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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Rückschlag. Man ersehnte mit Schmerzen die lebendige Frucht, die aus dem allem erwachsen sollte und doch so lange auf sich warten ließ; man sah tausend Wege, aber keine Bahn. In einem Gedicht an den Herzog gab Friedrich Hofmann dieser Enttäuschung beredten Ausdruck. Er sprach dem Fürsten von denen,

„Die jubeln in den Tag hinein
Ob unsres Siegs vor fünfzig Jahren
Und sehen nicht den Feuerschein
Der tückisch züngelnden Gefahren.
Sie ziehen stolzerfüllt von Fest
Zu Fest mit schwarz-roth-goldnen Fahnen,
Soweit man die sie tragen läßt –
Nur was uns droht, will keiner ahnen!“

Schloß Reinhardsbrunn.

Und in seiner Antwort bestätigte Ernst II: „Ja wohl, die Zeit ist trüb! Zwietracht und Schwäche auf den Thronen, Mißgunst und Eigenliebe im Schoße der Parteien, viel hohle Phrasen und schöne Worte, wehende Fahnen und donnernde Hochs! Wo sind die Handlungen, wo die Thaten?“ Aber die Thaten sollten folgen, der Handelnde war da. In rascher gewaltiger Folge vollzog sich unter Bismarcks Leitung, was jahrzehntelang die Besten vergebens erträumt hatten: in Krieg und Sieg wurde die deutsche Kaiserkrone neu geschmiedet.

Der Herzog sah erfüllt, was er mit scharfem staatsmännischem Blicke schon lange als die einzige Rettung erkannt und doch eine Zeitlang kaum mehr zu hoffen gewagt hatte, daß Preußen „die in so viele Staaten zersplitterte Kraft Deutschlands in sich politisch, militärisch und geistig vereinige“. Und wie er sich 1866 der Sache des Königs Wilhelm von Preußen angeschlossen hatte, so war er auch 1870 und 1871 einer der Eifrigsten von denen, die zur Gründung eines deutschen Kaiserreiches drängten. Er legte schon im Oktober 1870 seinen Plan für Deutschlands Neugestaltung in einer Denkschrift dem Grafen Bismarck vor und hatte die Genugthuung, von diesem zu hören, daß alle wesentlichen Gedanken der Denkschrift von dem Kanzler seit langer Zeit als die seinigen verfolgt worden und seit dem Beginn des Kriegs fast ohne Einschränkung in der Ausführung begriffen seien. Die schönste Belohnung aber für die Treue und die Bedeutung seiner Arbeit durfte er in den Worten finden, die am 18. Januar 1871 der neue Kaiser der Deutschen an ihn richtete. „Ich vergesse nicht,“ sprach dieser, „daß ich die Hauptsache des heutigen Tages Deinen Bestrebungen mit zu danken habe.“

So war denn, doch noch früher als er gedacht, der Wunsch in Erfüllung gegangen, den Herzog Ernst bei seinem 25jährigen Regierungsjubiläum 1869 ausgesprochen hatte: „Sollte mir der Himmel bescheren, das Silberfest des heutigen Tages dereinst im Greisenalter als goldenes zu feiern, dann gebe er mir auch – das ist der Wunsch meines Lebens – daß ich Deutschland einig und mächtig sehe.“ Es war dem Fürsten vergönnt, nun, da die eine große Aufgabe gelöst war, im Schutze des Friedens, dessen mächtiger Hort das neue Reich wurde, noch lange Jahre mitzuarbeiten an einer anderen Aufgabe, die er nicht minder werth hielt: sein Land zu einer Pflanzstätte der Wissenschaft und Kunst zu machen, alles Schöne zu fördern. Das goldene Jubiläum seiner ehelichen Verbindung mit der Prinzessin Alexandrine von Baden brachte noch im vorigen Jahre ein besonderes Glück in dieses Leben, das dem Ende zugehen sollte.

Nun ist es geschlossen. Die Anstrengungen, die sich der Herzog bei den jüngsten Opernaufführungen in Gotha zumuthete, waren auch für seinen Körper zu viel.

Sehen wir zurück auf das, was er gewollt und geleistet hat und was er in einem hervorragenden schriftstellerischen Denkmal, in den Denkwürdigkeiten aus seiner Zeit und seinem Leben, selbst erzählt, so müssen wir gewiß bekennen, daß auch er zuweilen das Rechte auf dem falschen Pfad gesucht hat. Aber Täuschung und Irrthum bleiben dem Wanderer auf keinem Wege erspart. Er durfte das Bewußtsein unbeirrter Vaterlandsliebe auch in seinen Fehlgängen mit sich nehmen, das Bewußtsein, sein Bestes gethan zu haben für sein Volk.

Herzog Ernst auf dem Totenbett.
Nach einer Photographie von Rudolf Kühn in Erfurt und Friedrichroda.

Daß die Gegensätze, die er einst durchleben mußte und die seine Arbeit schwer machten, für immer vernichtet und begraben sein möchten, das ist der Wunsch, mit dem wir von diesem Bild eines echten deutschen Fürsten scheiden. Ihm selbst aber ein dankbares Gedächtniß! M. A.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_620.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)