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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Eichen umstanden, über den winzigen Städtchen, über die der plumpe Kirchthurm aufragt. Wie gern bin ich diese birkenumsäumten Feldwege geritten ober über die Heide dahin gesprengt, am Saume des Kiefernwaldes entlang, mit sehnsüchtig traurigen Gedanken an ein Paar klarer Mädchenaugen , die mein Hoffen waren und mein Schmerz geblieben sind.

Und da war ja schon der Stadtforst voll Wardelingen mit dem Hägerhause, in dessen Gaststube wir bei Waldpartien zu tanzen pflegten; und hinter den Bäumen kam der alte schiefe Thurm der Marienkirche zum Vorschein, in dessen Schutz das Brenkenhaus stand. Wie sonst funkelte die sinkende Sonne in den Fenstern des hohen Rathhauses und wie sonst standen ein paar Menschen auf dem Bahnsteig, ein paar Bauern mit ihren Weibern und ein paar Offiziere, die einem Kameraden das Geleit gaben oder einmal nach Hannover hinüberrutschen wollten; und wie sonst der Inspektor in rother Dienstmütze - alles unverändert!

Ich kam unerwartet und beschloß, zuerst in den Gasthof zu fahren; dann besann ich mich anders. Die Wardelinger klappernden Gasthofswagen kannte ich noch von früher her zu gut, um sie nicht gern zu vermeiden; sie sahen tatsächlich noch ebenso vorsintfluthlich aus, diese alten Kasten, wie damals. Ich setzte also Böhme in den Wagen des „Deutschen Hauses“ und schlenderte an diesem dämmernden warmen Oktobernachmittag zu Fuß weiter. Es war zum Lachen - alles noch dasselbe, höchstens daß die Bahnhofanlagen, das heißt, die Sträucher und Hecken etwas gewachsen waren, sonst alles genau wie früher. Dort der kleine Teich, an dem der Weg geländerlos sich hinzieht, noch immer im Besitz seines üppigen Pflanzenwuchses unter der bräunlichklaren Fluth. Dort das „Hallburger Thor“, das aus zwei roh aufgemauerten Pfeilern besteht, zwischen denen an einer Kette die Oellaterne hängt; und da, im Schatten der halb entlaubten Bäume, die Ausspannung „Zu den sieben Linden“. Die ausgebissenen Pferdekrippen stehen noch immer vor dem Hause, und vor den torfbeladenen Leiterwagen die kräftigen Pferde, die habe ich ja auch damals schon gesehen, vielleicht auch den Bauer, der eben sein Braunbier trinkt. Und doch sind achtzehn Jahre vergangen! Ein mächtiger, ein gewaltiger Sturm ist über unser Vaterland hingebraust. Allenthalben hat es sich gereckt und gedehnt, ist es emporgeblüht, nur du, mein Wardelingen, bist noch genau so bescheiden, so schlicht, so einfältig geblieben, Wie es Gesichter giebt die das Alter nicht zu ändern vermag, so auch du!

Mich rührte es, so die Straße entlang zu gehen und ich weiß nicht, wie es kam, daß ich den Weg nach dem alten Familienhause einschlug, obgleich ich nur auf die Personen acht hatte. Es kannte mich wohl keiner mehr, nicht einmal die alte Pastorin, die genau so wie vordem am Fenster saß, die Kaffeetasse neben sich. Ob sie noch immer so klatschte? Ich grüßte sie und sie stieß sich beinah die Nase an der Fensterscheibe ein , aber sie erkannte in dem großen Mann, der Civilkleider trug, wohl nicht mehr den Springinsfeld, über den sie sich baß zu ärgern pflegte, wenn er klappernden Säbels unter ihren Parterrefenstern dahinschritt, just wenn sie nach Tische auf ihrem Sofa ein kleines Nickerchen machen wollte.

Nein, nein, ich war allen fremd in dem Lande meiner Jugend, ich war alt geworden! Und dennoch, auf einmal höre ich hinter mir meinen Namen rufen: „Herr Leutnant, wollt' sagen Herr Rittmeister - Herr Oberst - entschuldigen Sei doch man - nein, wie ich mich freue - Sei sind's doch?“ Und athemlos kam ein altes Weiblein hinter mir her, das mir eben erst begegnet war, Und das war „oll Dört“; die alte Mutter Buschen, die als Kastellanin im Erdgeschoß unseres Hauses ein Stübchen hatte,

„Un nich die Spur hebben Sei sich verännert!“ schreit sie, „un noch eben so sehen Sei ut, blot en beten vülliger.“ Und sie steigert sich nach und nach in ihren Lobeserhebungen und meint, ich sei setzt „veel staatscher“, und dabei geht sie neben mir und redet so laut, daß alle Leute uns nachstarren.

