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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

es mir neben dem Herde im Ehrensessel bequem und zündete meine Pfeife an. Donna Maria bereitete sich eben vor, mir Gesellschaft zu leisten, was sie jedenfalls für ihre Pflicht hielt, und ich hatte schon eine Frage nach Paolo Saviello auf der Zunge, als ein kleiner dürrer Pater eintrat, ein freundlich ernstes Männlein in höherem Lebensalter, der einen angenehmen Eindruck auf mich machte.

Kaum hatten wir uns begrüßt, als Donna Maria herbeieilte. „O Fra Bartolomeo!“ rief sie erregt „Wie dank’ ich Euch, daß Ihr zu mir kommt! Ist denn wirklich alles vorüber?“

„Ich stand bei ihm, als er seine Seele aushauchte,“ versetzte der Pater. „Auch Euch habe ich einen Gruß von ihm zu bringen.“

„Starb er standhaft?“

„Wie ein Mann und ein Christ.“

Es war die Rede von Paolo Saviello, wie ich nicht bezweifeln konnte. „Kommt Ihr von Catania, Hochwürden?“ fragte ich dazwischen.

Der Pater nickte langsam. „Jawohl, Herr. Ich hatte es dem Saviello zugesagt damals, ehe er sich den Behörden auslieferte, daß ich ihn auf seinem letzten Gange begleiten würde. Und ich habe mein Wort gehalten, so schwer mir’s wurde. Es war ein guter Kern in diesem Verirrten; es hat mir sehr leid gethan um ihn.“

„Man hätte ihm wohl das Leben schenken können, da er sich doch freiwillig gestellt hatte,“ eiferte Donna Maria.

„Damit wäre ihm kein Gefallen geschehen,“ sagte der Pater. „Ihn dürstete nach Gerechtigkeit und er litt den Tod mit Freuden.“

Durch alle diese Andeutungen war mein Interesse an Paolo Saviello noch gewachsen. „Erzählt mir die Geschichte dieses seltsamen Briganten,“ bat ich den Pater. Dazu schien der alte Herr jedoch keine Lust zu haben. Er that so, als wenn er mein Gesuch nicht gehört hätte, holte bedächtig den Becher süßen Landweins, den Donna Maria ihm vorgesetzt hatte, vom Tische und labte sich daran, mit der Miene eines Mannes, dem Stärkung noth thut. Ich wandte mich an die Wirthin um Auskunft.

„Daß Paolo aus Favara stammte, wißt Ihr bereits,“ ließ sie sich willig vernehmen. „Sein Vater arbeitete unten in den Schwefelgruben, und als Paolo die erforderliche Kraft besaß, mußte auch er dort eintreten und die gefüllten Säcke nach oben tragen, an die hundert Stufen hoch, und das für einen lumpigen Tagelohn. Diese Arbeit däuchte dem jungen Burschen zu niedrig; denn er hatte Verstand und gute Manieren, trotz seiner geringen Herkunft, und daß er höher hinaus wollte, war ihm am Ende nicht zu verdenken. Eines Tages also lief er davon, und dann blieb er eine Reihe von Jahren verschwunden. Es heißt, er sei drüben auf dem Festlande gewesen und dort in schlechte Gesellschaft gerathen. Wie dem auch sein möge, jedenfalls war aus dem Burschen, als er hier wieder auftauchte, ein arger Strick geworden. Denn das erste, womit er sich seinen Landsleuten in Erinnerung brachte, war, daß er dicht vor Canicatti die Post ausraubte, er ganz allein.“

„Eins habt Ihr zu erwähnen vergessen, Donna Maria,“ unterbrach sie der Pater, „der Vater Paolos hatte sich inzwischen in den Schwefelminen zu Tode gearbeitet.“ Er wandte sich zu mir: „Ihr müßt wissen, daß unsere Schwefelgruben Menschenopfer ohne Zahl verschlingen. Ob dies so sein muß, weiß ich nicht. Es soll Maschinen geben, welche die schlimmste Arbeit verrichten könnten. Aber kein Unternehmer schafft sie an, und wenn es einer thäte, so würden die Arbeiter sie ihm wahrscheinlich zerschlagen, aus Furcht, ein Theil möchte dadurch brotlos gemacht werden. Wie die Sache lag, hatte Paolo Saviello infolge des Todes seines Vaters einen grimmigen Haß zunächst auf die Minenpächter geworfen, und hernach, als er das System der Landverpachtung kennenlernte, wie es bei uns von altersher üblich ist, auch auf die größeren Landpächter, die ja allerdings, Gott sei’s geklagt, mit den kleinen Stücken Grund und Boden, deren der geringe Mann bedarf, einen schmählichen Wucher treiben.“

„Ich glaube zu verstehen,“ sagte ich, „Saviello hat der Vorsehung ein bißchen vorgegriffen und die bösen Leuteschinder schon auf Erden bestraft. Er war nicht der erste dieser Art; Eure großen Briganti sind von jeher eifrige Parteigänger des armen Mannes gewesen.“

Der gute Pater merkte den Spott in meinen Worten nicht. Er erwiderte, nicht ohne einen Anflug voll priesterlicher Würde: „Keiner, der Sünde thut, kann dafür eine triftige Entschuldigung geltend machen, mein lieber Herr.“ Damit verstummte er und gab Donna Maria die längst ersehnte Gelegenheit, den Faden ihrer Erzählung wieder aufzunehmen.

