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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Wohl hat es anfangs in dem Lande, welches der Einführung der kirchlichen Inquisition allezeit zähen Widerstand entgegensetzte, nicht an ruhig denkenden Männern gefehlt, welche auch dem Zauberer- und Hexenwesen mit ihren Zweifeln entgegentraten, aber ihre vereinzelten und nur gelegentlich laut werdenden Stimmen verhallten in dem Sturme der leidenschaftlichen Erregung, der das für abergläubische Vorstellungen leicht zugängliche Volk beherrschte. Und als dann gar der eifrig gehegte Wahn in einem im Auftrage des Papstthums verfaßten Buche, dem berüchtigten „Hexenhammer“, eine genaue Formulierung und mit grausamer Folgerichtigkeit durchgeführte Behandlung erfahren hatte, die mit peinlichster Genauigkeit alle die schrecklichen Vergehungen der Zauberer und Hexen in das hellste und verderblichste Licht stellte, da hatte die Sache eine so feste und für jeden „gläubigen“ Christen bindende Gestalt angenommen, daß selbst der Sturm religiöser Reinigung, den die Reformation anfachte, nichts dagegen auszurichten vermochte. Und wie hätte er es auch sollen? Konnten sich doch, wie angedeutet, die Reformatoren selbst vor dem Wahne, den man wohl als eine „Krankheit“ jener Zeit bezeichnet hat, nicht befreien! Mochte der dogmatische Gegensatz zwischen den Anhängern der neuen und der alten Lehre sich auch im Laufe der Entwicklung immer schroffer und schroffer gestalten, in diesem [e]inen Punkte waren die feindlichen Parteien vollkommen einig. Die Hexe wurde verbrannt, gleichviel, ob ihre Richter Protestanten oder Katholiken waren. Je tiefer aber der Wahn sich in dem allgemeinen Bewußtsein des Volkes festsetzte, um so schwieriger wurde es, gegen denselben anzukämpfen, weil jeder, der es wagte, gegen den gewaltigen Strom zu schwimmen, alsbald selbst in den Verdacht kam, mit den Zauberern und Hexen im Bunde zu stehen, oder gar selbst zu ihnen zu gehören. So gewann der Wahn immer unbeschränktere und freiere Bahn, seine verderbliche Wirkung in allen Gauen des deutschen Vaterlandes zu entfalten. Erst die neuere geschichtliche Forschung, die sich mit Eifer dieser ebenso traurigen wie fesselnden Erscheinung der Vergangenheit zuwandte, hat uns von dem Umfange, den die furchtbaren Verfolgungen der Hexen und Zauberer auf dem Höhepunkte ihrer Entwicklung angenommen haben, eine einigermaßen erschöpfende Vorstellung gegeben und gezeigt, daß in der That fast unzählbare Unglückliche in den Flammen des Scheiterhaufens einen qualvollen Martertod gefunden haben. Man stellte fest, daß allein in Genf in drei Monaten 300 Personen, in Quedlinburg im Jahre 1599 an einem Tage 133, in Bamberg und Würzburg in wenigen Jahren 900 Personen hingerichtet wurden!

Ueber viele der Prozesse, welche zu diesen Hinrichtungen führten, besitzen wir nicht nur kurze geschichtliche Angaben, sondern die vollständigen Prozeßakten, welche mit aller wünschenswerthen Genauigkeit über Einleitung und Verfahren der haarsträubenden Justiz, welcher die Unglücklichen unterworfen wurden, Aufschluß geben. Denn alles bewegte sich in scheinbar völlig geregelten und geordneten Bahnen. An dem Dasein von Hexen und Zauberern, an der Wahrheit der gegen sie vorgebrachten Beschuldigungen zweifelten die Richter ebenso wenig wie das übrige Volk. Mit größtem Erstaunen findet man in den Prozeßakten die genauesten Angaben über alle die Dinge, welche man den Angeklagten schuld gab und die thatsächlich natürlich niemals geschehen sein können. Die Aussagen der Zeugen beschränken sich nicht etwa darauf, festzustellen, daß der oder die Angeklagte ein Zauberer oder eine Hexe sei; sie berichten vielmehr mit der größten Ausführlichkeit, wie die Hexe durch den Schornstein gefahren, wie sie auf einem Besen durch die Luft geritten sei, wie sie im Verein mit dem Teufel und anderen Hexen die abscheulichsten Orgien gefeiert habe u. dgl. m. Gerade diese eingehenden Aussagen mußten der Forschung natürlich als das Unbegreiflichste erscheinen, ebenso unbegreiflich wie die Thatsache, daß die Richter auf eine bloße Denunziation hin einschritten und noch dazu dem Angeber volle Geheimhaltung zusicherten. Anfangs versuchte man sich diese Sachlage aus zwei Ursachen zu erklären: einmal aus dem Streben der Kirche, sich unbequemer Ketzer, welchen man nach dem siegreichen Durchdringen der kirchlichen Reformation des 16. Jahrhunderts nicht mehr wegen ihrer religiösen Ueberzeugungen beikommen konnte, durch die populärere Anklage der Hexerei und Zauberei zu entledigen, welche auch bei den Protestanten gläubiges und williges Gehör fand; dann aber aus der Habsucht der Angeber und Richter, welche dadurch angeregt wurde, daß das Vermögen der Verurtheilten in Beschlag genommen wurde und zu einem nicht unbedeutenden Theile jenen zufiel. Für das häufige Vorkommen des letzteren Beweggrundes schien namentlich der Umstand zu sprechen, daß die Veurtheilten zumeist nicht den völlig unbemittelten, sondern den wohlhabenderen Schichten des Volkes angehörten.

