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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


wurden, wodurch der Bevölkerung ein mächtiges Reservoir von Luft und Licht, der Jugend ein unersetzlicher Tummelplatz entzogen wurde, da mußte die Gemeindeverwaltung darauf bedacht sein, durch Gartenanlagen, durch Baumpflanzungen und Spielplätze für den Verlust Ersatz zu schaffen. Solchem Bedürfniß verdankt der herrliche Stadtpark seine Entstehung. Dieses grüne Juwel im Diadem Vindobonas wurde bei seinem Entstehen von den Wienern viel bespöttelt. Die jungen Anlagen konnten selbstverständlich in den ersten Jahren den anspruchsvollen Vorstellungen der Wiener von einem Stadtpark nicht genügen. Die zarten Baumpflanzungen, die schattenlosen Bosketts gaben den Witzblättern willkommenen Stoff zu boshaften Ausfällen. Der alte Wiener, der noch mit treuer Liebe an seinem Wasserglacis, seinem Paradeisgartl und seinen Basteien hing, hielt sich für verpflichtet, dem Neuling gegenüber eine kühle Haltung einzunehmen. Als aber ein nenes Geschlecht heranwuchs, dem Wasserglacis und Paradeisgartl nicht mehr als ein verlorenes Eden schöner Kindheitserinnerung erschien, da fing man an, die künstlerisch angelegten Parktheile mit ihren malerischen Baumgruppen, schattigen Bosketts und duftenden Blumenterrassen lieb zu gewinnen. Der vielverlästerte Teich, von dem man bisher nur wissen wollte, daß es nachts darin spuke von Fröschen und Unken und anderem Gethier, fand allmählich Gnade vor den Augen des Wieners. Die lieben Kleinen begannen sich mit den protzenhaft sich gebärdenden Schwänen auf vertrauten Fuß zu stellen, und als sie merkten, daß der stolze Vogel Lohengrins den irdischen Genüssen von Kipfeln, Kaisersemmeln und Baunzerln nicht abhold war, da bildete sich bald ein sehr gemüthliches Verhältniß heraus.

Der übelbeleumundete Wienfluß trennt den Stadtpark in zwei ungleiche Theile; man muß jedoch jenem das Zeugniß ausstellen, daß er sich sogar in den heißen Sommermonaten an dieser Stelle ziemlich anständig benimmt. Die Uferböschungen, mit theilweise uralten Linden, Pappeln und Akazien besetzt, gewähren sogar einen malerischen Anblick. Am rechten Ufer, gegen die Vorstadt Landstraße gekehrt, dehnt sich der Kinderpark aus, ein Ersatzmittel für das einst vielbeliebte Wasserglacis. Der Spielplatz ist rasenfrei, mit alten schattigen Kastanienbäumen bepflanzt und mit zahlreichen Ruhebänken versehen; gegen das Ufer hin ist eine Milchwirthschaft errichtet, das gelobte Land der Vegetarianer, die unter dem kühlen Laubdach die ausschweifendsten Gelage in saurer Milch, Butter und Rahm halten. Auf dem Spielplatz tummelt sich vom Morgen bis zum Abend eine frohe Kinderschar und spielt hier die uralten Kinderspiele, die schon unsere Urahnen ergötzt haben, mit leuchtenden Augen und frohem hellen Kinderlachen. Die kleinen Mädchen singen, im Kreise geschart, das „Ringel, Ringel Reihe“, die Buben spielen „Vaterl“ oder „Vater, Vater, leih’ mir d’ Scheer’“, und die dienstbaren Geister, denen das kostbare Völkchen anvertraut ist, bewachen von der nächsten Ruhebank aus das Treiben ihrer Schützlinge, sofern sie nicht durch einen schmucken Vertreter des Wehrstandes darin behindert werden. In solchem Falle muß der vielgeplagte „Schutzengel der Kleinen“ die fernere Ueberwachung übernehmen. Statistische Beobachtungen sollen aber festgestellt haben, daß sich die Kinder um diese Zeit die meisten Löcher in den Kopf zu schlagen pflegen.

Ganz anders verläuft das Tagewerk im eigentlichen Stadtpark. Schon in den frühen Morgenstunden sieht man um den prächtigen, von Garben erbauten Kursalon eine Anzahl von Männern und Frauen lustwandeln, die ihrer Gesundheit zuliebe Mineralwässer trinken und die vorgeschriebene Bewegung in frischer Luft und anmuthigem Grün gewissenhaft abthun. Der sauertöpfische Bureauchef, der sich keine Zeit zu einer regelrechten Kur in Karlsbad gönnt, trinkt hier seine verordneten Becher und trabt, mit Zahlen und Aktennummern im Kopfe, durch die herrlichen Anlagen, guckt beim Wetterhäuschen auf den Barometerstand, umkreist den Teich, brummt über die unnützen Schwäne, die sich in behaglichem Müßiggang auf dem Wasserspiegel wiegen, und verzehrt dann hastig an einem der Tische, die unter den schattigen Bäumen aufgestellt sind, sein Frühstück. Die alte Jungfer trippelt vergnügt in das dämmerige Boskett, in dem das entzückend schöne Marmorbild des Donauweibchens von Hans Gasser als Brunnenfigur aufgestellt ist, und füttert mit gleicher mütterlicher Liebe die kecken schnatternden Spatzen wie die zutrauliche Amsel und deren stimmbegabte Sangesbrüder. Das kühle Plätzchen wird auch gern von fleißigen Studenten aufgesucht, die ihr Pensum in frischer Luft durchnehmen und in den Erholungspausen das heitere Treiben um sich beobachten. Um die Mittagsstunde sieht man wohl auch manch müdegehetzten Stellenlosen hier zu kurzer Rast weilen, der die Speisestunde verträumt und sich die Sonne warm in den Mund scheinen läßt.

