welche ein Weingesetz nöthig machen, erhob sich sein Vortrag zu einem schönen sittlichen Zorn.

Es war spät geworden, als wir uns trennten. Meine dankbare Hoffnung, ihn in den nächsten Tagen wohl wieder hier zu treffen, beantwortete Herr Philipp Ardinger mit einigen etwas verlegenen Worten. „Alsdann so ging er“ – um in seiner Sprache zu reden – und ich sah ihn draußen auf dem mondhellen Wege längs dem Rheine langsam entschwinden, umkreist von einem weißhaarigen Spitz, der während unserer Unterhaltung mit sachkundigem Blinzeln neben seinem Stuhle gesessen hatte.

„Da haben Sie mir in der That eine angenehme, dankenswerthe Bekanntschaft vermittelt,“ bemerkte ich zu dem Wirthe, der während der letzten Stunden an unserer Sitzung wieder theilgenommen hatte.

„Sie sind nicht der erste, der diese Bekanntschaft lobt,“ antwortete jener lächelnd. „Leider werden Sie, da Sie nur acht Tage bleiben wollen, Herrn Ardinger schwerlich noch einmal hier treffen.“

„Wieso,“ fragte ich aufrichtig enttäuscht, „geht der Herr auf Reisen?“

„O nein, das nicht,“ meinte der Wirth. „Aber es ist heute der Samstag nach Vollmond, und nun dauert es wieder einen Monat, bis er kommt. Allein das muß ich Ihnen wohl noch näher erklären – wenn Sie nicht etwa zu müde sind.“

Ich verneinte eifrig. Wir nahmen wieder Platz, ich schenkte die Römer voll, und mein Wirth begann eine wunderliche Geschichte zu erzählen, eine richtige Rheingau-Geschichte.

Herr Philipp Ardinger war der Sohn eines reichen Weingut- und Schiffbesitzers. Der Vater hatte in seinen zwei letzten Jahrzehnten wenig mehr gethan, als die Zinsen seines Vermögens mit Umsicht und Geschmack ausgegeben, und der Sohn setzte nach seinem Tode dieses Geschäft erfolgreich fort. Ein Theilhaber leitete unterdessen die Verwaltung und Handlung. Leider verfiel dieser Theilhaber dem Laster, französische Weine und Cognak zu eigenem Genusse dem heimischen Wachsthum vorzuziehen, und mit den wälschen Getränken – wenigstens schien es dem Wirthe so – waren auch sonstige böse Geister in sein Herz gezogen. Eines Tages verschwand er mit der tröstlichen Versicherung, alles durch seine Spekulationen verspielte Gut dereinst wieder zu ersetzen, wenn er in Amerika Millionär geworden sei. Leider betrug aber dieses Gut genau so viel oder noch ein paar Tausend mehr, als Herr Philipp Ardinger besaß.

Da es Herrn Philipp nun völlig an Mitteln gebrach, als reicher Mann weiter zu leben, so wollte er wenigstens ein ehrlicher Mann bleiben. Durchaus aber widersprach es seiner Art, sich über das Nothwendige und Schickliche hinaus anzustrengen. Ein vornehmer Herr von auswärts übertrug ihm gegen freie Wohnung und einige Vergütungen das Amt als Burgwart in seiner oberhalb des Ortes belegenen, selten bewohnten Villa. Daneben eröffnete sich ihm ein schmales, aber zur Noth auskömmliches Verdienst, indem er sich kraft seiner auf Reisen erworbenen Sprachkenntnisse darauf verlegte, für die Winzer, Holzhändler und Schiffer etwaige Korrespondenzen nach England, Frankreich und Holland zu erledigen.

Auf diese Weise lebte er seit manchem Jahre mit seinem Spitze, schlecht und recht. Er rauchte Pfälzer und trank leichten Tischwein – mein Wirth zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, wie leicht dieser Tischwein sei. Jeden Samstag im Vollmond aber, also ungefähr dreizehnmal im Jahre, machte er sich ein Fest. Dann überließ er die Wacht in der Villa einem treuen Knechte, erschien gegen Abend mit seinem Spitze in der Wirthslaube und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_444.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)