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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Schlosser und Schreiner, Gärtner und Tapezierer werden aus meiner Tasche bezahlt. Aber ich bringe auch dieses Opfer. Und das alles einer Bürgerschaft zulieb, die mit wenigen Ausnahmen ‚Frank und Söhne‘ trinkt!“

Auch an dem Tage, an dem Siegfried Leisewitz von Wahndorf für immer schied, war Hagemann in der Villa gewesen. Nun saß er seinem Töchterchen gegenüber bei Tisch, rückte den geleerten Suppenteller von sich und sagte: „Nichts Neues im Städtchen?“

„Doch! Wie mir Anna erzählt hat, ist Herr Lenz zurückgekommen, mit dem Wagen von der ,Sonne‘ drüben, in Begleitung eines Fremden –“

„Weiß ich alles und noch mehr. Der Herr wird längere Zeit in der ,Sonne‘ bleiben, ich habe ihn in der Strandstraße gesprochen – hier ist seine Karte!“ Hagemann reichte seiner Tochter eine Besuchskarte größter Form über den Tisch, und Emma las:

 „Siegfried Leisewitz.
      Hofopern- und Kammersänger.
Chevalier de plusieurs ordres.“

„Ist Dir der Name bekannt?“

„Aber, Vater, den Namen liest man doch oft genug. Leisewitz ist ein berühmter, ein großer Künstler.“

„Ach was, die berühmten Künstler sind heute wie der Sand am Meer, der Kuckuck behalte alle ihre Namen! Jedenfalls ist der Mann ein wunderlicher Kauz – grob wie Bohnenstroh und dann wieder kannst Du ihn um den Finger wickeln. Unsere Fuhrwerke begegneten sich auf der Strandstraße. Erst hatten unsere Kutscher einen kleinen Wortwechsel, und plötzlich springt ein baumlanger Mensch aus dem Wagen und schreit wie besessen auf unsern Wilhelm ein. Doch da hüpft schon unser Kapellmeisterchen nach und legt sich ins Mittel. Und dann steige auch ich aus, der Kapellmeister bläst Frieden und so machte sich die Bekanntschaft.“

„Wie sieht er aus?“

„Ja, wie soll ich ihn beschreiben? Er sieht aus wie ein Abenteurer – wie ein stutzerhafter Waldmensch – wie ein Budenherkules – ein Herodes!“

„Ein Holofernes,“ sagte Emma und lächelte ihren Vater an.

„Ich bin überzengt, Dir mißfällt er! Du bist für das Zarte, Blonde, Poetische.“

„Meinst Du?“ Sie lächelte wieder, doch diesmal sah sie vor sich nieder.

Die Aufwärterin brachte das zweite Gericht und das Gespräch ruhte eine Weile. „Nun ja, man merkt’s, wir haben Fremde,“ begann dann Hagemann verdrießlich und stach mit der Gabel da und dort in den Braten. „Das Fleisch erster Güte kommt wieder alles in das Badhotel, und die Wörder Bürgerschaft muß vorlieb nehmen.“

„Morgen gehe ich mit Rike zum Einkauf,“ besänftigte ihn Emma, die in der Hauswirthschaft mindestens ebensogut Bescheid wußte wie in der Litteratur. „Uebrigens finde ich es sonderbar, daß ein so berühmter Mann wie Leisewitz nicht im ersten Gasthof, im ‚Deutschen Kaiser‘, wohnt.“

„Das habe ich dem Sänger auch gesagt. ‚Aber glauben Sie denn,‘ rief er mit einer großartigen Handbewegung, ‚wenn man dort den ersten Stock an Russen und Amerikaner vermietet, daß ich zwei Treppen hoch steigen werde? Ich wohne niemals anderswo als im ersten Stock.‘ An Bescheidenheit geht dieser Siegfried nicht zu Grunde. Gleichviel – ich werde meine neue Bekanntschaft doch zu Tische laden!“

„Den Sänger?“ rief Emma.

„Erlaube, den Hofopernsänger Leisewitz! Das ist ein Unterschied. Diamantene Hemdknöpfe, feine Kleider und ein Diener auf dem Kutschbock können Sand in die Augen sein. Vielleicht sind die Diamanten falsch und die Kleider nicht bezahlt, und der Diener kann morgen verduften. Aber ich verlasse mich als erfahrener Kaufmann auf mein Gefühl. Dieser Leisewitz hat ’was und hält fest, was er hat. Auch wollen wir uns ja nicht verheirathen. Er ist ein Kauz und wir werden über ihn lachen.“

„Ich nicht – ich kann nicht fröhlich sein.“

„Warum in aller Welt auf einmal so elegisch? Bist Du nicht gesund, nicht Fritz Hagemanns Tochter, nicht so hübsch und gescheit wie nur irgend ein Wörder Kind?“

Hagemann sprang auf und an die Thür. „Wilhelm,“ schrie er hinaus, „Wilhelm, anspannen! Schnell!“ Dann wandte er sich ins Zimmer zurück. „Du sitzt, Du liest zuviel! Du mußt in die freie Luft, in die Sonne! Wir werden eine Spazierfahrt machen. Wozu hat man denn Wagen und Pferde! Wir fahren nach unserem Landhaus. Ich werde Dir den Leibkutscher der Prinzessin und den Hoffourier Stenzel zeigen – das sind Menschen! Gesund, wohlgenährt und zufrieden! – Geh’, Kind, mach’ Dich schön! Unb während der Fahrt entwerfen wir einen Speisezettel, einen Speisezettel, daß der Hofopernsänger sagen soll: das ist nicht nur eine gute, das ist die beste Tafel meines Lebens!“

Emma war eine gehorsame Tochter; sie ging und machte sich schön.

