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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Melanie kannte eine „billige“ Friseuse, die für alle fünf Köpfe zusammen nur zwei Mark fünfzig Pfennig rechnete – riefen ab und zu nach Mine, dem Stubenmädchen, und hetzten selbst Jette, die Köchin mit den dicken feuerrothen Armen, in aufgeregtem Lauf durch sämtliche Zimmer, daß der Fußboden zitterte und die Fensterscheiben klirrten.

Endlich kamen die Wagen, und nach einem letzten aufregenden Akt, in dem sämtliche Frauenstimmen wild durcheinanderschrieen, so daß der Oberlehrer die Hände an die Ohren legte und um Gnade bat, fuhr man in scharfem Trab, denn es war wirklich spät, nach dem Junkerhof.

Annaliese bekam ihre Tanzkarte, die sonst tagelang zuvor mit „Abonnements“ besetzt war, und wurde in den Saal geführt. Das erste, was sie dort sah, war Paul Gregory, der sich glückstrahlend vor ihr verbeugte und sie an ihren Platz begleitete.

„Wollen Sie mir gütigst einiges bewilligen? Darf ich um die Tanzkarte bitten?“ fragte er mit feierlicher Würde.

„Bitte!“ Mit einem Schelmenblick gab sie ihm das Kärtchen.

„Sie haben die Wahl, wie Sie sehen!“

Die Kaisertage in Metz: Vorbeimarsch der Truppen vor dem Denkmal Kaiser Wilhelms I.

Er betrachtete sie, die in dem duftigen frischen Kleid, mit einigen wilden Rosen im dunklen Haar, zum Entzücken aussah, mit einem langen sprechenden Blick. „Wärst Du nur arm, wirklich arm, Du süßes Geschöpf,“ sprach der Blick, „ich spräche Dir von meiner Liebe – so heiß, so stürmisch, daß Du nicht widerstehen könntest!“

Und Annaliese bemerkte den Blick, und das feine elfenbeinblasse Mädchengesicht wurde plötzlich so rosig wie die Blüthen in ihrem Haar – und da war auch das volle, berauschende Wohlgefühl wieder in ihr und fluthete ihr mit starken übermächtigen Schlägen zum Herzen. Sie empfand kein Ballfieber mehr und dachte nicht mehr an ihre einfache Toilette, an die leere Tanzkarte – Glück und Zuversicht schauten aus ihren Augen.

„Ein Tag wie der heutige kommt nicht wieder,“ sagte sich der Professor; „was nachfolgt, kann niemand wissen. Ein Narr, wer die Gelegenheit nicht ausnützt!“ und er schrieb seinen Namen einmal hin und noch einmal und noch einmal, bis Frau Melanie halb ärgerlich, halb lachend ausruf: „Halt, halt, mein Freund! Andere Leute werden auch noch etwas haben wollen! Annaliese gehört nicht Ihnen allein!“

„Leider!“ setzte Gregory im stillen hinzu und gab zögernd die Karte zurück.

„Darf ich bitten, gnädiges Fräulein?“ fragte es jetzt von links und eine begehrliche Hand streckte sich nach der Tanzkarte aus – Annaliesens Assessor vom Eis.

„Wer war das, Gerwald, bei dem Sie da herumschwänzelten?“ fragte zwei Minuten später ein hagerer Herr mit Monocle und nahm den Assessor beim Arm. „Ein reizendes Käferchem das da in Rosa!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_685.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2022)