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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Stolz nicht!“ erklärte er kühl, „‚Sie ist reich, und ich bin arm; schon das allein verschließt mir den Mund – ewig den Mund,‘ hat er gesagt.“

„Dann ist ihm freilich nicht zu helfen!“ versetzte sie und lachte. Das war das alte verschleierte und doch so herzliche Lachen! Der Fall Leisewitz ist abgethan, dachte der Vater erfreut.

Als bald darauf der Hausfreund erschien, saß Emma auf dem Sofa und beugte nach kurzem Gruße den Kopf wieder über ihre Stickerei. „Was?“ sagte Lenz, „bekomme ich heute nicht die Hand, Fräulein Emma?“

Sic blickte ihn aus tiefen Augen an, dann erhob sie sich rasch. „Ihnen ist heute Angenehmes begegnet!“

„So, sieht man mir’s an?“ rief er fröhlich, „Nun ja, ich habe eine neue Arbeit vollendet.“

„O, davon weiß ich ja gar nichts!“

„Glaubten Sie denn, daß ich müßig ginge? Aber ich verrathe nicht mehr, denn diesmal – zweite gute Nachricht – diesmal habe ich sichere Hoffnung, daß mein Werk aufgeführt wird.“

„Das erzählst Du uns, wenn wir vom ,Artushof‘ zurückkommen,“ fiel Hagemann ein. „Wenn wir nachher bequem sitzen wollen, müssen wir jetzt gehen.“

„Ihr Glück freut mich, freut mich unendlich!“ sagte Emma und gab Robert beide Hände. Welch wohlige Wärme durchströmte ihn bei ihrem Druck! Und wie schön war sie! Er bildete sich ein, heute einen neuen Zauber an ihr zu sehen. Und am Ende war es keine Einbildung! So strahlend waren ihre Augen, so lockend der rothe Mund! Wenn er sie jetzt ans Herz zöge, wenn er diese Lippen küßte – –

„Bitte, hilf mir in meinen Pelz, Emma!“

Sie ließen die Hände los und sprangen beide dem Vater zu Hilfe. „Wirst Du lange ausbleiben, lieber Vater?“

„In einer Stunde sind wir wieder da! Die Signora unten könnte uns dann noch einen Eierpunsch heraufschicken, und – wir lassen unseren Tondichter leben. Wie heißt denn die neue Oper?“

„Es ist keine Oper, sondern eine Symphonie.“

„So, so!“

„Sie wird herrlich sein!“ rief Emma. „Heute sind Sie wohl sehr glücklich?“ setzte sie leiser hinzu.

„Ach, um glücklich zu sein, fehlt mir viel. Ich bin kein Kopfhänger – das ist alles.“

„Das ist die Hauptsache!“ sagte Hagemann und zog Robert mit sich fort. –

Als Hagemann um Elf ohne Lenz nach Hause kam, trat ihm Emma vom Fenster entgegen. „Du bist noch auf?“ rief er. „Also hat Lenz doch recht gehabt; er wollte Deinen Schatten am Fenster sehen. Nun bist Du wohl übler Laune? Aber dieser Tondichter war nicht fortzubringen.“

„Ich bin ganz und gar nicht übler Laune – auch wenn Du Deine eigene Seßhaftigkeit dem armen Lenz aufbürdest.“

Hagemann schmunzelte. „Nun, die Wahrheit ist, ich wurde großartig empfangen – kurz und gut, wir trinken morgen erst den Eierpunsch. Und Du sollst in Zukunft nicht mehr so allein sein; wir sehen uns nach einer Gesellschafterin um.“

„Nein, nein, nein! Ich habe ganz andere Pläne!“

„Du siehst ja heute merkwürdig unternehmungslustig aus!“

„Froh bin ich, froh! Ich habe hin- und hergedacht, wie Lenz zu helfen ist!“ Sie lachte und schmiegte sich an Hagemann. „O, Vater, ich bin ganz und gar nicht übler Laune und glaube, ich werde nie mehr schwermüthig sein!“


Die Stadt unter einem stahlblauen Winterhimmel war festlich geschmückt. Von allen Thürmen und Häusern wehten Fahnen. Es wimmelte in allen Straßen und Gassen; überall klang Musik. Es schien keine Unglücklichen und Leidenden mehr zu geben. Die langwierigen Verhandlungen der Mächte hatten nun doch zum besten Ende geführt, zum Frieden. Es fügte sich, daß just am Tage des endgültigen Abschlusses ein Konzert im „Artushof“ stattfinden sollte, dessen erste Nummer, das Werk eines bisher unbekannten Tondichters Robert Lenz, den schönen Titel „Friedens-Symphonie“ führte.

Der Fürst war von Doktor Walter an den Schützling der Prinzessin erinnert worden. An eine Aufführung der Oper konnte man nicht denken, man hatte noch keinen Ersatz für Leisewitz, der unterdessen in New-York mit Pauken und Trompeten empfangen worden war. So wurde denn ein Konzert der Hofkapelle veranstaltet und das jüngste Werk des Tondichters, die „Friedens-Symphonie“, dazu einstudiert.

