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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


erschien der Kammerdiener. Schon seine Miene ließ sie aufathmen Er berichtete, was ihm die Kammerfrau vertraulich mitgetheilt und was sie im Namen des Fürsten ihm offiziell aufgetragen hätte. Alle Gefahr sei vorüber, gegenwärtig schlafe die Prinzessin. Der Fürst, den Staatsangelegenheiten in die Residenz riefen, werde den Arzt zu einer letzten Besprechung im Saale empfangen; er verzichte für heute auf etwaige Glückwünsche zu dem Erfolg, den die Komposition seiner Tochter davongetragen habe.

„Ich danke Ihnen, Herr Brausewein,“ sagte Aschau, „Sie haben uns eine Last vom Herzen genommen.“

Der Kammerdiener verneigte sich. „Herr Leibmedikus Walter giebt der Schwüle im Palmenhaus, theilweise auch der ungewöhnlichen Beleuchtung schuld.“

„Er wird recht haben, sie war zu blau.“ „Die Herren Künstler sind noch im Palmenhaus,“ bemerkte Brausewein.

Aschau zuckte die Schultern. „Ja, was ist da zu machen – wenn Seine Hoheit zum Thee geblieben wäre, würden sie ohne Zweifel eingeladen worden sein, aber unter solchen Umständen – der Hofwagen, der sie hergebracht hat, soll sie wieber heimfahren.“

„Herr Kammersänger Leisewitz hat mich ersucht, Ihrer Hoheit sein Bedauern auszudrücken. Dem Herrn Hofmarschall soll ich melden, daß er morgen seinen Urlaub antritt.“

„Morgen! Was glauben Sie – wartet er vielleicht auf sein Honorar?“

„Ich glaube nicht, Herr von Aschau. Meines Wissens lebt er in wohlgeordneten, guten Verhältnissen. Auch reist er erst morgen abend ab.“

„Ah dann! Dann hat es ja bis morgen früh Zeit.“ Er sann vor sich hin. „Indessen – Sie wissen, wie sehr unser gnädigster Herr den Künstler schätzt – und ich kann augenblicklich nicht abkommen – wenn Sie ihm in meinem Namen alles Schöne und so weiter sagten, würde er das besonders hoch aufnehmen!“

„Sehr gern, Herr von Aschau.“

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Der Saal, in dem der Fürst ruhelos auf und ab schritt, war das Kleinod des Hauses. Man hatte am Alten nichts geändert, auch die schönen glitzernden Kronleuchter gelassen. Es war der einzige Raum, der nur durch Kerzenlicht erleuchtet wurde. Dieser Unterschied in der Beleuchtung gab dem Saal abends ein besonderes Gepräge. Von der Decke grüßten die heiteren Farben eines reichen Freskogemäldes: es stellte eine Gesellschaft zierlich gekleideter weißgepuderter Rokokodamen dar. Sie lagerten auf einem Blumenrasen und lauschten einem kleinen Faun, der, derb und braun, mitten unter den Rosigen auf einem Säulenstumpfe saß und auf einer Rohrflöte blies. Dem Haupteingang gegenüber lag die Fensterwand, in geschwungener Linie eine Nische bildend, einen überdachten Austritt oder verglasten Erker. Dort stand der Tisch für die Abendtafel, mit kostbarem Geschirr, Blumen- und Fruchtschalen und vielarmigen Rokokoleuchtern beladen.

Eine fürstliche heitere Pracht überall! Nichtsdestoweniger fühlte sich der Hausherr in dieser Stunde genan so unglücklich wie irgend ein besorgter Vater in einer Dachkammer.

Als der Arzt in der Thür erschien, eilte ihm der Fürst entgegen. „Nun? Was sagen Sie?“

Doktor Walter, der als thatkräftiger Mann ein Feind feierlicher Amtsmiene und wichtigthuender Zurückhaltung war, erwiderte so gelassen wie zuversichtlich. „Der Schlaf ist fest und ruhig. Unsere gnädigste Prinzeß wird sich morgen vollständig erholt haben.“

„Glauben Sie? Sind Sie dessen gewiß?“

„So gewiß ein Arzt seiner Sache sein kann, ja.“

„Mein Sohn, der Erbprinz,“ fuhr der Fürst fort, immer noch beunruhigt, „hat mich gebeten, ihm während seiner Reise genaue Nachrichten über Ernas Befinden zu geben. Darf ich ihm diese Unpäßlichkeit verschweigen?“

„Der Vorfall wird keine Folgen haben, Hoheit.“

„Und jede Gefahr für mein Kind ist vorüber?“

„Es kommt darauf an, welche Gefahr Hoheit meint.“

Die Blicke beider ruhten ineinander, dann seufzte der Fürst aus tiefster Brust. „Kommen Sie,“ sagte er leise.

