Seite:Die Gartenlaube (1893) 675.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


stadtbekannten nahen Beziehungen zu der Familie Hendloß zur Geduld und einigen neuen Vorschüssen zu bewegen.

Buschenhagen strich sich nachdenklich den Schnurrbart. Da kam ihm ein Gedanke. Die Uhr zeigte erst auf halb ein Uhr, er hatte gerade noch Zeit, bei der Hendloß einen kleinen Besuch zu machen, ehe er sich ins Kasino begab.

Er war eben im Begriff, an seine Toilette zu gehen, als ein Wortwechsel auf dem Flur draußen seine Aufmerksamkeit erregte. Unwillkürlich lenkte er seine Schritte der Thür zu. Er erkannte die Stimme seines Burschen, der mit einem andern, dessen Stimme dem Horchenden ebenfalls bekannt vorkam, immer mehr in Streit zu gerathen schien.

„Mensch, wenn ich Dir doch sage, daß der Herr Lieutenant schläft,“ erklärte Jänicke eben in aufsteigendem Zorn.

„So weck’ ihn auf!“ Kurz und schroff klang das aus dem Munde des Fremden.

„Daß ich verrückt wär’! Um eine Grobheit oder vielleicht gar den Aschbecher oder sonst was Hartes an den Kopf zu kriegen?“

„Aber ich muß ihn sprechen, und wenn Du mich nicht melden willst, so –“ der Sprechende bemühte sich offenbar, zur Thür zu gelangen, während ihm Jänicke den Weg zu vertreten schien.

„So nimm doch Vernunft an! Komm’ in einer Stunde wieder, vielleicht daß Du dann –“

„Da hab’ ich Dienst.“

„Na, dann warte, bis der Herr Lieutenant in die Kaserne kommt,“ begütigte der Bursche.

Der andere schien sich einen Augenblick zu besinnen, dann entgegnete er zögernd: „Es ist nichts Dienstliches, sondern eine Privatangelegenheit.“

„Eine Privatangelegenheit?“ Jänicke lachte laut auf. „Na, hör’ mal, ich möcht’ wohl wissen, was Du mit meinem Lieutenant für Privatsachen –“

„Das geht Dich nichts an,“ unterbrach ihn der Angeredete schroff. „Willst Du mich nun melden ober nicht?“

„Fällt mir gar nicht ein!“

„Gut, dann werde ich selbst –“

Ein heftiges Ringen entspann sich nach diesen Worten. Der junge Offizier sprang mit einem Satz zum Tisch zurück und drückte auf die Zimmerglocke. Jänicke erschien, hochroth in dem dicken pausbäckigen Gesicht, schnaufend und pustend. „Wer ist draußen?“

„Der Wagner, Herr Lieutenant – von des Herrn Lieutenants Zug. Ich hab’ ihm all gesagt, daß der Herr Lieutenant jetzt nicht zu sprechen sind. Aber er verlangt partuh –“

„So laß ihn herein!“

Jänicke entfernte sich, nicht ohne durch ein Kopfschütteln sein Befremden über den erhaltenen Befehl auszudrücken.

Ueber den Lieutenant war einige Sekunden lang eine jähe Bestürzung gekommen. Aber im nächsten Augenblick richtete er sich wieder hoch auf. Es war ja nicht denkbar, daß ein gemeiner Soldat es wagen würde, ihn, seinen Vorgesetztem zur Rede zu stellen! Lächerlich das, ganz undenkbar!

Wagner trat ein. Einen Schritt seitwärts von der Thür blieb er in dienstlicher Haltung stehen. Sein Gesicht war bleich, seine Augen hefteten sich fest und entschlossen auf seinen Vorgesetzten, der sich auf einen Stuhl niederließ.

„Was wollen Sie, Wagner?“ fragte Buschenhagen in einem Ton, aus dem Verlegenheit und Aerger klangen. Dem Soldaten schoß das Blut ins Gesicht, die Finger, die er vorschriftsmäßig an die Hosennaht gelegt hatte, geriethen in zuckende Bewegung. Er schluckte und würgte und begann dann: „Der Herr Lieutenant wissen etwas Näheres von dem, was sich gestern bei – bei mir zu Hause ereignet hat?“

„Nein!“ Das kam scharf und abweisend heraus.

In den Augen des Soldaten blitzte es auf; aber er entgegnete fast ruhig: „Der Herr Lieutenant waren zugegen, als ich abgerufen wurde, gestern bei der Instruktion –“

„Ja, ja – erinnere mich,“ warf Herr von Buschenhagen nachlässig hin. „Wie geht es Ihrer Schwester?“ Er zog sein Taschentuch hervor, nahm sein Monocle zwischen zwei Finger der linken Hand und begann, daran herumzuwischen.

