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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

von ihm weichen. Die drei Tage waren lang, seit er Polyxene mit dem Bräutigamskusse verlassen hatte – doch wieder verlassen in ihrer Oede! Ach, daß er damals ohne sie ging! Die Last ihres Jammers war zu schwer gewesen vorher; spät, zu spät war er gekommen und flüchtig nur war seine Erscheinung, unglaubwürdig vielleicht für sie seine Verheißung der Rettung gewesen! Wie, wenn sie nach seinem Verschwinden doch noch zusammemgebrochen wäre?

Dem Herrn von Nievern drohte bei dieser Vorstellung das Herz stille zu stehen und er riß das Kollett auf, wie nach Luft ringend. So war es, gewiß – sein süßes Lieb war erkrankt und daher die Angst um sie, die ihm die Kehle zuschnürte. Aber Kranke können gesunden; sie gesunden meist, wenn kräftige reine Jugend der Natur hilft. Und wie sollte diese holde, diese unsäglich rührende Leidensgestalt gehegt werden! Nievern merkte plötzlich, wie sein Blick sich trübte bei diesen Gedanken. Seine Augen waren feucht geworden; bei Gott, zum ersten Male wieder, seit er als Knabe an den Knien seiner Mutter gestanden!




26.

In dem Kloster der Ursulinerinnen ging es an eben jenem Tage vom frühen Morgen an nicht so stille zu wie sonst; eine verhaltene Unruhe, ein gedämpftes Hin und Her, hastiges Flüstern, erregte Mienen, hier offen, dort verkniffen, kaum verhehlter Triumph und hier und da etwas ehrliche Trauer waren an der Tagesordnung. Denn mit dem Asthma der Frau Aebtissin hatte es ganz plötzlich eine ernste Wendung genommen; sie lag schon den ganzen Tag im Sterben. Doch war vorauszusehen, daß Leib und Seele sich in diesem Falle nicht allzu leicht scheiden und der Todeskampf der armen Frau lang sein werde. Für die Nonnen aber war sie schon so gut wie tot. Einige wenige bedauerten sie und schickten sich an, sie zu betrauern; es waren die, welche Person und Umstände von jeder Hoffnung auf den Platz, der da frei werden sollte, und von jedem Einfluß auf dessen Besetzung ausschlossen. In dem Falle waren jedoch, wie gesagt, nicht viele, und die Mehrzahl der frommen Schwestern befand sich in nicht geringer Erregung.

Vor allem aber eine. Zum zweiten Male schon stand das Ziel der Herrschaft im Kloster der Schwester Veritas in berückender Nähe. Als Subpriorin trug sie die Last der Klostergeschäfte nun bereits unter zwei Aebtissinnen und jetzt sollte sie eine dritte die Stelle einnehmen sehen, die ihr gebührt hätte! Denn sie war klug genug, zu merken, daß sie wenig Hoffnung habe, an die Spitze der Gemeinschaft befördert zu werden. Diejenigen, welche ihr anhingen unter den Nonnen, waren in der Minderzahl und dazu nicht die allgesehensten der Schwestern. Weltlicher Rang und Herkunft spielten auch in diese gottselige Abgeschlossenheit hinein. So schlossen sich jetzt beim Abscheiden der gräflichen Aebtissin die Nonnen, welche vornehmen Familien des Ländchens angehörten, eng aneinander. Waren sie sonst nicht immer verträglich, so schossen sie nun zusammen wie Quecksilber, das gerüttelt wird. Sie waren fest gewillt, es abermals nicht zu dulden, daß die Schwester Veritas zur höchsten Würde im Kloster gelange, und hielten sich danach. Eine Stunde nach dem Ableben der bisherigen Aebtissin mußte, so verlangte es des Klosters Regel, schon die neue aus der Wahl der Nonnen hervorgegangen sein, um dann nur noch von dem geistlichen Obern, dem Bischof von Trier, bestätigt zu werden. Woraus erhellt, daß die frommen Schwestern, was sie nicht vorher gethan hatten, das heißt, ehe ihrer derzeitigen Mutter und Oberin der letzte Seufzer entfuhr, nachher zu vollbringen schwerlich Zeit fanden.

Und so war denn der Name der Nachfolgerin der Mutter Marcella ein offenes Geheimniß und schwebte auf aller Lippen, als ungefähr anderthalb Stunden vor dem Vesperläuten der Pater Gollermann sich im Kloster einfand, um dort anzukündigen, daß man das Fräulein von Leyen sofort zu entlassen habe. Obgleich aber sein Auftrag und Gebot dringlich war, fand es doch in diesen Augenblicken kaum die nothwendigste Beachtung, denn soeben war die würdige Aebtissin verschieden, und im Kloster wimmelte es durcheinander wie in einem Ameisenhaufen, in den einer getreten hat. Auf allen Gängen lebte unb raschelte es; aus allen Zellenthüren schlürften die Nönnlein, um sich im Refektorium zur Wahl zusammenzufinden; niemand hatte Zeit für etwas anderes.

Doch war Pater Gollermann nicht der Mann, der seinem Willen nicht den gehörigen Nachdruck zu verleihen gewußt hätte. Die Schwester Veritas mußte vor ihm im Sprechzimmer erscheinen; er ließ keine Abhaltung gelten. Und hier, Auge in Auge mit der Nonne, deren meist nichtssagendes Alltagsgesicht heute seltsam fahl war und nicht völlig die wüthende Erregung bergen konnte, in der sie sich befand – hier ließ er sie begreifen, um was es sich handle.

