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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

gemengt. Der Nestrand erscheint stark nach innen gewölbt und läßt der Oeffnung nur eine Weite von etwas über 2 cm Durchmesser. Die Breite des ganzen Nestes beträgt ungefähr zwischen 9 und 10 cm, die Höhe 7 bis 8 cm, die Dicke der Wand über 2 cm, wovon etwa die Hälfte auf ein Polster aus Rehhaaren, kleinen Vogelfedern und dem Flaum junger Raubvögel entfällt. In Haus- und Feldgärten fanden wir auch Pferdehaare im Innern von Goldhähnchennestern, und einmal machten wir die merkwürdige Entdeckung, daß ein junges Goldhähnchen sich mit den Halse in die Pferdehaare verwickelt hatte und so eines elenden Todes durch Erdrosseln gestorben war.

Zweimal im Sommer nisten die niedlichen Thierchen, und das Weibchen legt das erste Mal 8 bis 10, das zweite Mal 6 bis 8 Eierchen, die bei gelblich-grauweißem oder hell fleischfarbenem Grundton lehmgrau punktiert sind, und zwar namentlich reich am stumpfen Ende.

Feuerköpfiges Goldhähnchen, sein brütendes Weibchen fütternd.
Nach einer Zeichnung von Adolf Müller.

Von der sorgfältigen Pflege, welche den Jungen im Neste zu theil wird, und von der Emsigkeit, mit der die Nahrung von den Alten herbeigeschafft wird, erhält nur der genaue Beobachter einen wahren Begriff. Unermüdlich geht der Flug der Eltern in Pausen von wenigen Minuten ab und zu, wobei Vater und Mutter gewöhnlich miteinander abwechseln. Kehrt das Männchen oder Weibchen mit Futter beladen zurück, so sucht es erst Deckung durch Aeste und Zweige, um den Platz des Familienheiligthums nicht zu verrathen. Und immer sind die Pfleger darauf bedacht, mehrere Insekten in ihren Schnäbelchen anzusammeln, ehe sie den Jungen das Futter zutragen. Haben sie eine ergiebige Quelle von Kerbthiereiern entdeckt, so picken sie wohl hundertmal, bis sie mit der Ausbeute sich zufrieden geben und an die Ablieferung denken. So betreiben sie das Geschäft der Fürsorge für ihre Nestjungen in treuer Hingebung, und sie setzen es nicht minder emsig fort, wenn die niedlichen Geschöpfe ausgeflogen sind und in der ersten Zeit noch abends an ihre Geburtsstätte zum Uebernachten zurückkehren. Ja dann verdoppelt sich der Eltern Eifer; denn sie haben ja nun auch noch auf Schutz und Anleitung der unerfahrenen Jugend zu denken.

Nach der zweiten Brut mischen sich die vereinigten Familienglieder in kleineren Gruppen unter die umherziehenden Meisen. In der Regel kommen sie hinterdrein gezogen, ihre Ankunft mit feinem „Sississi“ verkündend; wohl wären sie geneigt, an einem Plätzchen etwas länger zu verweilen, aber der Trieb des Umherschweifens, welcher ihre unruhige Gesellschaft beherrscht, ergreift auch sie und reißt sie mit fort.


Blätter und Blüthen.


Rudolf von Gottschall. (Mit Bildniß S. 637.) Ein Dichter und Schriftsteller von seltener Vielseitigkeit feiert am 30. September d. J. seinen siebzigsten Geburtstag, ein Mann, den eine bewegte Zeit frühe zu litterarischem Ruhme emportrug und dem dann die schwere Aufgabe zufiel, diesen Ruhm ein langes Leben hindurch zu wahren: Rudolf von Gottschall. Und man darf sagen: die Lösung jener schweren Aufgabe ist ihm gelungen. Heute noch, da fünfzig Jahre vorüber sind, seit ein freiheitsdurstiges Volk seinen „Liedern der Gegenwart“ und seinen „Censurflüchtlingen“ mit Begeisterung zujubelte, heute noch weiß er in seinen Liedern und Gesängen Töne anzuschlagen, die ihren Widerhall finden in dem Herzen der Nation; der Dramatiker Gottschall hat die deutsche Bühne mit werthvollen Dichtungen bereichert – wir erinnern nur an seine „Katharina Howard“ und an sein Lustspiel „Pitt und Fox“; Gottschall als Erzähler hat mit manchem guten Roman einen weiten Leserkreis erfreut; als Kritiker wie als Geschichtschreiber der Litteraturperiode, die er selbst erlebt, ist er vielen zum geistigen Führer geworden. Stets hat es auch die „Gartenlaube“ sich zur Ehre gerechnet, wenn sie seiner klangvollen Stimme zum Sprachrohr dienen durfte, und viele seiner reifsten Gedichte sind in diesen Blättern erschienen, für die er auch sonst manchen gediegenen Beitrag geliefert hat. Wir dürfen es uns hier versagen, den Gang seines ereignißreichen Lebens im einzelnen zu verfolgen, da die berufene Feder des mit Gottschall nahe befreundeten Feodor von Wehl sein Werden und Wachsen im Jahrgang 1867 der „Gartenlaube“ eingehend dargestellt hat. Auch ist von Moritz Brasch ein Schriftchen im Buchhandel erschienen (Leipzig, Oskar Gottwald), welches über die äußeren Schicksale und über das litterarische Schaffen des Jubilars erschöpfende Auskunft giebt. Unter denen aber, welche Rudolfs von Gottschall an solch bedeutsamem Tage mit dem Ausdruck ihrer Verehrung und Hochschätzung nahen und ihm für den Rest seines reichen Lebens die besten Segenswünsche darbringen, darf und möchte die „Gartenlaube“ nicht fehlen.

Sonderbare Wirkungen des Sturmes. Zu den überraschendsten Wirkungen der Wirbelstürme gehören die wohlverbürgten Thatsachen, daß man nach ihrem Aufhören Vögel fand, die aller Federn beraubt, und Menschen, denen alle Kleider vom Leibe gerissen waren. Auf die Gewalt des Windes konnten diese Erscheinungen nicht zurückgeführt werden, da ja Vögel und Menschen in solchen Fällen als Gesammtmasse vom Winde hätten fortbewegt werden müssen.

Eine Fülle ähnlicher Vorkommnisse wurde bei den Tornados beobachtet, die vor drei Jahren in Frankreich wütheten und über die nach und nach ausführliche Berichte gesammelt und gesichtet wurden. Danach wurden auf der ganzen betroffenen Strecke Bäume zerrissen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_666.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)