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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Seine letzten Jahre widmete er überhaupt guten Werken. Er wandte sein Augenmerk vor allem der Armee zu, die er von Herzen liebte, sorgte in jeder Weise für die „Verwundeten der Land- und Seetruppen“ und ging hierin wie bei jeder Gutthat mit eigenem Beispiel voran, wie auch seine Frau, welche das Departement der bürgerlichen Armen und Elenden verwaltete.

*  *  *

Nun, da ich diese Erinnerungen niederschreibe, liegt der alte Held der Krim still und bleich auf seinem Lieblingsschloß La Forest – während in Paris die Fahnen flattern, Trompeten schmettern, Trommeln rasseln und der russische Admiral Avellan auf dem Balkon des Cercle militaire die Trikolore küßt.

Im ganzen hat wohl selten ein Sterblicher in solchem Maße der „Götter Gunst“ erfahren wie Mac Mahon. Selbst berufliche Mißgriffe endeten schließlich zu seinem persönlichen Besten; eine gewisse Naivetät, sein gerader Sinn, seine reine Hand und reine Sitte entwaffneten den Gegner. Ueber den Soldaten, den Staatsmann gehen die Ansichten auseinander; aber sein Land ehrt in ihm den modernen „Ritter ohne Furcht und Tadel“, und in dieser Zeit der verdächtigen Kompromisse und der unsaubersten Selbstsucht hat er seinen Werth, der einstimmige Nachruf: „Er war ein braver Mann!“

Hätten wir Sitz und Stimme im Familienrath, so würden wir auf seinen Grabstein die Worte eingraben lassen, mit denen er sein Entlassungsschreiben schloß:

„Während meiner 53jährigen Thätigkeit als Soldat und Bürger handelte ich stets nach Ehre und Pflicht und mit unbegrenzter Hingebung an das Vaterland!“


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Sein Minister.

Novelle von E. Merk.

     (3. Fortsetzung.)


Es fällt einer Frau immer schwer, einem Mann gegenüber, der ihr nicht gleichgültig ist, die richtige Grenze in ihrem Benehmen zu finden. Um nicht freundlich zu scheinen, war Dora beleidigend unhöflich gegen Emil; um nicht zu zeigen, daß ihr die Vergangenheit noch etwas bedeute, schien sie auch seine Gegenwart kaum zu bemerken. Und gerade diese schroffe Abweisung reizte ihn zum Widerstand mit allen Mitteln. Er glaubte zwar zu wenig an die Echtheit der Geringschätzung, die sie gegen ihn an den Tag legte, um zu befürchten, daß sie die freundlichen Gesinnungen ihres Gatten für ihn erschüttern und ihm ernstlich schaden würde. Nein, je mehr sie ihn zu hassen vorgab, desto klarer wurde ihm, daß sie ihn noch immer liebe. Aber er war zu eitel, um die Mißgunst einer schönen, gefeierten, einflußreichen Frau und die beständige Zurücksetzung in ihrem Salon mit Gelassenheit ertragen zu können, vollends da er von Doras Gatten oft in deren Nähe gezogen wurde.

Es gehörte Emils aalglatte Geschmeidigkeit und seine ganze Diplomatie dazu, um es ihm zu ermöglichen, gegen Doras Unliebenswürdigkeit mit den alten Waffen anzukämpfen, ohne den Verdacht des Gatten zu erwecken. Aber er war Meister darin, eine Sekunde zu erhaschen, in welcher er die junge Frau mit einem feurigen Flehen, einer stummen Klage in den Augen unbemerkt, anblicken konnte, und dann, sobald die Aufmerksamkeit sich ihm wieder zuwandte, ruhig im Gespräch fortzufahren. Er verstand sich darauf, sie immer wieder durch eine Bemerkung, ein Wort, das für niemand auffällig war, an die Vergangenheit zu erinnern, an jenes Maifest, an die Nachmittage bei der Generalin, an die Zeit ihrer Liebe. Mitten in der allgemeinen Unterhaltung geschah das, selbst wenn ihr Gatte zuhörte, so daß es ihr unmöglich war, sich gegen den Zwang zu wehren, den er auf ihr Gedächtniß ausübte.

So fremd und kühl sie sich also dem Anscheine nach gegenüberstanden, es war doch ein heimlicher Kampf zwischen ihnen, der seine Gefahren hatte. Emil war überzeugt, daß er in diesem Kampfe Sieger bleiben, daß sein unermüdliches Betteln um einen freundlichen Blick, das beredte Bekenntniß seiner Augen sie endlich bezwingen werde. Er wollte ja nicht um Liebe werben, nur um Freundschaft. Aber eines hatte er nicht in Betracht gezogen, gerade das, was so nahe lag und wirklich geschah: daß die schöne Frau, um deren Gunst er sich mühte, dabei Macht über ihn selber gewann, eine Macht, die sogar seinen Ehrgeiz zu ersticken drohte, die seine Vernunft verwirrte, die ihn aus seinem vorgesteckten Wege fortriß, einem Abgrund entgegen. Dora war jetzt noch schöner als in ihrer Mädchenzeit. Ihre stolze Gestalt schien wie von selbst in dem glänzenden Kreise die erste Stelle einzunehmen; es lag über ihr ein Hauch der Vornehmheit, dem gerade der Assessor nur schwer zu widerstehen vermochte.

