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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

an ihm etwas Wunderbares, noch nie Gesehenes. Dann aber kam Leben in ihn und stürmisch trat er auf Erwin zu. „Buschenhagen, das – das hat Ihnen ein guter Geist eingegeben! Das ist ein Gedanke, der Goldes werth ist. Ja, das ist das Wahre, da kommt man endlich einmal in andere Verhältnisse! Und – passen Sie auf, Buschenhagen, wir machen Geld, Geld wie Heu. Und dann ist für meinen Henry“ – er hob seinen Knaben empor und drückte sein Gesicht zärtlich an die blühende Kinderwange – „für meinen Henry ist dann auch gesorgt.“

Erwin machte zu der Begeisterung seines Freundes ein bedenkliches Gesicht. „Aber Geld gehört dazu, Schuckmann, schweres Geld. Und ich, Sie wissen –“ er zuckte die Achseln.

„Geld?“ Schuckmann lachte. „Ist vorhanden! Sechshundert Dollar! Reicht’s?“

„Ich denke.“

„Also! Ich setze alles dran! Entweder – oder! Uebrigens, Gefahr ist kaum dabei. In einer Stadt von dieser Größe! Konkurrenz ist keine da?“

„Ich denke, nicht!“

„Und die Methode?“

„Was die Methode betrifft,“ fiel Erwin begeistert ein, „die ist großartig und schließt jeden Mißerfolg aus!“

„Also!“ Schuckmann streckte dem Freunde die Hand entgegen. „Schlagen Sie ein, Buschenhagen, die Sache ist abgemacht! Wir gründen die Schule!“

Erwin schüttelte dem Freunde freudestrahlend die Hand. So leicht hatte er es sich nicht vorgestellt. Schuckmann aber war ganz aus dem Häuschen. Er umfaßte Libby und tanzte mit ihr durchs Zimmer, bis die kleine Frau ganz außer Athem war. – –

Als Erwin eine Stunde später in Wagners Wohnung zurückkehrte, um ihm über das glückliche Ergebniß seiner Bemühungen Bericht zu erstatten, fand er nur Klara im Wohnzimmer. Unwillkürlich that er einen Schritt zurück, denn all das, was zwischen ihnen lag, drängte stürmisch auf ihn ein. Als er dann aber in ihr Gesicht blickte, das von milder, verzeihender Liebe strahlte, als sie wortlos vor tiefer Bewegung ihm die Hand entgegenstreckte, da stürzte er mit einem Jubelruf vorwärts und warf sich, von Glück und Dankbarkeit überwältigt, vor ihr auf die Knie, sein zuckendes Antlitz in ihren Händen verbergend.

Da klang es leise innig von ihren Lippen: „Erwin!“

Der Laut berührte ihn mit magischer Gewalt. Ungestüm sprang er auf, die Arme nach ihr ausbreitend, und hingebend wie einst sank sie ihm an die Brust. Er aber neigte sein Haupt und küßte sie auf die Stirn voll ehrfürchtiger Liebe. Worte für die Seligkeit, die ihre Herzen erfüllte, fanden sie nicht. Sie wußten ja doch, daß sie sich gefunden hatten, um sich nie wieder zu verlieren. – –

Schon am andern Tage begannen die beiden Freunde mit der Verwirklichung ihres Planes. In einer günstigen Lage von Brooklyn mietheten sie drei Zimmer, von denen sie zwei als Schulzimmer, das dritte als Bureau verwendeten. Dann wurden überallhin in die Stadt Ankündigungen versandt und Anzeigen in einigen der gelesensten Tageblätter aufgegeben.

Der Anfang war hart, es dauerte geraume Zeit, bis das erste Dutzend Schüler voll war. Dann aber hatte man leichtes Spiel. Erwin sowohl wie Schuckmann boten all ihre Kraft auf, um ihre Schüler vorwärts zu bringen, und der Erfolg, den sie erzielten, war die beste Empfehlung für die neue „internationale Sprachschule“, wie die Freunde ihr Unternehmen genannt hatten.

Mit Herrn Beelitz hatten sie einen Vertrag abgeschlossen, durch den sie sich verpflichteten, ihm drei Prozent des Reingewinns abzugeben. Dafür erlaubte er ihnen, sich seiner Methode zu bedienen, und ging ihnen auch im übrigen mit seinen Erfahrungen und Kenntnissen an die Hand. Erwin unterrichtete im Deutschen, während Schuckmann, der in seinem Elternhaus schon als kleines Kind das Französische wie seine Muttersprache sprechen gelernt hatte, die französischen Stunden übernahm. Klara aber empfing die sich anmeldenden Schüler, besorgte das Geschäftliche und gab auch selbst in einigen Kinderklassen Unterricht. Mit Beginn des zweiten Vierteljahres waren es schon sechzig Schüler für die beiden Sprachen und der Fortbestand der Schule war gesichert.

