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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

anderem wecken; die erhabene Wüste mag auch hier jenem kampflustigen Schlag von Männern erzeugt haben, die, nach Gefahren und Abenteuern ausspähend, von der Seligkeit träumen, einst in einem wunderbaren Paradiese zu erwachen, wohin irdische Helden im Augenblick des Todes von schönen Walküren getragen werden.

Aber die ungebundene Freiheit der Wüstenfürsten erlitt schon schwere Einbuße, als der Halbmond siegreich in Indien vordrang. Wohl stürzten sich die Todesmuthigen von der Höhe der Burg auf die Feinde, angefeuert von den Barden -„unter dem Klange der Speere und Schilde, beim Aufblitzen der Schwertstreiche, als blutrothe Lotosblumen auf dem Ocean der Wahlstatt zum Sonnenpalaste zu schwimmen und sich des Anblicks zu freuen, wie Siwa sich einen Rosenkranz aus Totenschädeln fertigt“; aber die Ueberlebenden wurden zu Vasallen des Großmoguls; nun war die stolze Burg von Dschodpur zu groß für die zusammengeschmolzene Macht.

In den Felsen der Burg ist eine Schatzkammer ausgehauen, die noch heute die reichste von ganz Indien sein und Kostbarkeiten im Werthe von 30 Millionen Mark bergen soll. Auch eine Rüstkammer fehlt nicht in dem Sitze der ritterlichen Fürsten; dort sind die prachtvollsten Rüstungen und Waffen aus alten Zeiten aufgehäuft. Aber seit der Sepoy-Empörung vom Jahre 1857, an der auch Dschodpurs Reiterscharen teilgenommen hatten, ist die Gegend bezwungen; der Maharadscha zahlt England den schuldigen Tribut und die Kanonen der Burg schweigen. Dafür blüht ein anderes Leben am Rande der Wüste auf. Der seit 1873 regierende Fürst sorgt für die Wohlfahrt seines 2 1/2 Millionen Einwohner zählenden Landes; er hat dem Räuberwesen ein Ende gemacht, überall kommt die Gerechtigkeit zur Geltung, die Fehden des Adels sind beigelegt worden; es giebt regelrechte Postverbindungen , die großen Staatsschulden sind getilgt, Wasserwerke werden angelegt und der Maharadscha hat eine schmalspurige Eisenbahn bis an seine Residenz bauen lasten.

Das ist die Geschichte der Burg von Dschodpur, die auf den „Gefilden des Todes“ emporgeblüht ist wie eine Märchenblume im Wüstensande. Wir sind in unserer Darstellung zum großen Theil dem Prachtwercke. „Orientreise Sr. Kaiserl. Hoheit des Großfürsten-Thronfolgers Nikolaus Alexandrowitsch von Rußland“ gefolgt, das von einem der Begleiter des Thronfolgers, dem Fürsten E. Uchtomskij, verfaßt, von dem russischen Maler Karasin, einem Schüler Dorés, in trefflicher Weise illustriert worden ist und von dem eine deutsche Ausgabe nach der Uebersetzung von Dr. Hermann Brunnhofer im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig erscheint. Es ist ein prachtvolles Werk, das uns in eine Welt von Wundern einführt: Griechenland , das - alte und moderne Aegypten, Indien mit feinen Wunderbauten und seiner grandiosen Natur, Ceylon, Java, Siam, das Reich des weißen Elefanten, China, das heiter schöne Japan und das unermeßliche Sibirien gleiten in glänzenden Bildern an unseren Augen vorüber.