Die Entdeckung, daß er auf dem besten Wege sei, sich in eine schwüle Leidenschaft für die junge Frau zu verstricken, machte Emil bestürzt. Er fürchtete die Augen des Ministers, fürchtete, sich zu verrathen, und suchte nach einer Maske für seine Empfindungen. Am klügsten schien es ihm, durch seine Bemühungen um eine andere Dame jeden Verdacht abzulenken. Er hatte Ida von Kammerling, die Tochter eines Ministerialrats, dessen Gunst ihm von Nutzen sein konnte, schon früher ausgezeichnet; nun that er es in auffälliger Weise. Das junge Mädchen war weder schön noch liebenswürdig, vielmehr eckig in Erscheinung und Wesen, und ein scharfer Zug um ihren Mund ließ nicht eben auf die friedlichste Gemüthsart schließen. Sie hatte von seiten der Männer noch nicht viel Liebenswürdigkeiten erfahren, so machten ihr denn die Aufmerksamkeiten des hübschen und verwöhnten Assessors einen um so größeren Eindruck. Emil aber begegnete öfter, wenn er im Salon des Ministers lebhaft plaudernd neben Ida stand, den Augen Doras; ein leidenschaftlicher zorniger Ausdruck lag in ihnen, der ihn triumphieren machte. O, endlich hatte sie sich verrathen – sie war eifersüchtig, sie liebte ihn noch!

In der That suchte Dora vergebens, einer eifersüchtigen quälenden Unruhe Herr zu werden, wenn sie den Assessor in der Nähe des Mädchens sah, mit dem das allgemeine Gerücht ihn bereits verlobte. Immer wieder schweiften dann ihre Blicke zu dem blonden Manne hinüber, der sich lächelnd zu seiner Nachbarin hinabneigte, und eine Marter folterte sie, die sie mit Angst vor der Zukunft erfüllte. Emil aber spielte sein doppeltes Spiel weiter. Wenn er Dora stundenlang alle Qualen der Eifersucht hatte kosten lassen, dann starrten seine Augen sie plötzlich an, so sehnsüchtig, so verzehrend, als wollten sie sagen: ich bin unglücklich! Siehst Du denn nicht, daß ich mich nur betäube, zu vergessen suche und nicht vergessen kann?

Einmal, als man sich im Musikzimmer niedergelassen hatte, um dem Vortrag einer Sängerin zu lauschen, stand Emil dicht neben Dora und heimlich von der Seite schaute er sie an, unablässig. Da konnte sie sich nicht länger beherrschen, und in herbem Ton bemerkte sie, ohne ihn anzusehen. „Neben Fräulein von Kammerling ist noch ein Ptatz frei, Herr Assessor!“

„Sie spotten, Excellenz!“ erwiderte er leise und blieb.

Sie verwandte die Augen nicht von der Sängerin, aber sie fühlte seine Blicke, seine Nähe. Es war ihr, als durchfluthe ihr banges Herz ein heißer Strom, und das stürmische Liebeslied, das durch den Saal klang, erschien ihr wie der Aufschrei ihrer eigenen verworrenen Gefühle.

Das Glück ist ein seltsames Ding. Dora hatte allen Grund, mit ihrem Dasein zufrieden zu sein. Ihr Mann überschüttete sie mit Güte, sie war umgeben von einem Glanz, den sie sich noch vor kurzem nicht hätte träumen lassen – aber je mehr Gutes ihr zu theil wurde, desto mächtiger regten sich unerfüllbare Wünsche und sie klagte das Schicksal an, daß es ihr nicht ein heißeres Liebesglück beschieden hatte. Und da von allen Seiten in schmeichelnden Worten ihre Schönheit, ihre unwiderstehliche Anmuth gepriesen wurde, so stieg ihr Glaube an ihre Macht über die Herzen, und sie begann sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß Emil doch in Wahrheit dieser Macht nicht habe widerstehen können, daß seine Liebe echt sei. Ja vielleicht war dieselbe erst jetzt voll erwacht! Vielleicht hatte sich ihr einst ein Hinderniß entgegengethürmt, von dem sie nichts ahnte – vielleicht hatte auch er gelitten! Aber sie wurde solcher Erwägungen doch nicht froh. Immer wieder empfand sie ein wahres Grauen darüber, daß er sich mehr und mehr in ihre Seele drängte, daß ihr Ringen nutzlos zu werden drohte gegen den Bann, der ihren Willen umstrickte.

Sie war so viel allein. Ihr Gatte hatte gehäufte Berufsgeschäfte, ernste Sorgen. Der König, dessen Gehörleiden immer mehr zunahm, zog sich fast gänzlich in die Einsamkeit zurück; die Minister konnten nur schwer die nöthigen Unterschriften erlangen. Seit der Kabinettsekretär Herwald in Ungnade gefallen war, hatten die Günstlinge rasch gewechselt, und zu alledem hatte sich der unglückliche Herrscher seinem Sohne, dem künftigen Thronfolger, gänzlich entfremdet. Der heißblütige junge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_767.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2023)