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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

hält keiner den Vergleich aus. Es ist wahr, er hat meine Kleine erst in letzter Zeit ausgezeichnet, eine Zeitlang hat er der Erna von Torsten stark den Hos gemacht – nun, das war der helle Wahnsinn, die Erna ist ja blutarm, eine von sechs Schwestern, der Vater pensionierter Major, und zwei Söhne – lächerlich! Ein schönes Mädchen sonst, und nichts gegen sie zu sagen! Steinhausen hat sich da vielleicht etwas fortreißen lassen, aber wie man mir von glaubwürdiger Seite berichtet hat und ich auch mit eigenen Augen gesehen habe . . . seit einiger Zeit ist das abgethan, und er wirbt mit einem Eifer, mit einer Hingabe um Annaliese . . . wirklich, ein reizender Mensch, ich würde ihm die Kleine gern geben. Aber es muß da irgend etwas dazwischen gekommen sein – früher sprach sie gern von Steinhausen, es gefiel ihr, wenn ich ihn lobte, sie stimmte mit ein; jetzt, sobald ich seinen Namen nenne, bricht sie kurz ab, und es ist ihr offenbar unangenehm, daß sie bei dem Polterabend der kleinen Wilma Frankenheim – sie heirathet ihren Vetter, den Frankenheim bei den blauen Husaren, die früher in Mainz standen – ja, daß sie also bei diesem Polterabend mit Steinhausen die Hauptrollen hat. Er dichtet und arrangiert die ganze Geschichte, und natürlich hat er es so einzurichten gewußt, daß er bei all den Aufführungen von Annaliese beinahe unzertrennlich ist. Anfangs war sie damit sehr einverstanden, jetzt scheint es ihr zuwider zu sein – aus welchen Gründen, mag Gott wissen!“

„Hat Ihre Enkelin kein Vertrauen zu Ihnen, Tante?“

„Gott, lieber Paul, Du hast doch auch keine Ahnung von jungen Mädchen, keine Spur von Verständniß! Wie wird denn ein dummes kleines Geschöpf von kaum zwanzig Jahren eine alte Frau von siebenundsechzig zu ihrer Vertrauten machen? Fällt ihr ja nicht im Traum ein! Sie würde eher mit jedem beliebigen anderen darüber sprechen als mit mir!“

„Wenn Sie Annaliese von ihrer frühesten Kindheit an gewöhnt hätten, alles mit Ihnen zu theilen, wenn Sie sich in ihre Anschauungen hineingelebt hätten, wäre es ganz und gar nicht unmöglich, daß sie Ihnen offen ihre Gedanken sagen würde.“

„Du bist als Professor der alten Sprachen ohne Zweifel ganz an Deinem Platz, lieber Neffe, man hört ja nur Gutes von Dir, wenn man sich nach Dir erkundigt – aber, ich muß wiederholen: was junge Mädchen betrifft – nein, ist das nun wieder eine Idee von Dir! Ich hätte mich in die Anschauungen eines siebenjährigen Kindes hineinleben sollen, denn so alt war Annaliese, als sie zu mir ins Haus kam! Wie sollte ich denn das angreifen?“

„Wenn Sie es nicht wissen, liebe Tante, kann ich es Ihnen nicht sagen – aber darf ich wohl fragen, warum Sie mir all diese Eröffnungen machen, wenn Sie doch meiner Kenntniß der Verhältnisse und meinem Verständniß dafür so ganz mißtrauen?“

„Himmel, ich wollte es mir vom Herzen herunter reden, und ich sagte Dir ja schon, mit meinen Offizieren kann ich das unmöglich besprechen; die sehen die Kleine immer mit Steinhausen zusammen, und es wäre des Beobachtens und Spionierens kein Ende, abgesehen davon, das die Männer immer indiskret und plauderhaft sind.“

„Sollte das nicht eine ganz neue Behauptung sein?“

Mir ist sie nicht neu, ich spreche aus Erfahrung.“

„Und ich soll eine schmeichelhafte Ausnahme bilden?“

„In diesem Fall, ja! Du bist in keiner Weise persönlich betheiligt, Du gehörst nicht zu den Anbetern der Kleinen und willst gar nichts von ihr haben, daher bist Du unbefangen . . . fährt nicht ein Wagen vor? Das wird sie sein! Wundere Dich nicht, sie ist im Zigeunerkostüm, es ist heute Generalprobe zu dem Polterabend gewesen. Acht Paare bilden ein Zigeunerlager, singen aus ‚Preciosa‘, führen einen phantastischen Tanz auf, dann tritt eins von den jungen Mädchen – eben Annaliese – an die Braut heran und wahrsagt ihr aus der offenen Hand. Alles Steinhausens Idee, er hat auch das Gedicht verfaßt – ganz reizend, sage ich Dir! Ja ja, das ist die Kleine! Sitz’ still, Paul, beobachte sie, frag’ sie, wenn Du kannst, unbefangen aus über Steinhausen – ich hoffe, ich kann Euch nachher allein lassen –“

Die letzten Sätze sprach die Generalin hastig; mit halber Stimme, die Augen gespannt nach der Thür gerichtet, die in den Gang führte. Der Professor war unruhig auf seinem Sessel hin- und hergerückt, ihm war nicht behaglich zu Muth. Was sollte ihm das? Wenn er es nicht verstand, junge Mädchen zu beurtheilen – und er glaubte das der Tante aufs Wort – warum zog sie ihn denn bei einer Gelegenheit, wie diese es war, heran? Das Gebiet war ihm fremd, der Gegenstand interessierte ihn nicht, er wünschte, er säße zu Hause bei seinen Büchern.