Photographie auf dem Meeresgrund. (Zu dem Bilde Seite 757.) Im überraschender Fülle und Mannigfaltigkeit haben wissenschaftlicher Sammeleifer und Forschungstrieb in den letzte Jahrzehnten neue, der Wissenschaft bisher unbekannte Thiere aus dem Schoße des Meeres heraufgeholt, und wer die umfängliche, reich illustrierten zoologische Reisewerke der letzten Zeit durchsieht, den mag wohl der Wunsch beschleichen, diese sonderbar gestaltete, oft in de leuchtendste Farbe prunkenden Geschöpfe des Meeres auch einmal im Leben zu belauschen, sie in ihrer Heimath auszusuchen. Freilich - die gewaltigen Abstürze des Meeres, die „purpurne Finsterniß“ bleibt dem körperliche Auge des Menschen stets verschlossen, nur mittelbar erlangen wir Kunde von den Tiefen, in denen in schlammigem Grund mit schwankem Stiel als lebende Zeugen längst vergangener Erdperioden die Haarsterne wurzeln, während bizarr gestaltete Fische das Wasser durcheilen, mit eigenem Licht das ewige Dunkel erhellend. Die Fülle des Lebens aber, die das Meer in geringerer Tiefe entwickelt, ist dem Menschen zu sehen erlaubt; die hierzu übliche Toilette ist nicht gerade bequem oder elegant aber der sichere Taucheranzug, dessen sich der Reisende bedient, gestattet ihm, gefahrlos und in Ruhe die Wunder der Tiefe zu betrachten. Um das Haupt des unterseeischen Wanderers spielen neugierig die Fische und während vielleicht der bleisohlenbeschwerte Fuß über die zerfallenen Mauern eines Prunkhauses der römische Kaiserzeit dahinschreitet , das einst an der Küste gestanden ist, nun aber mit der Senkung des Landes in die Fluthen untergetaucht ist, greift seine Hand nach einem Tintenfisch, der sich wie derjenige auf unserem Bilde das zerfallene Gemäuer als Raubritterburg ausersehen hat, oder pflückt vom benachbarten Felse die Blumen des Meeres, zierliche Korallenzweige.

Ganz von selbst tritt da der Wunsch auf die mannigfachen Eindrücke dauernd zu fassen und das eigenartige Bild wenigstens in seinen Hauptzügen festzuhalten. Ein junger französischer Gelehrter, Dr. Bouton, hat den Gedanke zur That gemacht, die Photographie in den Dienst auch dieses Zweiges unterseeischer Forschung zu stellen; der Aufenthalt auf der französischen zoologischen Station Banyuls-sur-Mer, am Mittelmeer nahe der spanische Grenze, bot ihm Gelegenheit, eine Reihe unterseeischer photographischer Aufnahmen zu machen. Die Hilfsmittel, welche der Gelehrte benutzte, waren sehr einfach. Nächst dem photographischen Apparat ist das weitere Haupterforderniß eine mit Sauerstoff gefüllte Tonne, mit welcher eine Glasglocke verbunden ist, in der eine Spiritusflamme brennt; eine einfache Vorrichtung gestattet, nach Belieben an der Flamme Magnesiumpulver zu zerstäuben, bei dessen blitzartigem Aufleuchten die Momentphotographien gewonnen werden. Löcher in der Tonne gewähren dem Seewasser Zutritt zur Druckregulierung bei der allmählichen Abnahme des Sauerstoffs.

Mit Hilfe dieses Apparates hat Dr. Bouton eine Reihe Aufnahmen an der Küste von Banyuls gemacht und damit für einen neuen Zweig der wissenschaftlichen Forschung wie des Liebhabersports Anregung gegeben. Vielleicht bekomme wir einmal ein Album in die Hand, das uns eine Reihe unterseeischer photographischer Bilder vorführt, ähnlich wie wir jetzt eine Zusammenstellung von Reisebildern aus der Schweiz, aus Norwegen und aus anderen Zielpunkten des Reiseverkehrs durchblättern. Und mit dem, was uns die Oberfläche des Landen bietet, dürfen sich an Mannigfaltigkeit und malerischer Gestaltung die unterseeischen Landschaften, die „Meerschaften“, wie ein schon hier und da gebrauchter, aber noch sehr ungewohnt klingender Ausdruck lautet, kecklich messen. Wohl mag es auch hier manche langwellige Partie geben; wo das Ufer sich sanft abflacht und auf Seemeile hinaus der Boden sich ganz allmählich senkt, da bietet er keinen fesselnde Anblick : wo aber die Ufer steil in das Meer abfallen, wo vielleicht auch ein Fluß in seiner Mündung dazu beiträgt, das Ufer zu zernagen, wo die stete Brandung am trotzig entgegenstehenden Fels Höhlung auf Höhlung ausnagt, da wechselt die Scenerie mit jedem Schritt, da giebt das Bild einer Meerschaft dem einer wildromantischen Landschaft nichts nach und allüberall kommen die mannigfachen Gestalten der Thierwelt als belebendes Element hinzu; stattliche, becherförmige Schwämme und Korallen haben sich auf den Vorsprüngen der Felsen angesiedelt , Seesterne, Seeigel und Krabben klettern mit verblüffender Gewandtheit in den Spalten der Gesteine herum und Fische und Scharen bunter Quallen erfüllen, wie der Künstler dies uns aus dem Bilde zeigt, das Wasser.