Natürlich ahnte er, was unter dieser Oberfläche vorging und daß es in der Subpriorin wie in einem Schlammvulkan brodle. Aber Aebtissinnenwahl oder nicht – die Schwester Veritas mußte Zeit finden, das Fräulein auf seine Befreiung vorzubereiten und zuvörderst in einem besseren Gelaß zu erquicken, um sie dann anständig entlassen zu können. „Es gilt die Ehre, nein, die künftige Sicherheit und Wohlfahrt dieses Hauses,“ hatte er ihr mit Bedeutung gesagt, „also rechne ich auf Euch. Ich lasse Euch eine Stunde Zeit. Kurz vor dem Abendläuten bin ich wieder hier, um das Fräulein, dafern es ihr Vormund an sich fehlen läßt, selber in Empfang zu nehmen.“ Damit entfernte er sich.

Die Nonne schickte ihm einen höhnischen Blick nach und – sie konnte es nicht hindern – ihre gelblichen Hände ballten sich und krallten dann ein paarmal auf unb zu, als griffen sie eine Beute. Die Ehre, die künftige Wohlfahrt dieses Hauses! Dieses Hauses, das ihr jetzt, in dieser Stunde noch, den größten Tort, den unerhörtesten Schimpf anthun würde! Ha, ehrwürdiger Herr Pater, klug seid Ihr, aber doch nicht klug genug! Recht wie ein Mann! Was kümmerte die Ehre dieses Hauses sie, die Subpriorin! Wenn jetzt in einer halben Stunde die einfältige, lange, durch die Nase psalmodierende Schwester Walburg – eine Tochter freilich aus dem edeln Haufe Büdingen – zur Aebtissin gewählt sein wird, dann mag diese die Verantwortung tragen für das, was geschieht! Und wäre nachzuweisen, daß die neue Mutter des Klosters nicht darum gewußt haben könne – nun, so ist ein kleines Versehen mit der begreiflichen Verwirrung der Nonnenschar in solcher Stunde wahrlich genügend zu erklären, ja zu entschuldigen und darf ihr, der stets mit Geschäften belasteten Subpriorin, nicht hoch angerechnet werden!

Und nun tritt die Nonne in den schmalen langen Gang hinaus, auf den das Sprechzimmer mündet. Sie steht und horcht, alles ist schon fast still geworden im Hause. Hier und da geht noch eine Thür, schlürfen Tritte – aber in ziemlicher Entfernung, und alles in der Richtung nach dem Refektorium, wo die Nonnen sich sämtlich einzufinden haben. Die paar Laienschwestern, welche als Mägde dienen, dürfen in dieser Stunde bei strenger Strafe ihre Kammern nicht verlassen; die männlichen Zugehörigen des Klosters, der Gärtner und der alte Schaffner, halten sich ebenfalls gesondert im Hofhause neben den Ställen – sie ist also völlig sicher, so sicher, wie sie in keiner anderen Viertelstunde jahraus, jahrein gewesen wäre.

Und so gleitet sie denn in entgegengesetzter Richtung den Gang hinunter, unhörbar, wenngleich kein lauschendes Ohr in der Nähe ist, einem grauen Schatten ähnlich. Gut, daß sie Bescheid weiß mit allen Thüren; die zum Kellergeschoß ist unbehilflich schwer, aber unverschlossen, und sie taucht die schwarze Treppe hinab. Hier unten ist es tief dämmerig; sie läßt den Gang, an dem die wohlverwahrten Weinkeller liegen, rechts und ein links in einen Bereich, der etwas mehr Licht hat. Hier schlägt ihr eine merklich wärmere, ja heiße Luft entgegen, und ihre Lippen verziehen sich boshaft, da sie es merkt. Sie braucht nur ein loses Gatterthürchen aufzustoßen und ist an Ort und Stelle: in einem niederen gewölbten Raum, in dessen Hintergrund eine kleine viereckige Oeffnung glimmt und glüht und, ehe man sich zurechtgefunden hat, phantastisch aussieht wie das offene Maul einer schnappenden Bestie. Es ist aber weiter nichts als das Aschenloch des mächtigen Ofens, welcher die Rauchkammer des Klosters mit beizendem Qualme speist und allwinterlich einer stattlichen Zahl von Schinken und Würsten zu Dauerhaftigkeit und kräftigem Geschmack verhilft. Jetzt im Anfang des Winters, da das Kloster wie andere gute Haushaltungen erst ein gewaltiges Schlachten abgehalten und seine Räucherkammer mit fast unvertilgbarem Vorrath ausgerüstet hat, jetzt ist dieser Ofen Tag und Nacht in Thätigkeit. Der Schaffner versieht ihn und hält ihn in mäßiger Gluth. Schwester Veritas überzeugt sich davon, indem sie mit dem bereit stehenden eisernen Haken seine geräumige Thür aufsperrt.

Alles in Ordnung. Wenn ihre Pflichttreue sie hierher getrieben hat, um sich zu überzeufen, daß während der nächsten Stunden kein Unfall geschehen kann, so mag sie beruhigt sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_562.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2021)