In den Nachmittagsstunden entwickelt sich ein buntbewegtes Leben. Geputzte Menschen wandeln plaudernd und lachend durch die schattigen Laubgänge, erfreuen sich an dem schönen Kundmannschen Schubertdenkmal, umkreisen die Bronzebüste des verdienstvollen Bürgermeisters Zelinka oder sitzen in eifrigem Klatsche auf den eisernen Stühlen, die längs der Rasenparzellen aufgestellt sind und gegen ein kleines Entgelt vermiethet werden. Die mit Tischen bestellte Terrasse vor dem Kursalon ist von einer eleganten, Kaffee trinkenden und Eis schlürfenden Menge besetzt. Die Böschung dieser Terrasse bildet ein kleines Rosenboskett, an dessen Rand ein Blumenflor von mehr oder minder reizenden Damen sitzt, welcher die Vorüberwandelnden einer scharfen Musterung unterzieht und ihre Toiletten mit nicht immer wohlwollendem Kennerblick prüft. Die Jugend und Anmuth findet auch hier schmeichelhafte Bewunderung. Manche zärtliche Mutter führt hierher mit staunenswerther Ausdauer ihre Töchter, um sie in vortheilhafter Beleuchtung und idyllischer Umrahmung den Blicken der „heirathspflichtigen“ Männerwelt auszusetzen.

In den späten Nachtstunden hat das Gartenbild ein ganz anderes Gepräge. Einzelne Eilige, welche den kürzeren Weg durch den Park von der Vorstadt Landstraße in die innere Stadt wählen, huschen hastig durch die einsamen Wege. Hie und da sucht ein Passagier der „grünen Bettfrau“ ein Ruhelager auf einer der versteckten Bänke, wird jedoch bald vom „Auge des Gesetzes“ erspäht und aufgescheucht. Zuweilen auch tönt ein Schuß durch die stille Nacht und die Gartenwächter finden dann auf eine Bank hingestreckt, ein blasses Menschenkind, das auf die Bilanz eines stürmischen oder mühseligen Lebens einen bleiernen Schlußpunkt aus dem Laufe eines Revolvers gesetzt hat.

Doch mit dem Morgengewölk verschwindet das unheimliche Bild; das Vogelvolk singt in den Zweigen seine tausendstimmige Symphonie, die Morgensonne streut blitzende Juwelen auf Gras und Blumen, die Arbeiter säubern die Kieswege, die Gärtner bespritzen Blumenbeete und Rasen mit mächtigen Wasserstrahlen, und allmählich finden sich auch die ersten Gäste ein, die mit sichtlichem Behagen die würzige Luft einathmen und den Zauber des jungen Tages genießen.

Das Bild des Gartenlebens, das wir hier entworfen, wiederholt sich mit mehr oder weniger veränderten Zügen auch in den übrigen öffentlichen Gärten Wiens. Die Lage des Stadttheils, der Grad der Beliebtheit und die Art der Gartenanlage haben freilich einen wesentlichen Antheil an der Gestaltung. Und da giebt es wohl keinen größeren Gegensatz zu dem eben geschilderten Bilde als den Augarten in der Leopoldstadt. Einst ein Lieblingsaufenthalt der vornehmen Wiener Gesellschaft, ist dieser stattliche Park mit seinen uralten Alleen und Baumgruppen heute öd und einsam. Vereinzelte Kindergruppen mit ihren Bonnen und Kindermädchen, hie und da ein ruheliebender Besucher, der in den weitläufigen Anlagen ungestört lesen will, ein hypochondrischer Luftkneiper, der durch die ernsten ehrwürdigen Kastanienalleen trabt, sie bilden heute die einzige Staffage dieses großen Gartens, der nur zur Sommerszeit belebter wird, wenn hie und da an Nachmittagen ein Konzert stattfindet. Wie so ganz anders war es im vorigen Jahrhundert um den Garten bestellt, als Josef II., der „Schätzer der Menschheit“, seinen zeitweiligen Sommersitz dort aufgeschlagen hatte. Noch heute sieht man über dem Portal die von Kaiser Josef eigenhändig verfaßten Widmungsworte: „Allen Menschen gewidmeter Belustigungsort von ihrem Schätzer.“ Unter dem Schatten der mächtigen Bäume wandelte der edle Menschenfreund fast täglich und verkehrte leutselig mit dem Volke, das in hellen Scharen herbeiströmte, um seinen geliebten Monarchen zu sehen. Noch heute erzählt man sich zahlreiche Anekdoten über den menschenfreundlichen Sinn dieses Fürsten, den er im Umgang mit dem Volke bethätigte. Zu seiner Freundin, der Fürstin Windischgrätz, welche einstmals ihre Verwunderung ob seines herablassenden Wesens ausdrückte, sagte er die denkwürdigen Worte: „Wollte ich immer nur mit Meinesgleichen verkehren, so müßte ich zu den Kapuzinern in die Kaisergruft hinabsteigen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_454.jpg&oldid=- (Version vom 27.7.2021)