Inzwischen hörte man im Gang einen lauten Schlag auf ein Tamburin und feines Schellenklingen, dazu eine lachende Mädchenstimme.

Dann flog die Thür auf.


2.

Professor Gregory kam viel schneller von seinem Sitz in die Höhe, als er beabsichtigt hatte, er sprang geradezu auf, Das war denn doch ein ganz eigenartiges lebendes Bild.

In ihrem blitzenden funkelnden Gewand, aus schweren Seidenstoffen und Stickereien zusammengesetzt und reich mit Steinen und Flittern übersät, stand das junge Mädchen einen Augenblick im Rahmen der Thür. Die Bezeichnung „Kleine“ stimmte nicht zu der hochgewachsenen, ein wenig schmächtigen Gestalt, und doch hatte Annaliese von Guttenberg ein Kindergesicht – ein elfenbein- blasses süßes Gesichtchen war’s, mit großen, länglich geschnittenen Augen von unbestimmt schillernder Farbe und einem üppigen Mund, der sehr übermüthig lächeln konnte, wie eben jetzt. Eine feine Stirn, ein kurzes Näschen und dunkles Haar – alles in allem ein Typus, der an Gesichter erinnert, wie Gabriel Max sie zu malen liebt.

Wenn die Generalin davon gesprochen hatte, die Stimmung ihrer Enkelin wechsle zwischen großer Apathie und fieberhafter Ausgelassenheit, so sah man auf den ersten Blick: heute herrschte die letztere vor! An dem jungen Geschöpf sprühte alles, die Augen lachten mit den weißen Zähnchen um die Wette, und der Anblick des Professors schien diese Lustigkeit noch zu steigern.

„Mein Herr Gevatter, gewiß und wahrhaftig! Es geschehen Zeichen und Wunder! Was bedeutet unserem armen Hause diese seltene und unerwartete Ehre? Darf die arme Zingarella sich die Freiheit nehmen, dem hohen Gast die Zukunft zu weissagen?“ Sie glitt mit demüthig gesenkten Augen, die Hände über der Brust gekreuzt, ins Zimmer und blieb vor dem Professor stehen, der das reizende Geschöpf mit offenkundigem Wohlgefallen ansah. Der Tausend, Steinhaufen, oder wer es sonst war, hatte Glück! Mochte sie nun launisch oder verwöhnt oder kokett sein . . . bildhübsch war sie auf alle Fälle!

„Ach, Kleine, nun laß Deine Faxen sein – setz’ Dich noch ein Weilchen zu uns, bevor Du Dich umkleidest, und erzähl’, wie es gewesen ist!“

Die alte Excellenz rief das halb ermahnend, halb lachend – ihr Blick weidete sich auch an dem liebreizenden Wesen.

„Liebe Excellenz-Großmama, wie soll’s denn gewesen sein? Immer derselbe Zauber! ‚Himmlisch, entzückend – Annaliese, Du siehst zum Küssen aus!‘ – ,Mein guädigstes Fräulein, Sie überstrahlen wieder einmal alle!‘ – ‚Gnädigste Baroneß sprechen die Verse weitaus am besten!‘ – ‚Fräulein von Guttenberg führt ihre Pas am graziösesten aus!‘ – ‚Das herrlichste Kostüm ist doch wieder das Ihrige‘ – ach Gott, genug, genug, ich hab’s satt bis hier!“ Sie fuhr rasch mit dem Zeigefinger an den weißen Hals. „Und dazu nichts zu essen, nichts, nichts!“ fuhr sie in kläglichem Ton fort und machte die Augen weit auf, wie jemand, der mit Gewalt etwas entdecken möchte; „Horndorffs, bei denen die Probe war, haben so viele schöne Sachen und Bilder – ach, und Meißener Porzellan und Silber und Majolikaschalen, und nichts zu essen drauf, nicht das kleinste Schinkenbrötchen, nicht die dünnste Theewaffel – und uns hat gehungert, gehungert! Einer hat immer heimlich den anderen gefragt, ob er denn nicht zufällig was zu essen mit hätte, und wie der kleine Hansi von Stumpf zwei kleine Chokoladetäfelchen in seinem Ueberrock entdeckt hat, da haben wir uns fast geprügelt um die zwei Täfelchen und haben den kleinen Hansi beinahe zerrissen. Und wie’s dann noch ans Tanzen ging, und es kam immerfort noch nichts zu essen, da sind wir alle so hoch gesprungen vor Hunger!“

„Annaliese!“ rief die Generalin ermahnend.

’s ist doch wahr, Großmamachen! Und der Ballettmeister hat uns so gelobt und hat gesagt, ’s wär’ eine Verve diesmal in unserem Tanz und ein Schwung wie noch nie! Hat gut reden! Federleicht waren wir schon, und mit dem leeren Magen ist gut springen – wie ein Gummiball!“

„So laß Dir doch die Kanapé etwas zu essen besorgen!“

„Ist schon bestellt! Was denkst Du denn? Ich hab’ statt ‚Guten Abend‘ zur Kanapé ‚Butterbrot‘ gesagt!“ Sie ließ sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_552.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2022)