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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

viel Arbeit sein, weil Du mir Bibelsprüche aufsagest – und den Kasten verwahre mir nur, bis ein neuer Geburtstag kommt!“

„Wer ist der Herr Kapitän?“ fragte der gute Propst der etwas roth geworden war.

„Ach, kennst Du den nicht? Er heißt Friedrich Franz Weber und hat einen ausgestopften Haifisch von der Decke hängen!“

„Es scheint kein besonders netter Mann zu sein!“ sagte der Propst ernsthaft. „Du mußt wirklich nicht mit jedem anbinden – ich werde einmal mit Deinem Vater sprechen!“

Er ging und ich begab mich nach Hause, ohne daß die Drohung des alten Herrn meine natürliche Heiterkeit beeinträchtigt hätte. Er hatte nämlich noch nie uns bei Papa verklagt und würde mir sicherlich bald einmal Aepfel schenken, was er immer that, wenn er mich je etwas rauh angefahren hatte.

„Ich weiß ’was Neues!“ sagte Jürgen, dem ich an der Thür unseres Hauses begegnete. „Etwas ganz Neues!“

„Was ist’s?“ erkundigte ich mich neugierig.

„Hierher ist ein Mann gezogen, der hat einen großen großen Haifisch im Zimmer! Ob er lebendig ist, weiß ich nicht – ich glaube es aber!“

„Er ist tot!“ sagte ich triumphierend, denn es begegnete mir nicht häufig, mehr zu wissen als die Brüder. „Er ist tot, und ich habe ihn selbst gesehen!“

„So?“ Mein Bruder sah mich zweifelnd an. „Du hast ihn gesehen und hast mir kein Wort davon gesagt? Weißt Du denn auch, was der Haifisch gethan hat?“

Ich mußte beschämt den Kopf schütteln.

„Er hat – ja, denke Dir nur! – er hat dieses Mannes Frau aufgefressen! In einem einzigen Happen. Schwabb! hat er gemacht – und da war die Frau weg! Und dann klappte er das Maul zu und schwamm weiter!“

„Aber nun hat er doch das Maul offen!“ bemerkte ich, athemlos vor köstlicher Erregung.

Brieftaubendienst auf hoher See.
Nach einer Originalzeichnung von Willy Stöwer.


„Nun ja, später ist ihm natürlich übel geworden. Eine ganze Frau liegt schwer im Magen, besonders wenn sie noch Kleider und seidene Mantillen oder so etwas an hat!“

„Vielleicht einen Pelzmantel oder einen Muff!“ schaltete ich ein, und Iürgen sah mich ärgerlich an. Er mochte nicht unterbrochen werden, wenn er im Erzählen war.

„Mit einem Muff ist sie wohl nicht im Wasser gewesen, wo es doch gewiß warm war. Die Haifische sind ja nur dort, wo –“

„Gott-o-Gott, Kinners, wenn Ihr noch mehr von so’n schreckliches Zeug snackt, denn beswiemel[1] ich und Ihr müßt mich Wasser und Hoffmannstropfen holen!“

Das war Line, die also sprach, unser Kindermädchen, das heutzutage gewiß Kinderfräulein genannt werden würde, weil sie so hübsch war, wie die Großen wenigstens sagten; wir selbst sahen nichts Besonderes an ihren dunklen Augen und ihren rothen Wangen. Sie saß mit unserem Jüngsten vor der Thür und hatte unseren Worten mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Manchmal war sie sehr nett und dann mochten wir sie leiden; manchmal aber „predigte“ sie, wie wir es nannten, und dann mochten wir sie nicht leiden. Nun fing sie wieder an.

„Gott-o-Gott, wenn Ihr man bloß still sein wolltet von so ’was Gräsiges! Wovor giebt es überhaupt Kinners, wenn sie nich artig sein wollen! Als ich noch klein war – o was bin ich da artig gewesen!“

Wir hörten ihr ungerührt zu; denn wenn Line anfing, ihren Redestrom über uns zu ergießen, dann sagte sie eigentlich immer dasselbe und ihre Gedanken zeichneten sich nicht durch Neuheit aus.

„Nu bleibt man bei mich und verzählt mich ein büschen!“ setzte sie hinzu, als Jürgen und ich Anstalt machten, uns zu entfernen. „Sitzt die Frau da noch in Haifisch und hängt von Boden herab? O du mein Heiland, wie einmal schrecklich! Und den Mann, was sag’ den Mann dazu? Is das nich so’n hübschen kleinen dicken Mann, der hier mammichmal spazieren geht? Ja, was nich allens passieren thut! Und Geld soll er auch haben, ein ganzen Berg Geld! Nich?“

Ob Kapitän Weber Geld hatte, wußten wir nicht; der Gedanke beschäftigte uns auch weniger als der, daß seine Frau noch in dem Haifisch sitzen könnte. Wir geriethen hierüber sogar in eine fieberhafte Erregung, und Linens Zureden, bei ihr zu bleiben, half nichts. Der nächste Augenblick sah uns schon auf dem Wege zum Norderende, und bald klopften wir an des Kapitäns Thür. Sie war dieses Mal verschlossen; er öffnete aber gleich und begrüßte uns freundlich.

„Nun, meine Kinder, womit kann ich dienen?“

Wir aber sagten kein Wort und starrten unverwandt den großen Fisch an.

„Nun?“ sagte er noch einmal und ich faßte mir ein Herz.

„Sitzt sie noch drin?“ fragte ich halb verschämt. Der Kapitän sah mich verwundert an.

„Ich meine Deine Frau!“ fuhr ich hastig fort. „Der Fisch hat sie ja aufgefressen!“

  1. ohnmächtig werden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 873. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_873.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2020)