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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

um Verzeihung zu bitten für meinen unseligen Irrthum. – Als hätte ein Gott Dich gerufen, rollte in dieser Minute Dein Wagen vors Haus. Aber glaube mir, auch wenn Du in jener Stunde nicht gekommen wärst, ich hätte nicht geschwiegen! Was ich Dir auch zu Leid gethan habe, betrügen wollte ich Dich nicht! Ich begreife, daß Du mir nicht verzeihen kannst, da Du nun die volle Wahrheit kennst, ich will auch die Strafe tragen, daß ich Deine Liebe verscherzt habe – aber dennoch –“

Sie trat einen Schritt näher zu ihm heran. Er hatte zum ersten Male, seit sie sprach, das Gesicht wieder ihr zugewendet; seine Züge verloren ihre Härte und zeigten nur noch den tiefsten, ergreifendsten Schmerz.

„Dennoch, Bernhard,“ fuhr Dora fort, „dennoch bitte ich um Deine Verzeihung. Wenn Du Dir sagen würdest, ich sei eine Kranke gewesen, besessen von einem bösen Zauber! O ich weiß, ich bin Dir nicht das geworden, was ich Dir hätte sein können. Aber nun, nun bin ich frei von dem Wahn, der mein Denken gefangen genommen hatte; nun erst bin ich empfänglich für das Glück an Deiner Seite. O Bernhard, es kann nicht sein, daß es Dir so leicht wird, mich von Dir zu lassen –“

„Nein Dora, bei Gott – leicht sind diese Tage nicht gewesen! Wenn Du wüßtest!“ murmelte er, sich mühsam beherrschend.

Sie erhob die heißen Augen bittend zu seinem Gesicht. „Ich habe Dir so weh, so furchtbar weh gethan, soll ich nicht versuchen dürfen, es wieder gutzumachen? Willst Du wirklich fort in die Einsamkeit, mit der tiefen Bitterkeit im Herzen? Nimm mich mit Dir! Ich weiß ja, daß ich Dir jetzt, heute noch nicht die sein kann, die Du bisher in mir gesehen hast. Doch langsam, ganz langsam gelingt es mir vielleicht, Dein Vertrauen wieder zu gewinnen! O bitte, laß mich’s zu verdienen suchen, daß Du mir je gut gewesen bist!“

Es lag so viel Demuth in dem gesenkten, jetzt von Thränen überfließenden Antlitz, daß es ihn rührte. Mit fast väterlicher Güte strich er ihr über das Haar. „Ich weise Dich nicht fort, Dora, wenn Du an meiner Seite bleiben willst. Wir müssen es der Zeit überlassen, ob ich vergessen kann, ob ich noch einmal an das Glück zu glauben vermag. Du wirst Geduld haben müssen, Kind! Ich bin nicht jung wie Du. In meinen Jahren ist das Herz schwerfällig und heilt nur langsam von solcher Enttäuschung.“

Sie drückte ihm fest die Hand. „Ich danke Dir, Bernhard,“ sagte sie schlicht. – –

In den nächsten Monaten gab es für die Gespräche der Gesellschaft die verschiedensten Neuigkeiten: die Ernennung des Ministertalraths von Kammerling zum Minister des Innern an Stelle des Freiherrn von Telf, die Verlobung der Tochter des neuen Ministers mit Emil Wienburg, der zum Regierungsrath vorgerückt war, und die bald darauf stattfindende Vermählung des jungen Paares.

Emil fing an, an einen besondern Glücksstern zu glauben. Er war so nahe vor dem Schiffbruch gestanden und nun hatte der günstigste Wind sein Fahrzeug erfaßt und führte es unter vollen Segeln dahin auf glatter Bahn. Wenn ihn auch vor der reizlosen Gestalt, vor den anmuthlosen Zügen seiner jungen Frau zuweilen ein leises Frösteln ergreifen und eine Sehnsucht überkommen wollte nach einem stolzen Frauenantlitz und einem wonnigen Munde, so wies er diese Empfindung fort als eine Schwäche, die dem klugen Manne nicht zieme. Für ihn galt es, zu ringen und zu streben um sich in der Gunst der Mächtigen zu erhalten und sich über die Köpfe der andern hinweg emporzuarbeiten, höher und höher, bis er selbst zu den Führenden gehörte.

Aber Emils Glücksstern sollte plötzlich zerfließen wie trügerischer Dunst.

Eines Abends, zwei Monate nach seiner Verheirathung, wurde er zu seinem Schwiegervater gerufen. Er fand ihn mit dem Tode ringend. Der Schlag hatte ihn gerührt. Und wenn auch noch einmal eine Besserung eintrat, wenn der Unglückliche auch noch eine Weile, gelähmt und der Sprache beraubt, weiter lebte – Minister konnte er nicht mehr sein.

An seine Stelle trat der Mann, dessen Wege Emil nie wieder zu kreuzen gehofft hatte: Freiherr von Telf. Mit seltener Großmuth rief der junge König in einem hochherzigen Schreiben den treuen Beamten zurück und sicherte ihm seine besondere Gunst, sein wärmstes Vertrauen zu.

