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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

bilden, 400 abschießen und dafür das nothleidende Vieh seiner Bauern in den herzoglichen Waldungen grasen. Aber in unsern Wäldern stecken noch andere, bisher fast gar nicht beachtete Futterschätze.

Im Haushalt der Natur können pflanzenfressende Thiere nicht immer von frischem Grün, von Wiesengras u. dergl. leben. Im höchste Norden hat man mitten in dem strengsten Winter wohlgenährte Hasen erlegt. Der Sommer ist in jenen Gebieten ungemein kurz, drei Vierteljahre fast ist der Erdboden mit Schnee bedeckt und es erscheint geradezu wunderbar, wie der Polarhase unter solchen Umständen nicht nur sein Leben fristen, sondern sogar wohlgenährt bleiben kann. Dort muß ja nach unseren Begriffen eine fortwährende Futternoth herrschen! Die Lösung dieses Räthsels ist sehr einfach: der Hase nährt sich von Knospen und Zweigen der an der Erde kriechenden Polarweide[.] Knospen und Baumzweige bilden auch bei uns zur Winterszeit die Nahrung des Wildes. In einigen Gegenden werden im Winter Pappelzweige an Schafe verfüttert, welche dieses Futter gern annehmen.

Schon in früheren Jahren, als wir mit einer geringeren Futternoth zu kämpfen hatten, wandten einige Landwirthe und Forstleute ihre Aufmerksamkeit dieser Futterquelle zu, welche der Wald in so großer Menge bietet. Alljährlich wird in unseren Waldungen eine Menge Reisig oder Abfallholz gewonnen, das äußerst billig abgegeben wird, oft überhaupt schwierig zu verkaufen ist. Schafe und Ziegen knabbern bekanntlich die Zweige ab; wenn man jedoch rohes Reisig an andere Nutzthiere verfütterte, so zeigte es sich, daß es auf die Daner nicht gern gefressen und auch nicht verdaut wurde, da die dichte Oberhaut, welche die meisten Reisighölzer besitzen, weder durch die Zähne noch durch die Verdauungsorgane der Thiere genügend zerstört wird. Man versuchte also, das Reisig aufzuschließen, und vor einigen Jahren ist es Dr. E. Ramann an der Forstakademie Eberswalde gelungen, ein geeignetes Verfahren zu erfinden und, wie die Erfahrung gelehrt hat, aus dem Reisig ein Viehfutter herzustellen, welches an Nährwerth einem guten Futterstroh ungefähr gleichkommt.

Man nimmt zu diesem Zwecke Zweige, die höchstens bis 2 cm dick sind. In eigens dazu gebauten Maschinen wird das Reisig zerkleinert und gequetscht. Die gequetschte Masse wird mit etwa 1% Malz versetzt, mit heißer Schlempe, Kleietrank u. dgl. übergossen und der Selbsterhitzung überlassen. Genauere Auskunft über dieses patentierte Verfahren ertheilen Dr. E. Ramann, Forstakademie Eberswalde, und von Jena-Cöthen in Cöthen i. d. Mark. Durch eine Reihe von Versuchen ist es außer Zweifel gestellt, daß alle Thiere, denen das so zubereitete Futter vorgeworfen wurde, es anstandslos und gern angenommen haben. Der Gutsbesitzer Biberach in Westpreußen hat neuerdings einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, daß er mit dem vorschriftsmäßig präparierten Reisig 30 Pferde und 60 Stück Rindvieh in ausgezeichneter Weise durchfütterte.

Fast alle Bäume können in dieser Weise zur Futterbereitung Material liefern, da selbst das Reisig der Nadelhölzer einigen Nährwerth besitzt. Dagegen hat man noch nicht bei allen Baumarten über die Jahreszeit Klarheit gewonnen, in welcher ihr Reisig am vortheilhaftesten zu verwenden wäre. Gutes Wiesenhen enthält durchschnittlich 9,5% Rohproteïn oder eiweißartige bezw. stickstoffhaltige Stoffe, Waldheu 8%, Haferstroh 4% und Weizenstroh 3% Rohproteïn. Vergleichen wir damit den Gehalt verschiedener Reisigarten! Im Buchenreisig wurden im Frühling etwa 3% und im Winter 6,5% Rohproteïn gefunden; es empfiehlt sich darum, Buchenreisig im Winter zu sammeln. Im Eichenreisig wurden dagegen im Mai 19,6% und im September 12,9% Rohproteïn ermittelt. Birkenreisig ergab im Frühling 4% und im Winter 6,1% Rohproteïn. Durch weitere Untersuchungen wird wohl in nächster Zeit auch in Bezug auf andere Baumarten Aufklärung geschaffen werden. Auch das Reisig der Obstbäume, das ja bei dem unumgänglichen Baumschnitt gewonnen wird, läßt sich sehr vortheilhaft zur Bereitung eines bekömmlichen Futters verwerthen; aus vielen Obstbaumanlagen wird es fuhrenweise fortgeräumt und mindestens die Hälfte der Zweige könnte in Reisighäcksel umgewandelt werden.

