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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Wohnstätten der ausländischen Völker nach einem Theil des Ausstellungsplatzes, wo eine solche Schädigung ausgeschlossen war, nach einem über 1500 Meter langen und 150 Meter breiten Landstreifen, der westlich an den Weltausstellungsplatz anstößt und eine Verbindung mit dem benachbarten Süd- oder Washingtonpark bildet. Dort brachte man die fremden Völkerschaften derart unter, daß ihre Hütten und Tempel eine breite Straße bilden, in deren Mitte der Strom der Besucher dahinfluthet.

Eine merkwürdigere Straße als diese sogenannte Midway Plaisance, einen reichhaltigeren Völkerjahrmarkt, ein buntfarbigeres, tolleres und abenteuerlicheres Leben hat es sicherlich nie gegeben.

In der Straße von Kairo.


Schon von fernher vernehmen wir den merkwürdigen Zusammenklang der verschiedenartigsten Instrumente: das scharfe Gequietsche des schottischen Dudelsacks, das dumpfe, eintönige Dröhnen orientalischer Kesselpauken, die schmetternden Klänge deutscher Militärmusik, das Gerassel samoanischer Tänzer, das Gefiedel chinesischer Schauspieler und die wiegenden Weisen eines von den „Deutschmeistern“ gespielten Wiener Walzers. Ein ebenso seltsames Gemisch fremdartiger Architekturen verwirrt den Nähertretenden; da sind polynesische Rohrhütten, altirländische Wartthürme und Burgruinen; chinesische Pagoden und übermäßig schlanke türkische Minarets; Indianerzelte und javanische Bambushäuser; altdeutsche, mit Wetterfahnen gekrönte Dachgiebel und lappländische Fell- und Erdhütten. Augen und Ohren sind von einem fremdartigen Zauber umfangen, und nicht ohne Grund ist Midway Plaisance der Zielpunkt aller derjenigen, welche nach der harten Arbeit des Sehens und Lernens in den Weltausstellungspalästen eine leichtere Zerstreuung suchen.

Da ist zunächst auf der rechten Seite von Midway Plaisance ein langgestrecktes, blendend weißes Gebäude, dessen weithin sichtbare Aufschrift einen „internationalen Kongreß der Volkstrachten und eine Ausstellung weiblicher Schönheiten“ verheißt. Da darf man nicht fehlen; wir erlegen unsern Obolus und betreten eine weite Halle, in welcher auf einer an den Wänden entlang laufenden Bühne gegen vierzig Schönheiten aller Rassen und Nationen sitzen: die Polin mit hohen Stiefeln und weißer, pelzverbrämter Kassabaika, die Griechin im edlen, klassischen Gewand, die Ungarin mit farbigem Rock und bauschigen, reichbestickten Hemdärmeln, die Spanierin mit ihrer unerläßlichen Mantilla, die Tirolerin mit Spitzhut und Mieder, das blonde Mädchen aus dem Schwarzwald mit rothem Rock und schwarzen Haarbändern etc. Die „Manager“ oder Unternehmer dieser Schönheitengalerie haben es sich, was die Echtheit der Nationalitäten betrifft, offenbar leicht gemacht, denn die Mehrzahl der Damen hört merkwürdigerweise sehr gut auf die Wiener Mundart, während sie, will man sie in der Sprache desjenigen Landes anreden, welches sie vertreten, fast ausnahmslos versagen. Nur da, wo sich der Mangel an „Nationalität“ nicht so leicht durch Perücke und Schminke verdecken ließ und wo echte Vertreterinnen billig genug zu haben waren, sehen wir wirklich echte Typen, wie z. B. die sich vorzüglich auf die Fächersprache verstehende Cubanerin, die unausgesetzt Cigaretten rauchende Creolin, die träge Negerin, die gluthäugige Quadronin und die krüppelfüßige Chinesin. –

Aus dem Schlot des nächsten Gebäudes quellen mächtige Dampfwolken hervor. Im Innern des runden Bauwerks hantieren zahlreiche Männer um einen riesigen Hochofen, dessen Oeffnungen sie mit langen Eisenstäben weißglühende Massen geschmolzenen Glases entnehmen, um daraus allerhand Gefäße, Schmucksachen und Spazierstöcke zu formen. An einer Stelle werden die Glasklumpen sogar zu unendlich feinen Fäden ausgezogen und diese Fäden zu – dauerhaften Damenkleidern versponnen. Das erste der hier verfertigten Damenkleider, das sich ebenso weich und geschmeidig anfühlte, als ob es aus Seide gewoben wäre, kam in den Besitz der gerade anwesenden spanischen Infantin Eulalia.

Schreiten wir weiter die breite Straße entlang, so kommen wir an einem elektrischen Theater, an japanischen Bazaren und einem irländischen Dorf vorüber zu der ausgedehnten, an 50 Häuser umfassenden Niederlassung der Javanen.

Welch ein liebenswürdiges, bescheidenes Völkchen diese Javanen sind! Da leben sie in ihren Bambushütten ein friedliches anspruchsloses Dasein. Die gütige Mutter Natur gewährt ihnen alles, was sie bedürfen, in reichem Maße, Brotfrüchte, Kokosnüsse, Reis, Pifang und Hühner, und so blühen, reifen und welken diese Menschenkinder, ohne etwas von dem schweren, mühseligen Kampf zu ahnen, den so viele, viele ihrer weißen Mitbrüder tagaus tagein ums tägliche Brot zu führen haben! Da sitzen sie und leben ihren einfachen Beschäftigungen. Die Franen weben und färben in derselben kunstlosen Weise ihre Zeuge, wie ihre Ururgroßmütter es gethan; die Männer flechten Strohhüte, drehen Cigaretten, üben sich mit langen Blasrohren im Scheibenschießen oder lauschen dem Glockenspiel, nach dessen melodischen Klängen schöne Serimpis und maskierte Schauspieler dieselben Tänze aufführen, wie sie, den Skulpturen an den großartigen Tempelruinen zu Boro Budor nach zu schließen, schon vor einem Jahrtausend in Java getanzt wurden. –

Vom Javanischen Dorf haben wir nur wenige Schritte zum Deutschen Dorf, dessen Schilderung wir bereits in einem früheren Artikel (Nr. 37) gegeben haben. Ihm schließt sich ein persisches Theater an, wo halbnackte persische Athleten aufregende Ringkämpfe und Kraftproben vollführen. Gleich dahinter zieht sich die höchst malerische Straße von Kairo dahin, eine enge, gewundene Gasse mit Bazaren und verschlagähnlichen Kaufläden, in denen buntfarbige Seidenzeuge, Rosenöl, wohlriechende Gebetkränze, Muscheln aus dem Rothen Meer, sudanesische Waffen, Töpfereien, Alterthümer und tausend andere Dinge feilgeboten werden, während in dem Gewühl der Gasse die nimmermüden Eseltreiberjungen mit heiserer Stimme ihre „Cleveland-, Bismarck-, Gladstone- oder Patti-Esel“ zu Benutzung anpreisen.

Am oberen Ende der Straße von Kairo sehen wir die wohlgelungene Nachbildung des altägyptische Tempels zu Luksor, in dessen weiten Hallen nicht nur der ganze Ritus des altägyptischen Gottesdienstes vollzogen wird, sondern auch zahlreiche Mumien und Grabstätten gezeigt werden.

Gleich neben diesem Tempel, mitten in der Völkerstraße, erhebt sich das weithin sichtbare Wahrzeichen der Midway Plaisance, Ferris Rad, nach seinem Erbauer so genannt, eine „russische“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_749.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)