Damit hatten auch Erwin und Klara endlich das Ziel ihrer Wünsche erreicht. Die Hochzeit fand in Wagners Wohnung statt und wurde fröhlich, aber in schlichter Weise gefeiert. An dem Essen, das nach der Trauung die Gäste vereinigte, nahm auch der gute Jänicke theil, der sich durch die Einladung sehr geehrt fühlte, anfangs jedoch mit einigen Beklemmungen zu kämpfen hatte. Erst nach dem vierten Glas kam auch über ihn eine behagliche Feststimmung, und als die ihm gegenübersitzende, von Glück und Schönheit strahlende junge Frau ihm freundlich zunickte, da faßte er sich ein Herz und erhob sein Glas. „Auf eine lange, glückliche Ehe, Frau Leitnant!“

Am nächsten Tage kam ein Brief aus der Heimath an, der die Freude der Neuvermählten vollendete. Erwins Eltern, denen er seine Schicksale mitgetheilt hatte, mit der Bitte, ihm zu verzeihen und ihren Segen zu seiner bevorstehenden Hochzeit zu geben, sandten ihre herzlichsten Glückwünsche. Eine Stelle in dem Schreiben des alten Majors war es besonders, die Erwins Herz höher schlagen machte.

„Aus Deinen Mittheilungen sehe ich, mein lieber Junge,“ so schrieb sein Vater, „daß Du auf dem Wege bist, ein ganzer, ein rechter Mann zu werden. So wollen wir denn die alten Wunden nicht mehr aufreißen und das Vergangene begraben sein lassen. Die harte Lehrzeit, die Du drüben durchgemacht hast und die nun wohl zum Abschluß gelangt ist, wird, so hoffe ich, gute Früchte für Dein ganzes zukünftiges Leben reifen. Du wirst einsehen gelernt haben, daß das Glück des Lebens nicht in äußeren Genüssen zu suchen ist, sondern in strenger, treuer Pflichterfüllung, in dem Bewußtsein, das Rechte zu thun. Dein neuer Beruf ist gewiß ein schöner, denn Du hilfst, dem Deutschthum im fremden Lande neue Freunde gewinnen. Im übrigen weißt Du, daß ich bei aller Liebe für den Soldatenstand nie zu denen gehört habe, die auf alle andere Arbeit mit Hochmuth herabsehen. In meinen Augen ist jeder, der seinen Beruf ehrlich ausfüllt, ein achtungswerther Mann. Zu Deiner Wahl aber sende ich Dir aus vollem Herzen meinen Segen. Was Du uns über Deine Braut mittheilst, hat uns allen ein warmes Interesse für sie eingeflößt. Daß sie das Herz auf dem rechten Fleck hat, geht schon aus dem Brief hervor, den sie Deinen Zeilen beifügte. Sie wird Dir eine gute Frau sein, und so heiße ich, heißen Deine Mutter und Deine Schwestern sie als Mitglied unserer Familie aufrichtig willkommen. Wir alle werden sie, wenn Deine Verhältnisse es Dir einmal erlauben, sie uns persönlich zuzuführen, mit offenen Armen aufnehmen.“

„Bist Du zufrieden, Geliebte?“ fragte Erwin, nachdem er diese Worte vorgelesen hatte.

Da warf sich Klara in seine Arme, und während sich ihre Augen mit Thränen der Freude füllten, sprach sie leise: „O Erwin, ich bin die stolzeste, die glücklichste Frau der Welt.“


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Jugendzeit.

Plauderei von Emil Roland.

Wir sprachen wie so oft, wenn alte Leute beisammen sind, von der Jugendzeit.

Mein Nachbar hatte seinen Enkel mitgebracht, ein blondes Bürschchen, dem die unbeirrteste Siegesgewißheit aus den Augen sah und zugleich jene anmuthende Unbefangenheit der noch nicht ausgelernten Lebenskünstler. Wir neckten ihn, wenn er mit seinen jungen unvorsichtigen Lippen etwas recht Altkluges gesagt hatte. Es zuckte auch jemand ungeduldig die Achseln, als er einmal eine so unfehlbare Weisheit aussprach, wie man sie einem Greise gerade noch verzeiht. Eines aber stand fest – beneiden thaten wir ihn alle.

Die Stimmung wurde bald ein wenig sentimental: es ist ein verfängliches Gebiet, die Jugendzeit!

„Merkwürdig!“ sagte ein alter Herr mir gegenüber, „Erinnerungen werden ein eigen Ding, sobald die Jugend hinter uns liegt. Ob es nicht besser wäre, wenn man sie vergessen könnte, jene schönste Vergangenheit, die nie wieder eine Gegenwart hat? Mir scheint es meist mehr schmerzlich als beseligend, sich jener Zeit der süßen Thorheit zu erinnern. Ich wollte, ich wüßte gar nicht mehr, daß auch ich einmal jung und thöricht war.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_832.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2023)