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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

majestätischer Würde, immer sprach sie mit Pathos, immer fühlte sie sich aus der Prosa des Lebens entrückt in höhere reinere Sphären – die „hohe Elisa“ nannte man sie unter den Freunden.

Da sie keine eigenen Kinder hatte, so hielt sie es für ihre Christenpflicht, Pflegetöchter anzunehmen, und sie entsprach damit überdem einer vornehmen Mode ihrer Zeit, Kinder aus guten Familien, die vielleicht verarmt waren, zu sich zu nehmen, zu erziehen und später möglichst gut zu verheirathen. Nicht weniger als sechzehn solcher Pflegetöchter soll Frau von der Recke auf diese Weise nach und nach an den Mann gebracht haben. Fromme Theologen, ernste Philosophen, sittsame Dichter erfreuten sich ihres Umgangs und ihrer Huld. Unter den letzteren war es der brave Tiedge, der schließlich ihr besonders bevorzugter „Seraph“ wurde. Immer war er in ihrem Gefolge, in ihrem Hause zu finde, aber nie hätte man sich ein erdenmenschliches Liebesverhältniß denken dürfen zwischen ihr, der Hehren Erhabenen, und dem stillen bescheidenen Dichter der „Urania“ und der vielgesungenen sentimentalen Liedchen „An Alexis send’ ich dich“ und „Schöne Minka, ich muß scheiden“. Alt und grau wurde die „hohe Elisa“, alt und grau ihr Minnesänger, der zeitlebens neben ihr hinging mit der Leier am blauen Bande und ihre zarten Saiten für seine Herrin ertönen ließ. So sah man diese beiden auch monatelang in Löbichau als Genossen der kurländischen Kolonie, so schwebten sie selbander dem Greisenalter zu, bis er 1833 an ihrer Bahre seine Trauergesänge anstimmen mußte. Acht Jahre lebte er dann noch allein von seinem verblassenden Dichterruhm und von der Jahresrente, die sie ihm ausgesetzt hatte.

Schloß Löbichau.
Nach einer Zeichnung von Olof Winkler.

Mit einem ganz eigenartigen Geschick verstand es die Herzogin Dorothea, geistig hervorragende Menschen an sich zu ziehen und so ihre Tafelrunde zu einer Art schöngeistigen Artushofes zu gestalten. Schriftsteller, Gelehrte, Künstler wurden von ihrem Zauber gefesselt, ja selbst die damals noch nicht für gesellschaftsfähig geltenden Schauspieler waren bei ihr zu Gast. An ihrem Theetisch plauderte sie mit Iffland, unter ihrem Dache schlief gar manche Nacht der junge Feuerkopf Theodor Körner, ihr Pathenkind, mit dessen Familie in Dresden sie schon lange Bekanntschaft geschlossen hatte. Theodor Körner war überhaupt ihr Liebling; sein erblühender Ruhm als dramatischer Dichter entzückte sie, seine sprudelnde Unterhaltung , seine gewandten Stegreifgedichte, die Vorträge seiner dramatischen Erstlinge hatten ihr manchen Tag in Löbichau verschönt. Als der Befreiungskrieg ausgebrochen und Körner als freiwilliger Lützowscher Jäger auf einem der ersten Streifzüge im Juni 1813 schwer verwundet worden war, ließ sie ihn zur Pflege in ihr Haus nach Karlsbad schaffen; er erholte sich dort überraschend schnell, um sogleich von neuem für die Befreiung des Vaterlandes ins Feld zu ziehen – diesmal dem Tode entgegen.

Mit Dorotheas Segen war er gegangen. Denn seit dem russischen Feldzuge haßte sie in dem einst bewunderten Eroberer einen Feind der Menschheit. „Tausend und tausend unschuldig Unglückliche sehe ich untergehen in dem allgemeinen Verderben, welches von dem Willen eines Einzigen, eines Sterblichen ausgeht, der die Erde mit Blut färbt. Ich begreife die Heldennatur nicht. Ein Mann, dem die Macht verliehen ward, der Segen der Menschheit zu sein, wie kann er nach dem Fluche greifen, um ihn von einem Ende der Welt zum andern zu tragen?“ So schrieb sie in ihr Tagebuch.