Sie traten in den Erker und nahmen etwas abseits von der gedeckten Tafel Platz, einander gegenüber, beinahe Knie an Knie. „Ich hatte die Absicht,“ begann der Vater Ernas, „Sie mit mir in die Residenz zu nehmen, aber mein Gott – dort erwarten mich Sorgen, die mir ebenso wichtig sein müssen wie die Sorge hier.“ Er fuhr mit der Hand über die Stirn. „Die Zeiten sind schwer, lieber Herr! Ein fürchterlicher Krieg droht, sein Ausgang ist unberechenbar. Und dazu dieses Elend daheim! – Was wollte ich sagen? – Ja, hier ist der beste Ort und heute muß es sein. Ich habe Vertrauen zu Ihnen und hätte mich Ihnen schon am ersten Tage entdecken sollen, aber – – verzeihen Sie mein Zaudern!“ Er schöpfte tief Athem. „So hören Sie denn,“ sagte er dann zu dem gespannt aufhorchenden Arzte. „Es hat sich mit jener italienischen Reise Ernas und ihrer Mutter anders verhalteln, als alle Welt glaubt. Allerdings war mein Kind von schwankender Gesundheit, schnell aufgeschossen, blutarm, indes dies allein war nicht der Grund der Trennung, die für die Fürstin und mich eine ewige – nein, keine ewige, aber eine Trennung für dieses Leben geworden ist! Ach, wir haben uns geliebt!“

Nach einer Weile fuhr der Fürst fort: „Die Wahrheit ist, daß nicht die Tochter, sondern die Mutter die Kranke war. Sie war – erlassen Sie mir das schaudervolle Wort über die Unvergeßliche!“ Sein Athem ging schwer, seine Stimme sank fast zum Flüstern herab. „Meine erste Frau war gestorben, nachbem sie dem Erbprinzen das Leben gegeben hatte. Zwei Jahre darauf vermählte ich mich mit meiner Base Helene. Diesmal war es ein Herzensbund. Wir lebten jahrelang glücklich. Aber auf dieses Glück vielen schon die Schatten; es gab Tage, welche mich die schreckliche Wende ahnen ließen. Und dann wurde die Ahnung zur Gewißheit. Dank der Klugheit und Festigkeit einiger Getreuen gelang es mir, der Welt mein häusliches Unglück zu verbergen. Der Arzt hiltt die Umnachtung meiner Gattin für unheilbar; ich hoffte immer noch. Nach schweren Kämpfen willigte ich in ihre Entfernung. Ich hatte an meinem Hofe den Vater unserer Comtesse Livia, den Grafen Casasola, als Gesandten kennengelernt. Er galt mir damals als das Muster eines feinen Weltmannes. Ich wandte mich in meiner traurigen Lage an ihn, und er nahm Mutter und Kind samt dem bescheidenen Gefolge in sein Haus, in seine Familie auf. Er und die Seinen mußten – ich erfuhr es vom Arzt – von der Fürstin oft Schweres ertragen. Sie ertrugen mit himmlischer Geduld, denn sie hatten den höchsten Begriff von Gastfreundschaft. Erna zeigte sich tapfer, klug, brav . . . überdenken Sie, was sie in jener Zeit gelitten! Und ich, ich“ – er sprang auf – „ich war damit einverstanden, daß sie sich opferte – ich opferte mein Kind!“

„Mein theuerster Fürst,“ sagte Walter warm, „wenn Ihr Entschluß, der erste Schritt nothwendig war – und es dünkt mich so – sind Sie für die Folgen nicht verantwortlich. Was konnten Sie thun?“

„Was ich hätte thun müssen: meine Tochter zurückrufen und mich selbst mit dem Arzt in die Pflege thellen.“

„Sie würden weder das Herz der Tochter, noch das Schicksal der Mutter erleichtert haben.“

Der andere wies die Vertheidigung mit einer Handbewegung zurück. „Das Ende kam jählings – schrecklich. Graf Casasola rief mich schonend an ein Sterbebett – bei meiner Ankunft fand ich einen Sarg. – Sie werden mir glauben, daß ich, wieder in der Heimath, alles gethan habe, um mein Kind jene zwei Jahre vergessen zu machen. Umsonst! Sie war liebevoll zu mir, doch nichts, nichts verwischte und verlöschte ihre Erinnerungen. Und dann – dann entdeckte ich, daß nicht nur das Andenken an die Mutter in ihrem Gemüthe, sondern daß die Mutter selbst in ihr fortlebt! Zwischen dem Arzt und mir war Einverständniß ohne Worte. Ernas unüberwindliche Schwermuth, ihre Reizbarkeit heute, ihre Gleichgültigkeit morgen, hundert Erfahrungen beweisen mir, daß die Dämmerung wächst – und unaufhaltsam kommt die Nacht!“

„Nein!“ rief feurig Walter, „ich gebe die Hoffnung nicht verloren!“

„Vererbung!“ versetzte dumpf der Fürst. „Ach, ich habe mich in dieses Wort vertieft; ich kenne es nach seinem ganzen Inhalt!“

„Schlagwörter treffen nicht immer ins Schwarze. Nicht nur aus der geistigen Veranlagung, auch aus den Lebensschicksalen erklärt sich so manches. Jetzt kenne ich das Schicksal Ihres Kindes, und Wissen ist halbe Hilfe. Mein Fürst, ich bin ein schlichter Mann, aber ein redlicher Arzt. Ich wiederhole Ihnen: ich gebe den Kampf nicht auf!“

Da warf sich der Fürst, von seinen Empfindungen überwältigt, dem Arzte schluchzend an die Brust.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_464.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2022)