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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

als sie sich dennoch melden ließ. In diesem Falle fand ihre Unerschrockenheit sich belohnt. Wäre die Obersthofmeisterin zufällig zuerst am Platze gewesen, so wäre sie die Vertraute der fatalen Verfassung der Hoheit geworden. So wurde es die Méninville; und wie wußte diese treffliche Frau das ihr seit einiger Zeit entzogen gewesene Selbander mit der Fürstin zu nützen!

Zunächst einmal war sie so klug, von alledem, was vorgegangen war, wenig oder nichts zu wissen. Niemand war in der Nähe gewesen, als sie gestern, ganz zufällig, auf einer Seitentreppe mit dem eben von der Fürstin kommenden Pater Gollermann zusammengetroffen war; nein, sie konnte sicher sein, daß die gedrängte, aber erschöpfende Mittheilung, die ihr der geistliche Freund da gemacht – nicht ganz dieselbe, welche die Pfalzgräfin von ihm erhalten hatte – daß dieses kleine Zwiegespräch also völlig ohne Zeugen geblieben war.

Die Méninville war demnach jetzt gleichsam ein harmlos weißes Blatt, auf welches Frau Sabine Eleonore ihre überraschende Verkündigung einschreiben konnte. Herr von Nievern wollte diese Polyxene heirathen! Lächerlich und unerhört! Hatte er denn überhaupt seinen Verstand noch? Jetzt freien zu wollen, wo die Polyxene Gott danken konnte, wenn sie heil an Leib und Leben sich aus dem bösen Handel zog! Das Begriffsvermögen der kleinen Hoheit versagte, sie konnte die ganze Sache nicht fassen. Aber ärgern konnte sie sich. Und sie ärgerte sich nicht zum mindesten darüber, daß sie den Oberjägermeister selber zu Polyxene ins Kloster geschickt hatte. „Hier bei mir nahm er wohl auch schon ihre Partei, aber mit Maßen und lange nicht so viel wie die Kallenfels,“ sagte sie fast kläglich, „so daß ich ganz ohne Arg blieb. Was ist denn nun in ihn gefahren, als er die lange magere Stange, die sie ist – und bei der Klosterkost wird sie wohl nicht fett und auch nicht schöner geworden sein – vor Augen gehabt hat! Sollte einem da nicht einfallen, was zuweilen das dumme Volk spricht, wenn es sagt: die und die müsse den und den behext haben! Wenn das nicht ein dummer Aberglaube wäre, der sich für unsern Stand nicht schickt, so spräche ich: viel anders sieht es nicht aus.“

„Wie schon so oft muß ich auch heute wieder die Arglosigkeit eines edeln Herzens bewundern, durch welche meine allergnädigste Fürstin ausgezeichnet ist,“ begann die Méninville bescheiden. „Noch vor kurzem hatte ich beinahe hochdero Ungnade zu erdulden, weil ich dem Herrn von Nievern eine Auskunft über sein Liebchen, die derselbe eifrig heischte, nicht vorenthalten hatte . . . der Oberjägermeister, alle schuldige Ehrfurcht gegen seine Fürstin bei seite setzend, hielt es dazumal nicht für der Mühe werth, die Angst und Trostlosigkeit zu bergen, dahinein ihn die Kunde von der Polyxene wohlverdientem Schicksal versetzten. Wegen seines offenbaren seltsamen Trübsinns erlitt ich da ein hartes Anfahren von Euerer Hoheit –“

Sie hielt inne, noch in der Erinnerung von jener unverdienten Kränkung wie überwältigt. Die Pfalzgräfin achtete dessen freilich nicht weiter; sie war jetzt auf der Fährte. „Ha!“ rief sie, „hätte der Liebeshandel da schon gespielt? Am Ende gar schon vor seiner Abreise? O der niederträchtigen Arglist und Falschheit der Männer! Schändlich, schändlich!“ Und Thränen der Wuth traten ihr in die kindischen Augen.

„Meine allergnädigste Frau wolle sich besinnen,“ begann die Méninville wieder mit der sanftesten Stimme, „daß dem ganzen Hofe das Gebahren des Herrn von Nievern schon vor geraumer Zeit auffällig war. Hoheit hatten dem Fräulein von Leyen, das uneingeladen bei der Hofjagd erschienen war, öffentlich einen Verweis ertheilt. Ebenso öffentlich nahm der Kavalier, von dem wir reden, ihren Part nicht sowohl mit Worten als durch die That, indem er sie am Arme davonführte; auch wollte es scheinen, als ob er es an tröstlichem Zuspruch nicht habe fehlen lassen. Am andern Morgen war er dann, wie sich Hoheit erinnern werden, verschwunden. Sein Urlaubsgesuch erhielten Sie zugleich mit der Kunde von seiner Abreise. Die Einwilligung Pfalzgräflicher Gnaden abzuwarten, hatte der Herr Oberjägermeister nicht für nöthig erachtet.“

„Nennt ihn nicht so – er wird es nicht lange mehr sein!“ rief die kleine Dame wüthend. „Ich will ihn nie wieder vor Augen haben ... gestern schon habe ich ihn, da er Audienz suchte, abweisen lassen. Und da wußte ich das Schlimmste noch nicht!“ Das Schlimmste war also in der dermaligen Verfassung der Frau Pfalzgräfin, daß Nievern das Mädchen, das er vor den Augen der Nonne geküßt hatte, zu seinem Weibe zu machen gedachte.