Immer mehr verallgemeinert sich auch die Anwendug des elektrischen Lichtes bei unterseeischen Forschungen, schon ist dasselbe in größeren Tiefen zum Fang von Meeresbewohnern zur Anwendung gelangt, und so mag der Gedanke nicht allzu kühn sein, daß es menschlicher Erfindungsgabe noch gelingt, mit Hilfe des elektrischen Lichtes und des photographischen Apparates auch von scheinbar verschlossenen Tiefe der Meere ein wahrheitsgetreues Abbild zu erhalte.

L.






Eine neue billige Ausgabe von Grillparzers sämtlichen Werken. Auf die vierte Ausgabe der Werke des großen österreichischen Dichters ist jetzt nach sechs Jahren die fünfte gefolgt, wieder wie die letzte in vortrefflicher Weise von August Sauer herausgegeben. Sie umfaßt, da der Text erheblich bereichert werden konnte, statt der früheren sechzehn Bände deren zwanzig, ist aber trotzdem bedeutend billiger geworden, dank dem Bestreben der Cotta'schen Verlagsbuchhandlung, den Schöpfungen dieses Klassikers der neueren Zeit die weiteste Verbreitung und die verdiente volkstümliche Geltung zu sichern. Eine Fülle von dramatischer Kraft, einen Reigen packender erhebender Gestalten bringe uns diese Dichtungen in einer Sprache entgegen, deren Tiefe, deren klangvoller Schwung seither von keinem mehr erreicht wurde. Da ziehen sie an uns vorüber, jene mächtigen Bilder tragischer Größe, allen voran Sappho und Medea, Hero und Leander. Und hinter den Werken seiner Phantasie zeigt uns der Dichter sein eigenes Wesen. Grillparzer hat das Leben nicht leicht getragen. Er, der mit seinem ganze geistige Sein in seinem poetischen Wirken aufging, dem die Dichtkunst nach seinem eigenen Ausspruch Philosophie und Physik, Geschichte und Rechtslehre, Liebe und Neigung, Denken und Fühlen war, konnte es nie verwinden, daß nach dem vollen Erfolg seiner Jugend sein Name durch widrige Umstände zwei Jahrzehnte lang fast in Vergessenheit gerieth. Erst 1848 machte das berühmte Gedicht an den Feldmarschall Radetzky :

„Glück auf mein Feldherr, sichre den Streich,
Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer!
In Deinem Lager ist Oesterreich,
Wir andern sind einzelne Trümmer“ ...

sein Vaterland wieder auf ihn aufmerksam, das nun seinen Werth in immer steigendem Maße erkannte. Sein achtzigster Geburtstag am 15. Januar 1871 wurde mit Festen gefeiert, wie sie selten einem Dichter dargebracht wurden, und als er bald darauf, am 21. Januar 1872, starb, da geleitete Tausende seinen Sarg. Sein Ruhm ist nicht mit ihm zu Grabe gegangen, er hat die Zeit, die das Echte vom Nichtige scheidet, überdauert und wird sie überdauern , denn was Grillparzer so gewaltig schildert, die großen Räthsel menschlichen Lebens und Liebes, das wird wirksam sein, so lange empfängliche Herzen sein schönes Wort begreifen:

„Und in der Welt voll offenbarer Wunder
Sind wir das größte aller Wunder selbst.“






Ein Volksgericht im Mittelalter. (Zu dem Bilde S. 760 u 761.) Im Mittelalter legte sich die Gemeinde vielfach gegenüber ihre Mitgliedern eine Strafgewalt bei, die in ihrer Wirkung viel mächtiger war als Gesetzesbestimmungen und Rathsverordnungen. Wer gegen die ungeschriebenen Gesetze von des Landes Brauch und Sitte sich verstieß oder sich sonst mißliebig gemacht hatte, der verfiel einer Art Lynchjustiz des Volkes genau so, wie in Oberbayern heute noch der Rache der „Haberer“. Im mittelalterlichen Frankreich geschah dies insbesondere bei solchen Ehebündnissen welche den Anschauungen des Volkes zuwiderliefen. Wenn eine Witwe sich aus unlauteren Beweggründen zum dritten oder vierten Male oder mit einem ihr an Alter gar zu ungleiche Mann verheirathete so mußte sie sich daraus gefaßt machen, daß man ihr ein „Charivari“, das heißt auf deutsch eine Katzenmusik brachte, oder sie gar rücklings auf einen Esel setzte und unter betäubendem Gejohle und Getöse von ihrem Mann vors Dorf hinaus ziehe ließ. Der Maler unseres Bildes stellt einen solche Auftritt in drastischer Weise dar. Der Gebrauch hatte etwas Rohes an sich, es mag aber sein, daß er doch ab und zu eine heilsame Wirkung ausübte.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_772.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2016)