Eine der ersten Amtshandlungen des wiederernannten Ministers war die Versetzung des Regierungsraths Wienburg in eine Provinzstadt, was für den Ehrgeizigen einer Verbannung gleich kam. Bernhard hatte den Namen errathen, den seine Frau ihm nie genannt hatte. Nicht eifersüchtige Befürchtung veranlaßte ihn, Wienburg zu entfernen, sondern die gerechte Empörung über dessen heuchlerisches Streberthum.

Bei dem Alleinsein in der Fremde, frei von Pflichten und Sorgen, hatte der Freiherr seine Gattin erst recht kennen und verstehen lernen, und sie hatte gesiegt über die düstere Enttäuschung, über die Schatten, die seine Seele verdüsterten. Nachdem er schon Abschied genommen hatte vom Sonnenschein, war ihm erst der rechte Liebesfrühling beschieden geweseu. Nun war ihm keine Regung in Doras Seele fremd, nun wußte er sie gegen jede Gefahr gefeit durch den sichersten Schutzwall – das Glück.



BLÄTTER UND BLÜTHEN.


Trübe Zeichen der Zeit. Bedenkliche, sehr bedenkliche Enthüllungen hat der Spieler- und Wuchererprozeß zu Hannover ans Tageslicht gebracht! Daß es im Deutschen Reiche Wucherer giebt, das wußte man leider schon vorher, und ehenso, daß unter den deutschen Offizieren und unter den sogenannten oberen Schichten der Gesellschaft das Spiel häufig in Formen geübt wird, in denen es nicht mehr eine Unterhaltung, sondern ein Laster ist. Aher daß diese beiden bösen Beulen am Leibe unserer Gesellschaft schon so tief und so weit um sich gefressen hätten, daß es in unserem deutschen Vaterlande eine ganze, organisierte Wucherer- und Falschspielerbande gäbe, die ihre Opfer nach Hunderten zählt und sie um Summen prellt, die nach bürgerlichen Ansprüchen ein stattliches Vermögen darstellen – das sind denn doch Offenbarungen, die in weiten Kreisen unseres Volkes mit tiefer Beschämung vernommen werden.

Man könnte den Einwurf erheben, daß es eben nur eine bestimmte Gesellschaftsklasse sei, welche durch die Enthüllungen des Hannoveraner Prozesses gebrandmarkt werde. Gäbe es keine leichtsinnigen Offiziere und Studenten, so gäbe es auch nicht jene Sorte von Vampyren, die sich diesen Leichtsinn zu Nutze machen und ihr dunkles Handwerk darauf bauen. Mögen die flotten Muttersöhnchen immerhin ihr Geld unter den Fingern zerrinnen sehen – was ficht das uns an?

Indessen, so stehen die Dinge doch nicht! Wir sind alle Glieder eines Volkes, und wenn irgendwo an diesem Körper etwas krank ist, so leiden wir alle mit. Und haben wir denn das Recht, mit pharisäischem Hochmuth beiseite zu stehen? Sind wir alle so frei von den Schwächen, welche den Offizier, den Studenten, den Landjunker in die Hände des Wucherers treiben oder ihn am Spieltisch nach der äffenden Fortuna haschen lassen? Dürfen wir ihr Schicksal mit selbstgerechtem Achselzucken abthun und sprechen: „Was ficht das uns an?“

Der Wahrheit die Ehre: das Recht haben wir nichi! Die Sucht, über die Verhältnisse zu leben, ist nicht beschränkt auf jene „vornehmen“ Kreise und das Haschen nach Spielgewinn nicht auf die Uniform. Das darf man nicht behaupten wollen in einem Lande, wo in so und so viele staatlichen Lotterien mit Eifer gesetzt wird, das darf man nicht behaupten wollen angesichts der vielen sich aufdrängenden Beispiele von unvernünftigem Luxus bis herab in die Kreise derer, die mühsam mit ihrer Hände Arbeit ihr knappes tägliches Brot verdienen. Auch das sind ungesunde Schwären, die am Marke unseres Volkes zehren, auch hier giebt es zerrüttete Existenzen und verlorene Gewissen!

Jener Prozeß zu Hannover ist ein grell flammendes Warnungszeichen, daß es gilt, anzukämpfen gegen ein schleichendes Uebel unserer Zeit, und niemand schließe sich aus, wenn es jetzt heißt: „Es ist etwas faul im Staate Dänemark!“

Charles Gounod †. (Zu dem Bilde S. 773.) Im Gounod ist derjenige französische Tondichter aus dem Leben geschieden, der nach Auber am meisten Volksthümlichkeit auf den deutschen Bühnen genossen hat und wohl auch noch lange genießen wird. Und diese Volksthümlichkeit verdankt er einer einzigen unter seinen zahlreichen Schöpfungen, der Oper „Faust“. Wollte man die Zahl der Aufführungen, die dieses Werk in deutschen Städten erlebt hat, zusammenzählen, man würde gewiß weit in die Tausend hineingerathen: verzeichnete doch allein Wien schon im Jahre 1890 seine dreihundertste Vorstellung. Die zwingende Gewalt dieser Musik wird aber noch überzeugender dadurch bestätigt, daß der „Faust“ einen so großartigen Erfolg erringen konnte, trotzdem bei seiner Einführung der Text als ein Verbrechen an Goethes unvergleichlichem Meisterwerk empfunden wurde und, wenn auch in gemildertem Maße, wohl noch empfunden wird. Es kostet in der That Ueberwindung, diesen verwaschenen Abklatsch von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_787.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2023)