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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 33.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



„Um meinetwillen!“

Novelle von Marie Bernhard.
1.

Die verwitwete Generalin von Guttenberg, Excellenz, saß ganz allein in ihrem Wohnzimmer und strickte an einem Wohlthätigkeitskamisol. Sie wunderte sich darüber, daß sie da so ganz allein saß; denn die alte Dame bekam sehr viel Besuch, sie hatte einen ungewöhnlich großen Umgangskreis, und jedes Mitglied desselben verwöhnte sie durch Rücksichten und Aufmerksamkeiten aller Art. Mein Gott, die alte Excellenz! Der mußte man schon ein wenig den Hof machen – sie war so sehr reich, so sehr wohlthätig, gab so prachtvolle Gesellschaften, war gastfrei über die Maßen und hatte eine ganz reizende Enkeltochter! War’s ein Wunder, daß die gute, die beste Gesellschaft der mitteldeutschen Garnisonstadt B. so viele schätzenswerthe Eigenschaften auch anerkannte und über manche kleine Marotte ein Auge zudrückte? Es war ja ein bißchen komisch, wie weit die alte Dame in ihrer Vorliebe für das Militär ging, wie sie eigentlich ihren ganzen Verkehr nur dort suchte und Leute vom Civil in ihrem Hause mehr nur duldete, wie sie emsig die Rang- und Quartierliste studierte, überall Bescheid wußte und von ihren „Adjutanten“ verlangte, daß sie ihr von jeder Versetzung, jeder Beförderung, jedem Abschied oder „Wink von oben“ sofort Rapport abstatten sollten … aber man mußte es ihr verzeihen! Der ganze Staat hatte kaum noch eine so durch und durch militärische Familie aufzuweisen wie die der Generalin von Guttenberg. Ihr Vater war ein hoher Offizier gewesen, seine Vorfahren hatten samt und sonders des Königs Rock getragen, ebenso wie seine Söhne, die frühverstorbenen Brüder der Excellenz – und bei den Guttenbergs war es ähnlich gewesen. Was wunder also, wenn es auch jetzt im Hause der Witwe tagüber fast nur von Säbeln rasselte und von Sporen klirrte und wenn die willkommenen Gäste dem Militärfanatismus der Excellenz willig Rechnung trugen! Daß die Enkelin die Ueberlieferung des Hauses Guttenberg nicht Lügen strafen und nur einen Offizier heirathen durfte, stand bei allen fest, welche die Verhältnisse nur einigermaßen kannten, und seit kurzer Zeit glaubte „man“ auch bereits zu wissen, wer der Auserkorene sei, der den beneidenswerthen Posten eines „allerersten Adjutanten“ der Generalin und des Gatten ihrer Enkeltochter zu erhoffen habe

Inzwischen saß nun aber die alte Dame immer noch in aufrechter, ehrfurchtgebietender Haltung auf ihrem Sofa und strickte an ihrem Kamisol. Sie hätte sich dabei recht gut unterhalten können – aber es war niemand dazu da.

Die Generalin schüttelte mißbilligend den Kopf, legte die Strickerei beiseite und schraubte an der Lampe. Es wurde nun heller in dem großen Raum mit den glänzenden Mahagonimöbeln, die methodisch aufgereiht an den Wänden umherstanden. Die Excellenz setzte einen Trumpf darauf, daß sie sich jeden Luxus der neuesten Mode gönnen könnte und es dennoch nicht thue. Nichts von Erkern, Butzenscheiben, schräg gerückten Causeusen und Eichenschnitzerei! „Meine Eltern haben mir diese Möbel als Ausstattung mitgegeben, und damals galten sie für schön; mein seliger Mann hat gern auf den Stühlen und Sofas gesessen, und meine Gäste können dasselbe thun. Wem es nicht elegant genug bei mir aussieht, der kann da bleiben, wo er ist!“ Die geräumigen Zimmer mit den blumigen Tapeten und den alten Bildern an den Wänden schreckten aber niemand zurück, die Jugend fand im Gegentheil, es lasse sich bei der Generalin vortrefflich tanzen.

Strandidylle.
Nach einem Gemälde von C. Bellanger.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_549.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)