Kurz vor der Aufführung ging Lenz zu den Freunden. Emma war schon im Mantel, sie drückte Robert aufgeregt die Hand und war ängstlich bei aller Freude, ihm aber gab ihr Anblick Muth. Hagemann war beinahe ebenso aufgeregt wie seine Tochter; er hatte alle seine Freunde aufgeboten, und dennoch bangte er für den Ausgang. „Eine Symphonie,“ hatte er zu seiner Tochter gesagt, „weißt Du, eine Symphonie ist Kaviar für das Volk!“ Er lief im Zimmer aus und ein, trank sich in der Weinstube unten Muth, empfing von Freunden drüben Botschaften und schickte Botschaften hinüber. „Der Saal ist ausverkauft!“ rief er durch die Thüre den beiden zu. „Glänzende Gesellschaft!“

„Und nun,“ sagte Robert Lenz zu Emma, „bitte ich um Gerechtigkeit! Sie haben mir während der ersten leidvollen Tage einen schweren Vorwurf gemacht. Weil ich die Ablehnung meiner Oper gelassen ertrug, warfen Sie mir Gleichgültigkeit, Kälte, Mangel an Ehrgeiz vor. Liebste Freundin, ich steckte damals bereits tief in einer neuen Arbeit, wie konnte ich da über alte Geschichten unglücklich sein! Unglücklich war ich nur, weil ich Sie leiden sah, und meine Arbeit gab mir auch dafür Trost. Mir war, als müßten Sie in Ihren schlaflosen Nächten hören, was meine Seele sang, als müßte meine Musik Ihnen Genesung bringen!“

Emma sah gerührt und bewundernd zugleich in das männliche, geistig verschönte Gesicht ihres Freundes; ihr fiel ein Satz ein, den sie jüngst gelesen hatte: „Das Veilchen unter dem Gras, die Nachtigall im Gebüsch, die Tugend, die sich verbirgt, das Genie, das auf seine Stunde wartet – vier herrliche Dinge.“ Gewiß, seine Stunde wird kommen, aber wann? Wie viele Enttäuschungen, welche Kämpfe mögen ihn vorher noch erwarten! Vielleicht ergeht’s ihm wie seinem Helden, dem unglücklichen Tasso – man bekränzt den Sterbenden! Wer ihm sein Ringen erleichtern, den Sieg beschleunigen könnte! Wie viel tiefer war diese Natur, wie viel selbstloser als die jenes Treulosen – und wie viel schwerer wurde ihm der Erfolg gemacht! Ihr Blick streifte wieder sein Gesicht. Ja, sein Gemüth war unendlich reicher und tiefer als das des Sängers – er liebte und sehnte sich nach Liebe! Sie seufzte, daß sie das jetzt erst erkannte. Aber konnte sie, durfte sie ihn ermuthigen? Doch warum sollte sie nicht dürfen, warum sollte das häßliche Ende ihres Liebestraums der Inhalt ihres Daseins bleiben?

Emma erschrak nicht über diese Frage. Sie hatte Siegfried geliebt – ach, was hatte sie seinetwillen gelitten! – aber über dem Leid war sie genesen; die Welt leuchtete ihr wieder, und ihr dünkte, nie schöner als heute. Sie hatte ein zärtliches Wort auf den Lippen, doch da steckte Hagemann den Kopf herein. „Minister, Generäle, alle sind an Bord – los!“

„Sie antworten mir nicht,“ sagte Robert, „vielleicht scheine ich Ihnen wiederum zu gelassen. Doch gelassen ist nicht das rechte Wort – nach all dem Kampf und Leid ergebe ich mich in mein Schicksal. Wie heiter Sie blicken, Fräulein Emma, ich nehme es als gute Vorbedeutung. Aber wie auch die Würfel fallen, ich bin zufrieden, denn die Welt und Sie, die Sie meine Welt sind, haben den Frieden!“

*  *  *

Die letzten Takte der Symphonie waren verhallt. Es war, wie jeder bekannte, ein schönes Werk, wie manche fühlten, das Werk eines edlen großen Künstlers. Der laute Beifall war verrauscht, da tönte in die Unruhe ein tiefer Glockenton und tiefe Stille trat ein: vom Rathhaus läutete die Glocke „Friede, Friede!“

Die Frauen schluchzten, Unbekannte umarmten sich. Da ging eine schlanke Mädchengestalt auf den gefeierten Komponisten zu, der auf der Bühne stand und dankbar, verzückt wer weiß was für neuen Klängen lauschte. „Herr Lenz – Robert!“

Und wenn er im siebenten Himmel jetzt bei Engelchören geschwelgt hatte, die Musik dieser Stimme rief ihn zurück.

Emma legte ihre Hand in die seine.

„Robert,“ sagte sie, „mein Freund, mein Geliebter – ich weiß, wir werden miteinander glücklich sein.“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_547.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2022)