Aber es liegt auf der Hand, daß diese Gründe doch nur in vereinzelten Ausnahmefällen zur Erklärung dienen konnten, man hätte denn eben alle Angeber und Richter, die während dreier Jahrhunderte in diesen traurigen Prozessen eine Rolle gespielt haben, für bewußte und schurkische Betrüger erklären müssen. Völlig unerklärlich aber blieb auch in jenen Fällen, in denen man betrügerische Beweggründe annehmen zu dürfen glaubte, die Thatsache, daß die Angeklagten selbst alle das, was man ihnen vorwarf, zugaben und die eingehendsten Geständnisse über ihren Verkehr mit dem Teufel ablegten, welche uns unendlich komisch anmuthen würden, wenn sie nicht so entsetzlich traurig wären.

Gerade über diese letzte scheinbar unverständlichste Frage kam dann freilich die kritische Forschung unserer Tage am schnellsten ins klare, je umfassender das Material wurde, welches in ihren Gesichtskreis trat, und je mehr sie infolgedessen aus den vielen einzelnen Fällen das System erkennen konnte, nach welchem hierbei verfahren wurde. Man fand da in den Prozeßakten, daß die „Geständnisse“ der Angeklagten nicht die während des Verhörs aufgezeichneten Berichte über ihre „Hexerei“ nach deren eigenen freiwilligen Erzählungen enthielten, daß der Inhalt der einzelnen Aussagen vielmehr bereits vor dem Beginn des Verfahrens aufgezeichnet war und dann von dem Angeschuldigten nur durch ein „Ja“ als wahr bezeichnet wurde. Dieses „Ja“ aber erfolgte nicht freiwillig, sondern in fast allen Prozessen erst nach Anwendung der Folterwerkzeuge mit allen ihren endlosen Qualen, mit deren Schilderung wir den Leser nicht ermüden wollen. Wer in unseren Museen und Alterthumssammlungen sich einmal eine klare Vorstellung von den namenlosen Martern gemacht hat, welche diese Werkzeuge, die schrecklichsten Ausgeburten der erfinderischen menschlichen Grausamkeit, den armen Opfern auferlegten, der wird es begreiflich finden, daß die Angeklagten nach dem zweiten oder dritten Grade der Folter, schon mehr tot als lebendig, zu jedem Geständnisse bereit waren, wiewohl sie mit Bestimmtheit wußten, daß ein Geständniß den Tod auf dem Scheiterhaufen zur Folge hatte. Selbst dieser Tod mußte ihnen als eine Erlösung erscheinen gegenüber den namenlosen Qualen der Folter.

Sobald man also über die Art, wie jene Selbstgeständnisse zustande kamen, im klaren ist, schwinden diese aus der Reihe der psychologischen Räthsel; nur die genauen Angaben der Denunzianten bez. Zeugen, unter denen merkwürdig oft auch unmündige Kinder vorkommen, stellen der Erklärung noch immer fast unübersteigliche Hindernisse entgegen. Man kann nur annehmen, daß ein dem Wahnsinn ähnlicher Fanatismus ihre Phantasie so fruchtbar gemacht habe, oder daß sie von religiösen Fanatikern als Werkzeuge benutzt worden seien. Und in der That ist diese einzig mögliche Erklärung auch die richtige, d. h. also, eine große Anzahl der Fälle wird in das Gebiet der geistigen Störungen zu verweisen sein, ähnlich wie die verwandten Erscheinungen des religiösen Fanatismus im Mittelalter, Tanzwuth u. a. m., von denen sich der Hexenwahn des 15. bis 18. Jahrhunderts nur durch die ungleich größere Ausdehnung und die ungleich größere Zahl seiner unglücklichen Opfer unterscheidet.

Vor allem aber muß die lange Zeitdauer, in welcher sich der unselige Irrwahn erhielt, befremden, muß es befremden, daß selbst das Jahrhundert der Aufklärung nur langsam und allmählich den unheimlichen Gast zu verdrängen vermochte. Ja, die Ereignisse der letzten Zeit haben uns gelehrt, daß er heute noch nicht einmal aus unserem eigenen Vaterland verschwunden ist. Kaum vermag man sich es heute noch vorzustellen, daß es noch nicht viel über ein Jahrhundert her ist, daß die letzte Hexenverbrennung in Würzburg stattgefunden hat (1769), welche dann noch am Ende des 18. Jahrhunderts ein trauriges Nachspiel in Polen fand. Um so wunderbarer muß das erscheinen, als es doch schon in der Zeit, in welcher der Hexenwahn in seiner höchsten Blüthe stand, nicht an vereinzelten Stimmen gefehlt hat, welche sich, nicht zwar gegen die Möglichkeit von Zauberern und Hexen überhaupt, wohl aber gegen deren grausame Verhetzung und Hinrichtung nachdrücklich ausgesprochen haben. Ihre Stimmen verhallten wie die des Predigers in der Wüste; trotz des kräftigen und von echt menschenfreundlicher Begeisterung getragenen Einspruches, der von ihnen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_523.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)