Sie fuhr fort: „Saviello fand bald Genossen, mit denen er dann an dieser Seite der Insel umherstreifte und Beute machte. Doch hat er nie ohne Noth getötet.“

„Sehr anerkennenswerth,“ bemerkte ich trocken. „Und wie verhielt sich die Behörde diesem Unfug gegenüber?“

„O, die Herren in Catania ließen sich durch ein paar Räuber nicht aus ihrer Ruhe bringen. Alles, was geschah, war, daß die Posten mit ausreichender Bedeckung versehen wurden. Wer sonst reiste, mochte, so gut er konnte, für seine Sicherheit sorgen. Wahrscheinlich hegten die Behörden die Hoffnung, Saviello werde einmal bei einem unvorsichtigen Angrif unschädlich gemacht werden. Das aber geschah nicht; es war, als ob die heilige Jungfrau ihn in ihren Schutz genommen hätte. Kein Unfall stieß ihm zu. Ein junges Mädchen wurde endlich, unbegreiflicherweise, die Ursache, daß er sich in die Gewalt der Polizei gab. Dies geschah vor etwa sechs Wochen hier in Girgenti.“

Hier hielt Donna Maria inne, langte die Weinkanne vom Boden und füllte erst den Becher des Geistlichen und dann den meinigen. Und nachdem sie sich wieder niedergesetzt und ihre bunte Schürze glattgestrichen hatte, nahm sie den Faden ihrer Erzählung von neuem auf. „In unserer Stadt lebt ein Engländer, der eine der größte Schwefelgruben der Gegend in Pacht hat. Er wohnt in einem der schönsten und geräumigsten Häuser des Ortes und heißt Clinton. Abgesehen von den geschäftlichen Verbindungen, die er zu pflegen genöthigt ist, sucht er keinen Verkehr. Und in seinem Hause geht es zu, als ob es mitten in England läge. Das Dienstpersonal besteht aus lauter Inglesi, mit einer einzigen Ausnahme. Das ist die Francesca, die Tochter einer guten Freundin von mir. Durch sie habe ich meine Kenntniß von der Familie Clinton. Da ist also zuerst der Signor Edoardo, ein gütiger Herr, der niemals um ein paar Soldi knausert und seine Leute behandelt wie ein Gentiluomo. Dann die Signora, eine große stolze Frau, die mit Francesca noch nie ein Wort gewechselt, ja sie kaum angesehen hat. Endlich die einzige Tochter Signorina Evelyn. Die ist die Sonne des Hauses und von allen vergöttert. Oft hat mir Francesca versichert, es käme manchmal über sie, als ob sie vor ihr niederknieen müßte und ihre Füße küssen. Und schön sei sie – so schön wie die heilige Jungfrau, mit ihrer rosigen Haut und ihrem hellen goldigen Haar. Seitdem sie die Signorina kenne, komme sie sich vor wie eine braune Hexe. Und die Francesca gilt doch für eins der hübschesten Mädchen in Girgenti. Vor einigen Monaten nun erschien bei der Familie Clinton ein Landsmann, ein lang aufgeschossener junger Mensch, der, seiner schwachen Augen wegen, beständig eine graue Brille trug. Er mußte sich wohl dort im Hause langweilen, denn er strolchte den ganzen Tag in der Stadt umher, die Hände in den Taschen, und gaffte in alle Gänge und Höfe hinein, ohne jemals ein Wort zu sprechen, da er unsere Sprache nicht verstand. Nachdem er die Ortsbewohner genügend besichtigt hatte, verfiel er darauf, ein Pferd zu miethen, und ritt dann täglich spazieren. Und eines Tages überredete er die Signorina, ihn, ebenfalls zu Pferde, nach der Maccaluba zu begleiten. Das ist ein Hügel, ein paar Stunden von hier, sehr abgelegen, und nur wenige von den Girgentinern wissen sich hinzufinden, was aber nicht verhindert, daß jeder sich als Führer anbietet, wenn je einmal ein Ausflng nach dem Berge in Frage steht.

Signor Ernesto hatte einen halbwüchsigen Buben gewonnen, der die Maccaluba so genau zu kennen vorgab wie seines Vaters Hofraum; in Wirklichkeit aber kannte der Schlingel den Schlammberg nur vom Hörensagen und erkundete die Richtung, in welcher derselbe liegt, erst dann, als die Reise losgehen sollte. Wie es unter solcher Führung den Reisenden erging, läßt sich denken. Quer durch das unbebaute felsige Land reitend, geriethen sie nach einer Stunde auf ein schwieriges Terrain mit zahlreichen tiefen Bodeneinschnitten,

die ihnen das Weiterkommen zu einer sehr mühsamen Arbeit machten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_592.jpg&oldid=- (Version vom 25.9.2018)