So haben wir also trotz der schlimmsten Dürre eine Masse gesunden Viehfutters in unseren Waldungen. Es gilt nur, zuzugreifen und das Reisig zu erschließen; allerdiugs wird dies nur mit Hilfe von Maschinen möglich sein, die der kleine Besitzer, der von der Dürre am härtesten betroffen wurde, nicht beschaffen kann. Darum sollten die landwirthschaftlichen Vereine der Sache näher treten, und auch die Regierungen, die in ihren Forsten eine Menge von brauchbarem Reisig besitzen, würden sich wohl den Dank der Bevölkerung erwerben, wenn sie das wenig geschätzte Abfallholz in brauchbares Futter verwandeln wollten; sie würden bei diesem Unternehmen nicht nur segensreich wirken, sondern sogar auf ihre Kosten kommen; außerdem würde vieles Geld, das wir dem Auslande für Viehfutter bezahlen müßten, im Lande bleiben und manche müßige Hand würde Beschäftigung, die gesuchte Arbeit finden. Namentlich in der bevorstehenden schweren Winterszeit sollte man dieses Hilfsmittel nicht unbenutzt lassen.

Selbstverständlich wird das Reisigfutter den gesamten Ausfall der Heu- und Kleeernte nicht zu decken vermögen, wenn aber noch andere Hilfsmittel angewandt werden, wenn z. B, die Militärverwaltung mit gutem Beispiel vorangeht und in ihren Ställen nur Erd- und Torfstreu anwendet, wenn andere diesem Beispiele folgen, so wird viel Stroh zum Verfüttern erhalten bleiben. Gegen einen großen Nothstand kann ein Mittel nicht helfen, aber durch fleißiges Ausnutzen aller bisher bekannten Hilfsquellen, durch sorgfältiges Sammeln nahrhafter Stoffe, die früher unverwerthet blieben, wird man wohl imstande sein, die Lage des bedrängten Landwirthes erträglich zu gestalten.

Aus der gegenwärtigen Dürre sollten wir aber Lehren für die Zukunft ziehen. Wiesen und Kleeäcker sind gegen Regenmangel äußerst empfindlich; sie brauchen reichliche Feuchtigkeit, Benetzung durch häufige, kurz aufeinander folgende Regen und erliegen in weniger günstigen Lagen schon einer verhältnißmäßig kurzen Dürre. Darum sind bei uns die Jahre der Futternoth nicht so gar selten und bedrängen oft die Landwirtschaft. Es giebt aber noch viele, welche die Wiesen zu den sogenannten „schlafenden“ Ländereien rechnen, die ohne Zutlun des Landwirthes umsonst Erträge liefern. Das ist nicht richtig. Vor allem sollten die Wasserläufe mehr, als dies bis jetzt der Fall ist, für die Berieselung der Wiesen ausgenutzt werden. Die Rieselwiesen haben auch diesmal der Dürre getrotzt; wo immer es angeht, sollte man Stauwerke in die fließenden Gewässer setzen, um sie auf die Wiesen zu leiten. Durch die Berieselung werden ja den Pflanzen Nährstoffe zugeführt, die sonst durch die Flußläufe in das Meer fortrinnen. Treffend bemerkt Professor König am Schluß seiner beachtenswerthen Schrift über „Die Pflege der Wiesen“, „daß alle die Völker, welche in der Sammlung und Verwendung aller Abfälle zur Düngung und in der umfangreichen Benutzung der Flußläufe zur Berieselung eine weise Wirthschaft geübt haben, sich am längsten auf einer hohen Kulturstufe gehalten haben“.

Wo aber fließendes Wasser und Wald fehlen, wo nur leichter Boden vorchanden ist, wo der Gutsbesitzer über wenig Wiesen verfügt und deshalb wegen Futter- und Streumangel immer oder sehr oft in Verlegenheit ist, dort sollte er Vorsorge treffen, daß ihm in Zukunft Reisigfutter zur Verfügung stehe. Nach den bisherigen Erfahrungen hat sich die Birke als besonders vortheilhaft für die Gewinnung des Reisigfutters erwiesen und dieser Baum nimmt bekanntlich mit dem geringsten Boden vorlieb. Wenn nun der Besitzer eine entsprechende Fläche mit Birken ansamt, so gewinnt er schon im 3. und 4. Jahre Reisig und nach wiederum 3 bis 4 Jahren kann er den Stockausschlag ernten, so daß ihm 3 bis 4 Schläge nachhaltig das Material zu Reisigfütterung zu liefern imstande sind.

Die Vortheile, die er dadurch erringt, sind nicht zu unterschätzen; denn die Bäume widerstehen am längsten der Dürre, da sie mit ihren Wurzeln aus den tieferen Wasservorräthen des Bodens schöpfen; die Reisigernte kann im Winter erfolgen, wird im Gegensatz zu der Heuernte durch Witterungsverhältnisse nicht beeinträchtigt, und schließlich erfordert die Reisigpflanzung nur eine einmalige Saat oder Anpflanzung, bereitet also weniger Arbeit als der Anbau anderer Futterkräuter.

Hoffen wir, daß unsere Landwirthschaft die heurige Futternoth überwindet und aus der schweren Prüfung gegen künftige Dürren besser gewappnet hervorgehen wird! * 



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_492.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2022)