Und Hagemanns Voraussagungen gingen in Erfüllung. Als Wilhelm spät in der Nacht seinen Herrn vor der „Sonne“ abgesetzt hatte und nun dem Fräulein vor der eigenen Hausthür den Kutschenschlag öffnete, hüpfte Emma leicht wie eine Nymphe heraus; sie klopfte den wohlgenährten Gäulen auf den Rücken und wünschte Wilhelm freundlich Gutenacht. Dann sprang sie die Treppe hinauf, übermüthig fröhlich wie ein Schulmädchen, zum höchsten Erstaunen der Jungfer Anna, die mit der Lampe im Flur erschien. Emma trat in ihre Stube, legte Handschuhe, Hut und Ueberwurf ab und ordnete ihr Haar vor dem Spiegel.

„Na, Fräulein,“ sagte Anna, „die Fahrt hat Ihnen wohl sehr gut gethan! Sie leuchten förmlich –“

„Pst!“ unterbrach Emma sie und lächelte verschmitzt. „Ich habe ihn gesehen!“

„Den Sänger?“

Emma nickte.

„Nun, habe ich zuviel gesagt? Ist er nicht –“

Aber ihre Herrin legte ihr den Finger auf den Mund. „St!“

Als Emma allein war, löschte sie die Lampe aus, denn es war eine herrliche Mondnacht. Sie beugte sich hinaus. Im Hafen umgaukelten die blitzenden Wellen kaum hörbar die Schiffe und schaukelten leicht die Nachen und fernhin ruhevoll dehnte sich die See. Emma warf einen halben Blick nach dem alten Giebelhaus gegenüber. Nur das Erdgeschoß leuchtete mit rothen Fenstern, droben brannte nirgends Licht. Sie setzte sich und träumte mit offenen Augen still vor sich hin. Da traf Musik ihr Ohr. Auf der Brüstung des Söllers, seine Mandoline in den Händen, saß der Sänger im hellen Mondlicht, zupfte die Saiten und sang und sang, wie Emma nie singen gehört hatte:

„O, wie sehn’ ich mich nach Süden,
Nach der Sonne Gnadenfülle,
Nach des Herzens Kirchenstille,
In des Lebens Blüthenreich!
O, wie sehn’ ich mich nach Frieden!“

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüthen.


Eine Pflicht der Pietät. Es ist unseren Lesern bekannt, daß zur Pflege der Kriegergräber auf dem Schauplatz des deutsch-französischen Krieges, hauptsächlich in den Reichslanden, durch freiwillige Vereinigungen viel geschieht. Weniger Beachtung haben bisher die Grabstätten genossen, die aus den Feldzügen vor der Wiedererrichtung des Deutschen Reiches herstammen. Diesem Mangel abzuhelfen, ist nun in Leipzig ein Verein gegründet worden, der vorerst in engerem Rahmen seine Wirksamkeit entfalten will, aber darauf berechnet ist, durch verwandte Gründungen an anderen Orten seine Ergänzung zu finden. Er führt den Namen „Abtheilung Leipzig des Vereins für die Pflege der Grabstätten und Denkmäler von Offizieren und Mannschaften, die in den Feldzügen vor Wiedererrichtung des Deutschen Reiches gefallen oder gestorben sind,“ und stellt sich die Aufgabe, zunächst wo nöthig für die Pflege der im Königreich Sachsen gelegenen Denkmäler und Kriegergrabstätten einzutreten, dann aber auch für Instandhaltung der im ganzen deutschen Vaterlande sowie auf österreichischem Boden gelegenen Ehrenplätze mit besorgt zu sein. Die Mitgliedschaft kann jede Person erlangen, die unbescholten und verfügungsfähig ist und einen regelmäßigen Jahresbeitrag von drei Mark bezahlt. Daneben rechnet der Verein auch auf solche Förderer, die unter Verzicht auf die Mitgliedschaft durch Geldzuwendungen oder sonstige Unterstützungen zur Erreichung des gesteckten Zieles behilflich sind. Vorsitzender ist der Hauptmann der Landwehr Robert Rost. Es ist zu hoffen, daß der Leipziger Vereinigung eine rege Theilnahme werde und daß das schöne Beispiel von Pietät, das sie gegeben, eine eifrige Nachfolge im Reiche finde.

Von der deutschen Landwirthschaftsausstellung zu München. (Zu dem Bilde S. 481.) Die Theresienwiese in München ist ein günstiger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_483.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2022)