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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

zweiten grüßte von schwarzem Sockel herab eine reizende Psyche. Eine schöne alte Uhr tickte langsam auf dem Kaminsims, an den Fenstern standen große Gruppen köstlicher hoher Palmen.

Annaliese, die sich jetzt erhob, paßte in ihrem weichfließenden dunkelrothen Hauskleide vortrefflich in das hübsche Bild hinein. Beifällig waren des Professors Augen rundum gegangen, beifällig blieben sie jetzt auf dem jungen Mädchen haften.

„Gefällt es Ihnen bei mir?“ fragte sie erfreut.

„Sehr! Guten Abend!“ Er schüttelte ihr freundschaftlich die Hand. „Was haben Sie hier für ein schönes Bild? Darf ich mir’s ansehen?“

„Natürlich dürfen Sie! Ich will nur den Lampenschleier abnehmen, das rosa Licht wirkt ja ganz dumm auf dem Bilde.“

Es war eine ziemlich große Landschaft, „Vorfrühling“ betitelt. Nur hohe Bäume, ein klarer Wasserspiegel, und gerade hinaus ein Blick in die Ferne – aber wie war dies Bild gemalt! Welch eigenartig kristallene Luft, welch zartes, schüchtern hervorbrechendes Laub, wie silbern der zitternde Wasserspiegel, in dem das Abbild der Bäume schwamm! Ein einsamer Vogel schwebte mit weit gespannten Schwingen darüber, und in mattblauen Duft gebadet verdämmerte im Hintergrund die verlockende Ferne.

Gregory stand lange, in stilles Bewundern versunken. „Das haben Sie selbst ausgesucht? Oder bekamen Sie es zum Geschenk?“

Annaliese lachte. „Welcher Mensch wird mir denn ein solches Bild schenken! Nein, ich hab’ es gekauft, nach einem harten Kampf mit Großmama, die zuerst überhaupt nicht wollte, daß ich mir ein Gemälde anschaffe – sie fand es ganz überflüssig – und wenn es denn schon sein mußte, sollte es etwas ganz anderes sein; sie sagte, an diesem Bilde könne sie nichts finden. Aber diesmal setzte ich mein Stück durch.“

„Thun Sie das nicht meistens?“

„Ach nein! Mir widersteht es, mich immer und immer mit Großmama herumzustreiten, sie ist doch eine alte Dame, die Rücksichten beanspruchen kann, und auf ihre Art hat sie mich auch lieb und ist gut zu mir. Manches freilich muß ich haben, das fühle ich, und das setz’ ich dann mit Gewalt durch, aber angenehm ist die Aufregung dabei nicht.“

„Sie haben nur dies eine Gemälde im Zimmer, Ihre Großmutter betonte aber immer mit Stolz, Sie malten selbst sehr hübsch. Ich wundere mich, daß Sie nichts von Ihren Sachen hier haben.“

Das junge Mädchen sah etwas verlegen aus. „Es waren ein paar da bis vor kurzer Zeit,“ sagte sie zögernd. „Ich habe selbst bis vor einigen Wochen geglaubt, ich malte sehr hübsch – aber wer weiß, ob nicht meine Lehrer und die anderen alle mir auch das bloß vorerzählt haben, weil – weil – – ja, das gehört nun aber schon zu dem, was ich Ihnen heute erzählen wollte – kann es jetzt sein? Wollen Sie sich setzen?“

Ihr Gast gehorchte mit einer Verbeugung; sie deckte den rothen Spitzenschirm wieder über die Lampe und nahm dem Professor gegenüber in einem niebrigen Sessel Platz. Ein paar große Palmenwedel bildeten über ihrem Haupt ein natürliches Schirmdach.

„Hier habe ich Cigaretten und Portwein für Sie – so, bitte! Nein, nein, Sie müssen unter jeder Bedingung rauchen und trinken, ich will Sie ganz gemüthlich stimmen!“

„Und wenn ich das schon wäre?“

„Dann wird es eben noch gemüthlicher!“ rief sie fröhlich, goß sich selbst ein zierliches Weingläschen voll und stieß mit ihm an: „Auf gutes Zutrauen, auf treue Kameradschaft! Da haben Sie auch ein brennendes Zündholz!“

„Zu liebenswürdig!“ Gregory that ein paar kräftige Züge, blaue. Wölkchen schwebten empor. „Ich bin nun in der allergemüthlichsten Verfassung und bereit, milde und gerecht zu sein wie Nathan der Weise in Person!“