In der Erregung, die ihn vorwärts trieb, setzte Wagner unwillkürlich den einen Fuß etwas vor, auch die Hände entfernten sich aus ihrer bisherigen Lage. Ohne auf die Frage seines Vorgesetzten zu antworten, sagte er finster: „Der Herr Lieutenant wissen, warum meine Schwester einen – einen Selbstmordversuch begangen hat?“

„Ich?“ Der Offizier hielt eben das Glas vor den Mund, um es anzuhauchen. „Wie sollt’ ich!“

Der Soldat schien immer mehr das Bewußtsein seiner untergeordneten Stellung zu verlieren. „So will ich es Ihnen sagen, Herr Lieutenant! Sie, Sie sind schuld, daß Klara sich ans Leben wollte!“ Rauh, mit unheilverkünbendem Grollen hatte er die Worte hervorgestoßen, während er mit einer heftigen Bewegung auf den Offizier deutete.

Dieser sprang auf und blickte den Untergebenen mit zornfunkelnden Augen an. „Mensch, was fällt Ihnen ein? Nehmen Sie die Hand herunter! Sofort! Wissen Sie, vor wem Sie stehen?“

Den Soldaten durchfuhr es wie ein elektrischer Schlag. Er zog mit einem Ruck den einen Fuß an den andern heran, aber seine Hände, die jetzt wieder an den Körper angelegt waren, ballten sich, seine Brust wogte.

Buschenhagen näherte sich dem Manne. „Wie können Sie sich unterstehen –“

Aus den Augen Wagners sprühte ihm ein so glühender Haß entgegen, daß er unwillkürlich innehielt. Mit vor Aufregung heiserer Stimme entgegnete der Soldat: „Ich wollte Sie nur fragen, Herr Lieutenannt, was Sie in dieser Angelegenheit zu thun gedenken.“

„Ich? In welcher?“

„In der Angelegenheit des Architekten Hagen und meiner Schwester.“

Buschenhagen schlug nun doch vor dem fest auf ihn gerichteten Blick Wagners seine Augen nieder. „Ach so, das ist also Ihre Schwester,“ versetzte er stockend.

„Ja, die Braut des Architekten Hagen ist meine Schwester, und es hat ihr fast das Leben gekostet, als ihr gestern ein Zufall enthüllte, daß dieser Hagen in Wirklichkeit der Lieutenant von Buschenhagen ist, von dem das Gerücht umgeht, er werde sich mit der Tochter des Kommerzienraths Hendloß verloben.“

Der Offizier hatte noch immer seine Fassung nicht wieder erlangt. Das Gefühl seines Unrechts überwog die Empfindung seiner beleidigten Würde.

„Ich habe meiner Schwester gesagt,“ fuhr Wagner lauernd fort, „daß dieses Gerücht eine Lüge sei.“

Der Lieutenant steckte die Hände in die Taschen seiner Joppe und erhob den Blick. „Das Gerücht ist wahr,“ erklärte er fest. Und mit emporgezogenen Augenbrauen, mit der hochmüthigen Ueberlegenheit des Vorgesetzten, in kaltem befehlenden Ton fuhr er fort: „Sagen Sie Ihrer Schwester, es thue mir leid, wenn sie sich falschen Hoffnungen hingegeben habe, die – die selbstverständlich unerfüllbar seien.“

Der Solbat fuhr zurück. „Unerfüllbar?“ rief er drohend.

Die Scene fing am dem Lieutenant fast langweilig zu werden. Diese lächerliche Unterredung hatte schon viel zu lange gedauert; es war Zeit, ein Ende zu machen. „Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen, Sie können gehen.“

Wagner zitterte am ganzen Leibe, sein Oberkörper beugte sich vor wie zum Sprunge, die Adern auf seiner Stirn schwollen an. In sich überstürzenden Worten stieß er hervor: „Woher nehmen Sie das Recht, ein braves Mädchen, in dem Sie monatelang den Glauben an Ihre Liebe genährt haben, von sich zu werfen wie ein Spielzeug, dessen man überdrüssig geworden ist? Ein Mann von Ehre –“

„Mensch, sind Sie von Sinnen?“ Der Lieutenant wies gebieterisch nach der Thür. „Fort! In der Kaserne werden Sie wohl wieder zur Vernunft kommen!“

Seiner nicht mehr mächtig, trat der Soldat dicht an seinen Vorgesetzten heran und schrie ihm ins Gesicht: „Also belogen, betrogen, schändlich an der Nase herumgeführt! Das ist wohl kavaliermäßig, nicht? Aber ich nenne es –“

Der gelle Klang der Glocke, zu der Buschenhagen gegriffen hatte, ließ das Folgende nicht mehr zu Gehör kommen. Jänicke, der augenscheinlich vor der Thür auf der Lauer gestanden hatte, war im Nu im Zimmer.

„Führe den Menschen da hinaus! Er findet den Weg nicht allein,“ befahl der Lieutenant kalt und drehte sich zum Fenster um.

Wagner fuhr zusammen und einen Augenblick schien es, als wollte er sich auf Buschenhagen stürzen, aber der Pommer hielt ihn mit kräftigem Arm zurück und zog ihn zur Thür hinaus, während er ihm erregt zuraunte: „Kerl, willst Du Dich unglücklich machen?“ (Fortsetzung folgt.)     


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_675.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)