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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

muß zugeben, daß dieser neue Zweig am Baume des Kunstgewerbes unverkennbare Fortschritte gemacht hat. Seinen Schöpfern ist es in der That gelungen, etwas Gediegenes zu bieten, das wohl imstande ist, weiten Kreisen einen Ersatz für die echte Glasmalerei zu geben. In Anbetracht der Verbreitung, welche die „Diaphanien“ (eigentlich „Durchscheinbilder“) bereits erreicht haben, und der Zukunft, die ihnen bevorsteht, dürfte es für unsere Leser gewiß nicht ohne Interesse sein, über die Herstellungsweise dieser Bilder Einiges zu erfahren.

Es handelt sich dabei im wesentlichen darum, farbige Kunstdrucke so durchscheinend zu machen, daß das Ganze, gegen das Licht gehalten, den Eindruck macht, als ob es eine Glasmalerei wäre. Damit diese Kunst gelinge, müssen aber viele Vorbedingungen erfüllt werden. Zunächst kommt es auf die Wahl des Druckstoffes an, der besonders geartet sein muß, dann auf die Wahl der Farben, die nicht verblassen dürfen und deren Wirkung auf das durchfallende Licht zu berechnen ist; dann auf die Wahl der Chemikalien, welche die Kunstdrucke so durchscheinend zu machen haben, als wären sie wirklich wasserklares Glas. Jede von diesen Einzelheiten ist von der größten Bedeutung, erst wenn alle richtig getroffen sind, kommt eine Leistung zustande, die unser Gefallen erregt und neben der Glasmalerei bestehen kann. Selbstverständlich bilden diese Einzelheiten: die Zusammensetzung des Druckstoffes, der Farben etc., das wohlgehütete Geheimniß der Kunstanstalten , welche sich mit der fabrikmäßigen Herstellung solcher Diaphanien befassen.

Das Verdienst, auf diesem Gebiete die Errungenschaften der Technik mit den Anforderungen der Kunst in glücklichem Maße vereinigt zu haben, gebührt der Anstalt von Grimme und Hempel in Leipzig, deren Werkstätten wir einen kurzen Besuch abstatten wollen.

Der erste Theil ihrer Thätigkeit betrifft die künstlerische Seite, die Beschaffung von Vorlagen für die Diaphanien. Als solche können bereits vorhandene berühmte Oelgemälde oder Aquarelle benutzt werden, oder es werden Künstler besonders beauftragt, bestimmte Bilder wie Blumenstücke oder Landschaften für die Zwecke der Anstalt zu malen. So haben von Mitarbeitern der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau eine Reihe amerikanischer Landschaften, darunter Ansichten der Niagarafälle, und H. Heubner außer vielen meist alpinen Ansichten auch solche von Schwarzburg-Rudolstadt für die Anstalt geliefert. Das neueste sind Porträts von Mr. und Mrs. Cleveland, welche in Amerika durch die New Yorker Zweigniederlassung vertrieben werden.

Die nächste Aufgabe besteht nun in der Vervielfältigung der Vorlagen; es werden mit Hilfe des lithographischen Verfahrens farbige Bilder gedruckt, die den farbigen Kunstbeilagen zur „Gartenlaube“ durchaus ähnlich sehen, nur daß eben wie gesagt Druckstoff und Farben anders beschaffen sein müssen. Die Räume, in welchen diese Vervielfältigung besorgt wird, bieten im großen und ganzen denselben Eindruck wie die einer chromolithographischen Anstalt.

Nachdem die gedruckten Bilder getrocknet sind, gelangen sie in eine neue Abtheilung, in welcher sie durchscheinend gemacht werden. Hier duftet es nach ätherischen Flüssigkeiten, hier wandern die Bogen in verschiedene Behälter, bis sie nach einer bestimmten Zeit durchscheinend wie Glas geworden sind. Nun ist das Bild, wenn wir es vor einem dunklen Hintergrunde ansehen, unscheinbar geworden, es leuchtet aber im schönsten Glanze, wenn wir es gegen das Licht betrachten.