Frau Sabine Eleonore ließ in dieser Verfassung ihre getreue Méninville nicht sobald wieder von sich. Diese durfte sogar daran denken, die Arbeit an der Altardecke, die ihr lange Nachmittage in dem innersten Gemache der Pfalzgräfin sicherte, wieder zu wagen und sie brauchte nicht zu befürchten, daß es die Fürstin jetzt mit ihren Stichen oder mit dem Muster allzu genau nehmen werde. Und da mochte denn dem Herrn Viktor das Ohr klingen, aber das unrichtige, denn es ging ihm spottschlecht in diesen Stunden bei der Pfalzgräfin. Die Schale der Wage, auf welcher seine Verdienste um den Hof lagen, um gegen seine jetzige Missethat abgewogen zu werden, wurde durch die freundliche Fürsorge der Frau von Méninville so erleichtert, daß sie nicht gut noch weiter in die Höhe schnellen konnte ... sie wog gar nichts mehr. Und das war der erbosten Pfatzgräfin gerade recht.

Eine Erwiderung war dem Kavalier auf seine beiden Schreiben an die Pfalzgräfin nicht geworden. Als Frau von Méninville zu erinnern wagte, daß die Anmaßung des Oberjägermeisters, welche besonders aus dem an die Fürstin persönlich gerichteten Schreiben spreche, durch die sofortige Vollziehung seines Abschieds am allerwirksamsten zu bestrafen sei, da meinte Frau Sabine Eleonore: „Nein . . . ich halte ihn einer Erwiderung nicht werth. Wenn wir schweigen, als sei ein solcher wie er gar nicht vorhanden, so wird ihn das am meisten verdrießen!“

Und Frau von Méninville mußte sich für jetzt bescheiden, wenn ihr auch anstatt des in Ungnade gefallenen und mit schweigender Verachtung bestraften Oberjägermeisters ein Herr von Nievern, der gar kein Oberjägermeister mehr war, noch weit lieber gewesen wäre. –

Dieses Maulen, wie er es despektierlicherweise bei sich nannte, kannte Nievern an der erlauchten Dame gar wohl. Während er sich in heißer innerer Unruhe, in Sorge um Polyxene verzehrte, erfolgte von seiten der Pfalzgräfin nicht das Geringste. Der Jesuitenpater, glatt wie ein Aal, war ihm auch schon ein paarmal entschlüpft, wenn er ihn zu fassen gemeint hatte – es war zum Tollwerden! Zwei Tage vergingen ihm auf diese Weise ungenützt. Denn wenn es auch ein nothwendiger Schritt war, so konnte es doch kaum als eine Förderung seiner Angelegenheit angesehen werden, daß er inzwischen die Zustimmung des Vormundes, des Herrn von Gouda, zu einer Verbindung mit dessen Mündel erlangt hatte. Der Oberst hatte nicht ohne einiges Staunen die Entschließung des Landforstmeisters erfahren, welche ihn dieser gut zu heißen bat, sich dann aber vernehmen lassen: „Ich nenne Euch einen Mann von Ehre, von Herz und Muth, mein Herr Oberjägermeister. Und nun möge Euch nicht die Bundesgenossenschaft der Fortuna, des guten Glückes, mangeln, denn die braucht Ihr!“

Von ihm hörte Nievern ferner, daß er, der Herr Oberst, auch nicht müßig gewesen. Er habe sich an die Obervormundschaftsbehörde gewandt und dort sich beklagt über das Zurückbehalten seines Mündels im Kloster. Worauf ihm der Bescheid geworden, daß man in der Sache inquirieren werde. Ebendieselbe Behörde aber scheine plötzlich von einem lebhafteren Eifer in Betreff des anderen Mündels des Obersten, des Junkers Ludwig, dessen räthselhaftes Verschwinden ihr doch längst angezeigt gewesen, erfaßt zu werden. Sie habe aufs neue Auskunft verlangt über den in Dunkel gehüllten Vorfall. Und nicht zufrieden mit der von dem Herrn von Gouda schriftlich gegebenen Auskunft, hatte sie eine Kommission nach der Herrenmühle entsandt, welche an Ort und Stelle Erkundigungen einziehen sollte. Gestern waren die Herren dagewesen. Sie hatten mit undurchdringlichen Amtsmienen ein Protokoll aufnehmen lassen und außer einer langen Reihe von Fragen nichts von sich gegeben.

Nievern horchte auf mit leicht zusammengezogenen Brauen, während der Oberst dies erzählte. „Daß man sie vor ein weltliches Gericht bringe, war das letzte, was meine arme Polyxene jüngst verlangte. Vielleicht wird jetzt dafür gethan,“ sagte er düster.

„Die Schmach für den Namen wäre groß,“ murmelte unzufrieden der Oberst. Und dann wieder, in seinem gewöhnlichen gleichmüthigen Tone: „Und wenn ich dagegen thäte, indem ich mich ihnen stellte, als ungetreuer Vormund, der auf den Lutz besser hätte acht geben sollen oder der ihm gar am Ende selber hinübergeholfen hat, um sich mit seinem Gute zu bereichern, oder was weiß ich – viel wäre damit auch nicht gebessert für Polyxene. Der üble Wille könnte immer noch sagen, wir hätten zusammen unter einer Decke gesteckt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_502.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)