In jenem schwülen Sommer 1813 hielt sich die Herzogin Dorothea auf ihrem Schlosse Ratiborschitz in Böhmen auf. Als Preußen und Rußland während des Waffenstillstands mit Oesterreich unterhandelten, um es zum Anschluß an die Verbündeten zu bewegen, da setzte die Herzogin alle Hebel ein, Metternich für das Bündniß zu gewinnen; ihre Briefe an ihn glühten von Begeisterung für die Befreiung der Völker von Napoleons Tyrannei. Ratiborschitz wurde eines der Hauptquartiere der Verhandlungen, Kaiser Alexander, preußische, russische, österreichische Bevollmächtigte fanden sich ein, Kuriere und Ordonnanzen flogen ab und zu. Gentz, der Vertraute und Sekretär Metternichs, schrieb am 28. Juni 1813 an Rahel Varnhagen: „Die vier größten Souveräne Europas mit ihren Kabinetten, Ministern, Höfen und sechs- bis achtmalhunderttausend Mann Truppen sind hier auf einem kleinen Strich Landes konzentriert, und in diesem Augenblick versinken Paris, Wien, Berlin, Petersburg gegen Gitschin, Reichenbach, Ratiborschitz, Opotschna in nichts. Jetzt eben hat der Kaiser Alexander mit uns in Ratiborschitz bei der Herzogin gespeist; hier haben die ganze vorige Woche bald Metternich, bald Stadion, bald der Staatskanzler Hardenberg bald mehrere zusammen gehaust. Hier sind große Dinge getrieben worden. Humboldt ist mit Hardenberg hierhergekommen, hat sich ebenfalls hier fixiert und bleibt, bis das Weitere zur Reise kommt.“

Und „das Weitere“ kam zur Reise. Der große Krieg brach aus, Oesterreich stand an der Seite der Alliierten. Und als das Napoleonische Kaiserreich zusammengebrochen war, als die Völker aufathmeten nach dem ungeheuren Druck, der zwei Jahrzehnte lang auf ihnen getastet, da versammelte sich zu Wien jener Kongreß von Fürsten und Staatsmännern, um über die neue Ordnung Europas zu berathen, aber auch, um in einem Strudel von Lustbarkeiten sich auszutoben. Feste reihten sich an Feste bei Kaisern, Königen, Fürsten und hohen Diplomaten. Die wahren Königinnen dieser Feste aber waren die vier kurländischen Prinzessinnen, während die Herzogin Mutter in Paris sich aufhielt, um dort am neuen Hofe der Bourbonen ihre weibliche Diplomatie zu entfalten.

Als nach der Rückkehr Napoleons von Elba Kongreß und Festgesellschaften in Wien jählings ein Ende nahmen, wartete die ganze kurländische Familie – auch die Mutter war aus Paris herbeigeeilt – in Karlsbad den Verlauf der Dinge ab. Ein Jahr später stattete Dorothea mit ihrer Schwester Elisa der preußischen Königsfamilie in Berlin einen Besuch ab, und wie vom Hofe, so wurde sie auch von der Bevölkerung als eine der gefeiertsten Frauen ihrer Zeit mit großer Auszeichnung empfangen.

Dann wieder sammelte sich der Artushof auf Schloß Sagan, wo die reizendsten Feste, häufig mit Aufführungen von Opern und Schauspielen verbunden, gegeben wurden. Auf dem prächtigen Theater, das hier schon der kunstliebende Herzog Peter hatte einrichten tasten, spielte wie einst zur Rokokozeit auf den französischen Edelsitzen die Familie des Hauses selber mit in der Komödie. Die Fürstin Pauline von Hohenzollern sang mit ihrer schönen Altstimme und bewies sich auch als Schauspielerin ersten Rangs. Wie sie die Maria Stuart so ergreifend spielte, daß die Zuhörer tief erschüttert in Thränen schwammen, so konnte sie wieder in Operetten durch ihre Drolligkeit alles in Entzücken versetzen.

Löbichau aber blieb, was es seit zwanzig Jahren schon für die Kurländerinnen gewesen war, die anmuthsvolle Sommeridylle.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_573.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)