„Sehen Sie, jetzt spotten Sie schon!“

„Keineswegs! Aber Sie müssen mir einiges zugut halten, verehrte Gevatterin. Sehen Sie, ich bin ganz und gar nicht an den Umgangston mit jungen Damen gewöhnt. Als junger Mensch war ich meiner Sprachstudien halber viel auf Reisen, und da war es um weibliche Bekanntschaften schlimm bestellt – ich muß Ihnen das barbarische Bekenntniß machen, daß ich sie damals auch nicht schwer entbehrte; ich wollte studieren und that das wirklich mit Hingebung. Die erste Universitätsstadt, in der ich lebte, war klein, ich blieb dort nur kurze Zeit und hatte überdies Trauer, die mir die Geselligkeit verbot. Hier nun in B. habe ich außer mit ein paar unverheiratheten Kollegen und meinen Studenten auch in einigen Familien Verkehr, ich werde dort zuweilen freundlich eingeladen, spreche auch gelegentlich ohne Aufforderung vor – es sind vier Ehepaare: das eine ist kinderlos, das zweite hat nur Söhne, das dritte besteht aus zwei alten prächtigen Leuten, die nur noch eine einzige Tochter in recht reifen Jahren im Hause haben, das vierte Ehepaar ist jung und hat ein siebenjähriges Zwillingspaar ... Sie sehen, es blüht mir keine einzige junge Dame auf meinem gesellschaftlichen Lebensweg! Allerdings laden diese meine guten Bekannten mich auch zuweilen zu kleineren geselligen Vergnügungen ein – die zu den großen schlage ich grundsätzlich aus – und da bin ich denn auch gelegentlich Tischnachbar eines jungen Mädchens und finde mich so leidlich mit der Unterhaltung ab; aber das alles ist ungeheuer vereinzelt, ist kein Verkehr zu nennen – daher verzeihen Sie es mir nur, wenn ich recht oft etwas sage, was Ihnen in Form und Ton mißfällt –“

„Abgemacht!“ fiel sie ihm heiter ins Wort. „Ich werde Sie also auf Ihren Inhalt prüfen, Form und Ton soll möglichst nebensächlich sein! Nun weiß ich doch auch, warum Sie nie auf unsere Gesellschaften kamen – da Sie sogar bei Ihren Kollegen keine großen Feste besuchen, so ist es klar, daß Sie ein Feind davon sind.“

„Offen gesagt, ich glaube meine Zeit nützlicher anwenden zu können als mit Tanzen und Konversationmachen!“

„Ist man nur auf der Welt, um nützlich zu sein?“

„,Man‘ ist entschieden noch zu vielen anderen Dingen da – ein Professor der alten Sprachen aber, ein Mann von gesetzten Jahren, hat vorwiegend dies Ziel ins Auge zu fassen, und wenn er fühlt, daß er nützlich ist, so ist er auch glücklich.“

„Hm!“ Annaliese schüttelte zweifelnd den Kopf. „Das Glück, das aus der Nützlichkeit hervorgeht, scheint mir eine bedenklich duft- und farblose Blüthe zu sein. Aber darüber wollen wir nicht rechten. Wir zwei müssen grundverschiedene Ansichten haben, das liegt ja auf der Hand. Also zur Sache! Zunächst Ehrenwort und Handschlag auf volle Verschwiegenheit und volle Wahrheit!“

„Was für mich Wahrheit ist, will ich gern sagen; ob das auch für Sie das Wahre enthält –“

„Sie sollen mich ganz beiseite lassen und bei der Sache bleiben! Habe ich Ihr Wort?“

„Sie haben es!“

„Dann kann ich anFangen – aber womit so recht? Es ist nicht hübsch, immer von sich selbst zu sprechen, und doch muß ich das thun. Ich war bis vor kurzem ungeheuer vergnügt, immer, immer, trotz aller Reibereien mit Großmama. Meine ewige Lustigkeit müssen doch sogar Sie bemerkt haben!“

„Ich sogar – ganz recht!“

„Ich meine, weil Sie mich so selten sahen. Schauen Sie, Herr Gevatter, man verwöhnte mich sehr; überall, wohin ich kam, spielte ich die erste Rolle, man fand alles gut und schön, was ich sagte und that, und war ich recht übermüthig und ausgelassen, so hieß es, das sei lauter Geist und Originalität. Mir gefiel das sehr gut, ich war ganz damit einverstanden und dachte, so müsse es sein. Wenn darin eine große Anmaßung lag, so war ich mir dessen nicht bewußt. Warum sollte ich mir diese Verwöhnung und Schmeichelei nicht gefallen lassen? Ich kannte es ja gar nicht anders, und über die Quelle, den Ursprung dieser Thatsachen nachzudenken, das fiel mir nicht ein. So viele Menschen hatten mir gesagt, ich sei schön – ich fand mich eigentlich bloß hübsch, aber als es immer wieder hieß: ,die schöne Annaliese von Guttenberg!‘ da fing ich allmählich an, es auch zu denken. Finden Sie mich schön?“

„Nun, das ist doch eine sehr bedenkliche Frage! Meine persönliche Meinung –“

„Ja oder nein!“

„Ich finde, Sie haben ein außerordentlich –“

„Keine Nebenwege, keine Seitensprünge! Schön?“

„Nein!“

Der Professor wollte, aus seiner ehrlichen Ueberzeugung heraus, den angenehmen Nachsatz folgen lassen, er finde eigentlich, Annaliese sei etwas Besseres als bloß eine Schönheit, sie sei reizend, graziös und vornehm, Eigenschaften, die bei ihm und vielen anderen mehr ins Gewicht fielen als die tadellose Regelmäßigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_582.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2022)