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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


sollen. Ein paar Tag ehnder bin ich hinaufgestiegen auf den Göhl und hab’ ihr ein Kranzl heruntergeholt aus Edelweiß. Es ist schon auf den Abend zugegangen, wie ich heimgekommen bin und hab’s ihr bringen wollen. Aber die Salmued – so hat sie geheißen, Herr – die Salmued ist nicht daheim gewesen. Ihr’ Mutter und ich, wir haben gewart’ und gewart’ – es ist Nacht worden – und eine Stund’ um die ander’ haben wir hingepaßt auf das Dirndl. Am End’ ist mir angst worden, und ich bin umgelaufen und hab’ angefragt in jedem Nachbarhaus. Die ganze Nacht bin ich auf den Füßen gewesen und schier die Seel’ aus dem Leib hab’ ich mir herausgelaufen. Von meinem Dirndl aber hab’ ich nichts gesehen und gehört.“

„Doch als es Tag wurde, kam sie?“ fiel Eberwein dem Kohlmann mit bebender Stimme ins Wort.

Ein heiseres Lachen tönte von Eigels Lippen. „Wie’s Tag worden ist, bin ich gegen den Untersteiner Wald gelaufen, weil ich schon gefürchtet hab’, die Salmued könnt’ in der Finsternis in eine von Wazemanns Bärengruben gefallen sein. Auf einmal, wie ich hinlauf’ zum Achensteg, kommt Herr Waze dahergeritten. Ich hab’ mich auf die Seit’ gehalten, denn der Weg ist schmal gewesen, aber wie er an mir vorbeireitet, da sieht er mich, und da zuckt ein Lacher über sein Gesicht. Mit der Faust hat er dem Roß eins auf den Hals gehauen, daß es einen Sprung gethan hat und davon geschossen ist, als wär’ Feuer hinter ihm. Da hat’s mir auf einmal durch die Seel’ geschrien: wenn du die Salmued finden willst, so mußt suchen in Wazemanns Haus! In einem Sauser bin ich durch den Wald aus und hinauf über den Falkensteiner Weg – das Brückl war aufgezogen und das Thor versperrt – aber wie ein Zeck hab’ ich mich angehängt an die Mauer und bin hinaufgekommen. Und droben – was ich schreien hab’ können, hab’ ich geschrien: ‚Salmued! Salmued!‘ Vier, fünf Knecht’ sind gegen mich hergelaufen, aber aus dem Haus hab’ ich einen Schrei gehört, und wie ich aufschau’, seh’ ich im Dachfenster der Salmued ihr Gesicht … die Arm’ hab’ ich noch in die Höh’ gestreckt, und da hat mich einer von Wazes Knechten mit dem Speerholz vor die Brust gestoßen, daß ich getaumelt hab’ und rücklings hinuntergefallen bin über die Mauer. Der Gelfrat, Sigenots Vater, hat mich gefunden und hat mir das Blut abgewaschen – und seit der selbigen Stund’ hab’ ich von der Salmued kein Wörtl nimmer gehört und hab’ sie meiner Lebtag’ mit keinem Blick mehr gesehen.“ Dem Kohlmann stand das Wasser in den Augen, aber er lachte. „Sie wird halt sein, wo dem Gernreuter sein Weib hin hat müssen!“

Eberwein hörte die letzten Worte nicht. Er stand hoch aufgerichtet, mit flammenden Augen, und seine Blicke spähten hinweg über das sonnige Thal und suchten in der von Schatten umsponnenen Ferne den Falkenstein und Wazemanns Haus. Er hob die geballte Faust, und der zurückfallende Aermel entblößte den sonnverbrannten nervigen Arm. „Herr Waze! Wir wollen rechten miteinander! Fürwahr, es soll anders werden! – Komm, Eigel, führ’ mich zu Thal!“

Dem Alten voran, eilte Eberwein mit ungestümer Hast den Hang hinunter. Der Kohlmann holte ihn mit Mühe ein und schüttelte den Kopf. „Mußt Dich nicht so tummeln, Herr! Auf Bergweg’ gehören langsame Füß’ – und ‚Zeit lassen!‘ grüßen bei uns die Leut’, wenn’s einer gar so nötig hat. Ueberlauf’ Dich nicht, sonst geht Dir vor der Zeit der Schnaufer aus!“

Eberwein mäßigte die Hast seines Ganges und atmete tief. „Dank, Alter, für diesen Rat! Auf den Wegen, die meiner warten, ist mir eines vor allem nötig: Geduld und Ruhe! Komm!“

Sie schritten weiter.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Invalidenheim.
Von Johannes Wilda.     Mit Zeichnungen von Ewald Thiel.


Das Invalidenhaus zu Berlin.

Es ist ungeheuerlich, wie eine Großstadt der Neuzeit das Gelände um sich her „auffrißt“. Was ist aus dem Berlin geworden, das einst aus den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs mit kaum 6000 Bewohnern und 800 meist einstöckigen und strohgedeckten Hütten hervorging! In einem seiner Dramen erzählt Wildenbruch, wie man von einem Turm der inneren Stadt Berlin ausgespäht und dann „fern im Norden, in der Gegend des Wedding“ Menschen oder von Menschen aufgewirbelten Sand entdeckt habe. Eine Vorstellung dieses Entlegenseins vermag man sich heute kaum mehr zu bilden.

Nicht ganz so weit draußen wie der „Wedding“ und etwas mehr westlich, in der Gegend der einst vielberufenen Panke, erstreckt sich das Besitztum, das wir jetzt ins Auge fassen wollen.

„Erstreckte“ sollte man lieber sagen, insofern als „erstrecken“ den Begriff einer weiten Ausdehnung in sich schließt. Das war einmal! Wenn der Alte Fritz das Gebiet wieder sähe, würde er sich wundern, wie klein es geworden und wie anders heute die Welt dort ausschaut! Die „Sandscholle“ hieß es ehemals in der Amtssprache; wenn der Wind sich dort erhob, so wirbelte er Sand auf wie in der Wüste Sahara, dergestalt, daß zuweilen ein Reiter auf den angehäuften Hügeln über die Palissaden wegreiten konnte, welche die Stadt Berlin hier begrenzten.

Als der Große König aus dem Zweiten schlesischen Kriege heimgekehrt war, da machte er einen lobenswerten Gedanken zur That: die Abtragung einer Schuld gegen seine braven Soldaten. Er sah sich die Sandscholle mit seinem berühmten Adlerblick an und befahl, daß hier ein Haus für seine Invaliden gebaut werden solle, denn „wir müssen für unsere Freunde, die alten Soldaten, sorgen!“ Von Magdeburg wurde der Ingenieurkapitän Petri beordert, ein Herr nach dem Herzen seines Königs, flink und sparsam – und binnen zwei Jahren war nicht bloß der große Bau fertig, es waren auch an der ausgeworfenen Bausumme von 121000 Thalern 1338 Thaler, 7 Groschen und

6 Pfennig gespart. Im November 1748 fand die Einweihung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_008.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2019)