Der Gang der Arbeit erscheint somit ungemein einfach, in Wirklichkeit aber ist er sehr verwickelt; denn die Farben wirken auf einem undurchsichtigen Stoffe ganz anders als im durchfallenden Lichte, und es kostet viele Probebilder, bis es endlich gelungen ist, die Farben so aufzutragen, daß sie in der Diaphanie zu einer richtigen künstlerischen Wirkung gelangen.

Jetzt wird das durchscheinend gemachte Bild getrocknet und sieht nun wie ein farbig gedrucktes, mit Lack bestrichenes Gelatineblatt aus. Die Diaphanie ist fertig. Sie wandert alsdann in die Glaserwerkstätte der Anstalt, wo sie zwischen zwei Scheiben eingefügt wird. Bevor dies aber geschieht, wird noch jedes Blatt genau nachgesehen und, wo irgend ein kleiner Fehler, ein weißes Tüpfelchen oder dergleichen sich vorfinden sollte, die Retouche von geübter Hand vorgenommen in ähnlicher Weise, wie dies bei den Negativplatten der Photographen geschieht. Das in der Doppelscheibe verwahrte Bild kann nun einfach in einen Nickelrahmen gefaßt und so verwerthet oder aber auch mit Randleisten, Einfassungen, Ornamenten aller Art von Kathedralglas, Butzen, Knöpfen etc. umgeben werden. Am überraschendsten wirkt die Diaphanie, wenn ihr Hauptbild – sagen wir beispielsweise Rafaels Sixtinische Madonna – zum Mittelpunkt einer den ganzen Fensterrahmen ausfüllenden Scheibe gemacht wird.

Schon heute ist die vorliegende Auswahl von Bildern sehr groß: Bildnisse der deutschen Kaiser und berühmter Männer, Charakterköpfe großer Künstler, religiöse Bilder, moderne Genre- und Thierbilder, Naturansichten werden in gleich vorzüglicher bewährter Technik ausgeführt.

Wir zweifeln deshalb nicht, daß es gelingen werde, den neuen schönen Fensterschmuck volksthümlich zu machen und dadurch dem modernen Wohnhaus einen Abglanz der farbig schimmernden Romantik längst verklungener Zeiten zu verleihen.


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Sein Minister.

Novelle von E. Merk.

 (1. Fortsetzung.)

Emil biß sich auf die Lippen und suchte seine Verlegenheit, seinen Aerger zu verbergen über das rasche Verschwinden der Generalin, das ihn in der dämmerigen Schwüle Auge in Auge mit dem Mädchen festbannte, von dem er sich doch losreißen wollte. Er wäre lieber meilenweit gelaufen, statt dies Alleinsein zu ertragen, das ihn zu reden zwang, das seinen Plan eines stummen Rückzugs vereitelte. Wollte denn niemand, niemand kommen? Er hätte den nächsten besten Menschen, die älteste, häßlichste Dame wie einen Götterboten begrüßt. Aber es blieb still in dem Garten. Kein Lüftchen regte sich mehr; nur heißer Blumenduft stahl sich durch die Vorhänge in das Zelt. Dora war bleich geworden, ihre Augen brannten. Ihr erschienen diese ungestörten Minuten als ein Wunder, das eine gütige Macht sandte, um ihr die ersehnte Klarheit, die volle Gewißheit ihres Glücks zu verschaffen. Aber wie sie jetzt, von seinem Schweigen bedrückt, in sein Gesicht blickte, erschrak sie. Das waren nicht mehr die strahlenden Augen, die sonst so flehend die ihrigen gesucht hatten – er schien bekümmert, verstimmt und sah starr in die Weite.