Auf einmal wurde sie stille, ich hatte nach Tante Klara gefragt. „Ja, Du leeve Gott, Herr Leutnant - wull seggen, Herr General oder wat sünd Sei denn eigentlich? Da is man slecht von to vertellen, de oll gnä Fru werd dat wol selbsten beter seggen. Sehn Sei,“ fuhr sie fort, „wat de Herr Justizrath was, de hat ja allens, sin Geld und allens verloren. De Lüd seggen ja, hei hat grausam spekuleert. Aber ik weit nich, Herr General, oder wat sünd Sei denn eigentlich?“

„Major, Frau Busch, Major!“

„Herr Major, von mir wissen Sei nichts, nich wohr? Ik will de gnä Fru nich weih dauhn, un wenn se nu wedder in uns Hus intreckt -- de Lüd seggen ja, sei will wedder - in wi sollen da tosammen wohnen, denn möt dat Freeden sin - ik hef nicks seggt!“

„Na, liebe Frau Busch, morgen komme ich und sehe mir das Haus an. Guten Abend!“

„O Herr, es ist allens propper. Sei können stantepeh mitgahn,“ rief sie. „Und bi Bayers, da is hüt Auktschon wesen, da iß doch man ungemüthlich.“

„Dank' schön! Morgen komm' ich, Mutter Buschen. Gute Nacht!“

Ich schritt meinen West eilig weiter und bog nach kurzer Zeit in die Gasse ein, in der das stattliche Bayersche Haus lag. Richtig, da waren ja noch die Spuren der Versteigerung! Vor der Thür stand allerhand Hausgeräth, und Leute waren beschäftigt, dasselbe fortzuschaffen oder einzupacken. Das Hofthor stand angelweit offen, und eben zogen zwei Männer einen eleganten Landauer heraus, Ich trat auf die Hausdiele und spähte nach einem dienstbaren Geist, der mich bei Tante Klara anmelden sollte. Aber da war niemand als ein Mann mit Lederschurzfell, der eine große Anzahl Weinflaschen auf einen Handwagen lud.

„Wissen Sie nicht,“ fragte ich, „wo das Stubenmädchen oder die Köchin zu finden ist?“

„Die finden Sie nicht, Herr die sind seit gestern abgelohnt; die Herrschaft hält nun keine mehr, Welln Sie aber die alte gnädige Frau sprechen wollen, so - ich glaube, sie ist vor einer Stunde die Treppe da hinaufgegangen.“

Ich stieg bangen Herzens die Stufen empor, aber oben blieb ich stehen und beobachtete eine Scene, die sich auf dem Vorplatz abspielte und wahrhaft originell war, In der leichten Dämmerung stand die schlanke Gestalt eines jungen Mädchens, fast noch eines Kindes, in knappem tiefschwarzen Trauerkleide, Sie hatte mir den Rücken zugewendet und beobachtete zwei Dachshunde die beschäftigt waren, ihr Mahl mit ziemlichem Heißhunger und in nicht ganz vollendeter Uebereinstimmung einzunehmen, denn gelegentlich bissen sie nach einander und knurrten sich an.

„Donnerwetter!“ rief plötzlich eine jugendfrische Stimme, „Du kriegst die großartigsten Keile, wenn Du Deinem Bruder das Beste wegfrißt!“ und die junge Dame knallte mit einer ledernen Hunde- peitsche über die beiden Kerlchen so kunstgerecht hinweg, daß nicht einmal das glänzend schwarze Fell der drolligen Geschöpfe gestreift wurde, die sich übrigens aus dieser Drohung durchaus nichts zu machen schienen, sondern weiter schlangen.

Nun kniete das Mädchen nieder, und jetzt fiel das Licht aus dem großen Fenster auf blondes knabenmäßig verschnittenes Haar.

„Aha, das wird Fräulein Hella sein,“ dachte ich, „eine recht vielversprechende junge Dame!“

Und jetzt begann sie, die Teckel streichelnd, mit ihnen zu reden, so weich und kosend, wie man es zu einem Kinde thut. „Nein, nein, ihr sollt nicht hungern, lieber hungere ich! Und fortgeben thu' ich euch auch nicht, wie die böse alte Dame will; dann geh' ich eben auch mit fort. Nein, nein, ihr sollt nicht schlecht behandelt werden, lieber vergifte ich euch und mich dazu. So - freßt nur -- freßt! Donnerwetter, sieh' 'mal, da ist ja noch ein schönes Stückchen Fleisch - friß, mein Thierchen!“

In diesem Augenblick hatte ich aber wohl eine Bewegung gemacht, die Hunde ersahen mich und fuhren wie rufend auf mich los.

„Donnerwetter!“ schrie das Mädchen, „Parapluie - seid ihr toll? Hierher - zurück!“ Und sie knallte wieder mit der Peitsche dazwischen, daß man vor diesem Getöse und dem Kläffen der Herren Köter sein eigenes Wort nicht hört. Dann aber ward's plötzlich still, und aus einem ganz verweinten Gesichtchen schaute mich ein Paar trotziger blauer Kinderaugen nicht eben freundlich an.

„Mein Herr - die Herren vom Gericht sind, soviel ich weiß, unten im Bureau,“ sagte sie kurz.

„Verzeihen. Sir Fräulein Bayer - Fräulein Hella Bayer, nicht wahr?“ antwortete ich. „Ich habe nicht die Absicht, die Herren vom Gericht zu sprechen, ich möchte zu Ihrer Frau Großmutter. Gestatten Sie aber zuerst, daß ich mich als Ihren Onkel vorstelle - Onkel Viktor Brenken.“

Ein Aufschrei des Entzückens, und im nächsten Augenblick hatten mich zwei schlanke Arme umfaßt und eine vom Weinen

heiße Wange sich an die meinige geschmiegt. „Onkel - Du?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_806.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2019)