„Das Schicksal scheint zu wollen. daß ich ein zweites Mal in Ihrer Nähe die Besinnung verliere, Fräulein Dora,“ begann er dann. „Ich habe um Ruhe gerungen, um Selbstbeherrschung. Ich fühle, wie nutzlos alles war, wie der Kampf aufs neue beginnt, sobald ich in Ihr liebes Gesicht schaue.“

Dieser Ton der Klage, statt des Jubels, den sie erwartete, diese düstere Miene in einem Augenblick, da sie auf einen Freudensturm hoffte, machte sie völlig verwirrt. Fast besinnungslos stieß sie hervor: „Sie bereuen, was Sie an jenem Abend zu mir gesprochen haben? Sie lieben mich nicht?“

Er hatte den Kopf gesenkt und horchte, ob denn kein Schritt sich nähern wolle. Nein – keine Rettung! Er mußte reden! „Dora“ sagte er in seinem sanftesten Tone, „wie können Sie zweifeln an meinem Gefühl? O glauben Sie mir, es wäre für mich das höchste Erdenglück, Ihre Hand fassen zu dürfen mit der Bitte: sei mein auf immer! Ja, das höchste Erdenglück wäre es, wenn ich aller Welt zujubeln dürfte: seht, das schönste herrlichste Mädchen habe ich mir erobert! Aber es ist nicht jedem vergönnt, den Himmel auf Erden zu haben, Ich darf Ihr Los nicht an mein bescheidenes Leben knüpfen – um Ihretwillen darf ich es nicht, Dora! Es wäre ein Unrecht an Ihrer Jugend, an Ihrer Zukunft. Sie sind wie geschaffen für eine glänzende Lebensstellung, die Natur selbst hat Sie dazu bestimmt, emporzuragen über die niedere Alltagswelt. Ein reicherer, freierer Mann wird das Ziel meiner Sehnsucht erreichen, während ich wohl graue Haare haben werde, bis meine Stellung mir erlauben wird, ein eigenes Heim zu gründen. Aber glauben Sie mir – verehren, lieben kann jener Glücklichere Sie nicht heißer als ich. Und darum, um dieser schmerzlichen Liebe willen, verzeihen Sie mir, daß ich mich in einer trunkenen Sekunde hinreißen ließ, Ihnen meine Gefühle zu verrathen. Gönnen Sie mir den einen Augenblick des Glücks, den ich in einer unvergeßlichen Stunde –“ seine Redegewandtheit hatte ihn verlassen unter dem starren Blick ihrer Augen. Je wärmere Worte er suchte, desto weniger traf er einen überzeugenden Ton. Wie hohle Phrasen glitten ihm die Betheuerungen von den Lippen, bis er, von ihrem regungslosen Gesicht verwirrt, den Muth verlor, weiter zu sprechen.

Dora entgegnete kein Wort. Das poesieumflossene Wunderland, das sie seit jenem Maientage vor sich gesehen hatte, die selige Insel, der sie bisher zustrebte, wie von goldener Wolke getragen – sie waren plötzlich versunken gleich einer täuschenden Fata Morgana. Eine starre Wüste lag um sie her – die endlose Leere. Wie betäubt von dem Unbegreiflichen, vermochte sie kein Wort zu finden.

Das Schweigen zwisschen ihnen ward immer drückender. Emils Beschämung wuchs vor dem großen stummen Schmerz, der aus Doras verstörten Zügen sprach; eine Ahnung ergriff ihn von einer Tiefe in dieser Mädchenseele, vor der sein Gefühl in Nichts zusammensank, und er grollte sich selbst, daß er sich in eine so peinliche Lage verstrickt hatte, in der all seine gerühmte Gewandtheit nicht standhalten wollte. Da wurden zu seiner Befreiung Stimmen laut, Schritte kamen über den Kiesweg. Dieses entsetzliche Alleinsein nahte seinem Ende!

Dora schrak zusammen; sie griff nach Hut und Schirm und schob den Stuhl zurück.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_734.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)